Hall George

Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch


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und um 1683 am Hof uraufgeführt.

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      Dido unterhält Aeneas in einer Szene eines unbekannten Künstlers aus dem 18. Jh. Anders als in Vergils Epos trennen in Purcells Oper Hexen anstatt Götter die Liebenden.

       Kontinentaler Einfluss

      Obwohl Purcell auf dem Stil seiner englischen Vorgänger und Zeitgenossen wie Matthew Locke und Blow aufbaut, sind europäische Einflüsse in Dido and Aeneas offensichtlich. Im Exil hatte Karl II. Geschmack an französischer und italienischer Musik gefunden, und diese Vorliebe beeinflusste aufstrebende Musiker, die um königliche Unterstützung rangen.

      Französische Einflüsse sind von Anfang an in Dido and Aeneas spürbar. Der erste Akt beginnt mit einer typisch französischen Ouvertüre, deren erster langsamer Teil auf punktierten Rhythmen basiert. Der zweite Teil der Ouvertüre ist schnell, mit imitativem Kontrapunkt. Die erste Szene beginnt mit solistischem Gesang, der von Chorpassagen unterbrochen wird. Die Oper enthält mehrere Tänze, wie es bei französischen und englischen Opern jener Zeit üblich war.

      Ebenso spürbar ist der Einfluss der italienischen Oper, speziell von Didone, ebenfalls über Dido und Aeneas, von Francesco Cavalli. Beide Werke verwenden die Passacaglia, bei der eine feste Basslinie immer wiederholt wird, während die Melodien der Oberstimme wechseln. Purcell nutzt dies mit großer Dramatik für zwei von Didos Arien, darunter ihr Lamento gegen Ende des Stücks, das einen Höhepunkt des ganzen Opus darstellt.

      »So wie Poesie die Harmonie der Worte ist, so ist Musik die der Noten. Und so wie sich Poesie über die Prosa erhebt … so ist Musik die Erhöhung der Poesie.«

       Henry Purcell

       Dramatische Wirkung

      In der überlieferten Form besteht Dido and Aeneas aus drei kurzen Akten, die von Aeneas Ankunft im antiken Karthago erzählen, angelehnt an Vergils Epos, die Aeneis. Nach seiner Flucht aus dem brennenden Troja segelt Aeneas mit seinen Gefolgsleuten nach Nordafrika, wo er der karthagischen Königin Dido den Hof macht, einer misstrauischen Witwe, die schließlich auf seine Annäherungsversuche eingeht. Böse Hexen schmieden jedoch ein Komplott gegen sie und schicken einen Diener in Gestalt Merkurs, um Aeneas sein glorreiches Schicksal als Gründer Roms zu prophezeien. Aus Verzweiflung über seine Abreise begeht Dido Selbstmord.

      Purcell nutzt meisterhaft ergreifende Motive und geschickte Wortmalereien, um die wechselnden Stimmungen auszudrücken, welche die Handlung prägen. In den verschiedenen Sätzen der Oper wirken Purcells Text und Musik in perfekter Synergie zusammen, um Gefühle der Trauer, Freude oder für die Bösartigkeit der Hexen zu erzeugen.

      Purcells Ideal, dass Musik und Poesie »Hand in Hand gehen und sich gegenseitig unterstützen«, bringt er in der Widmung seiner Semi-Oper Dioclesian (1690) zum Ausdruck. Auffallend ist seine Verwendung von Melismen. Dabei werden mehrere Noten auf einer Silbe gesungen, um die Wirkung von Ausdrücken wie »Tapferkeit«, »Qual« und Didos »Schmachten« in ihrem Rezitativ »When Could so much Virtue Spring« (»Woher konnte so viel Tugend entspringen«) zu unterstreichen. Purcell arbeitet während Didos Klagelied bewusst mit Dissonanzen (Disharmonien zwischen Noten) bei den Streichern, um die Qual der Königin zum Ausdruck zu bringen, und schafft damit eine der bewegensten musikalischen Bekundungen von Trauer, die je komponiert wurden. Die Todesszene ist ebenfalls bemerkenswert für eine Zeit, als Opernheldinnen und Helden selten umkamen. In Cavallis Didone wird Dido vor sich selbst gerettet und heiratet einen anderen.

       Bleibendes Vermächtnis

      Über Aufführungen von Dido and Aeneas zu Purcells Lebzeiten ist wenig bekannt. 1700 und 1704 gab es Aufführungen in London, doch diese scheinen bis zum späten 19. Jahrhundert die letzten gewesen zu sein. Seitdem wird das Stück jedoch immer häufiger auf die Bühne gebracht und nun regelmäßig in den größten Opernhäusern der Welt gespielt.

      Mit der Thronbesteigung Wilhelms III. im Jahr 1689 endete die königliche Unterstützung, und das Theater, dessen Hauptform die Semi-Oper war, beherrschte Purcells letzte Jahre. Diese sehr englische Art der Unterhaltung bestand aus einem Theaterstück mit Liedern, Tänzen und Chören am Ende jedes Akts, die wenig mit dem Stück selbst zu tun hatten und von einer separaten Tänzer- und Schauspielertruppe aufgeführt wurden. Die bekanntesten Beispiele sind King Arthur (1691) und The Fairy Queen (1692), dessen gesprochener Text eine Adaption von Shakespeares Sommernachtstraum ist.

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      Dido and Aeneas nutzt eine einfache Bassmelodie, die zum Beispiel von einer Bassgambe gespielt worden sein könnte, wie hier von Caspar Netscher (1639–1684) dargestellt.

      Purcells andere Werke reichen von Kirchen- und Kammermusik bis hin zu Liedern und feierlichen Oden. Dido and Aeneas legt nahe, dass Purcell den Grundstein der englischen Operntradition hätte legen können, wäre er nicht schon mit 36 Jahren gestorben. Diesen Platz sollte schließlich der deutschstämmige Georg Friedrich Händel einnehmen, der zwischen 1711 und 1741 in London seine eigenen Opern komponierte. image

      »Die Musik ist noch ein naseweises Kind, das hoffen lässt, was in England aus ihm werden könnte, wenn ihre Meister einmal mehr Zuspruch finden.«

       Henry Purcell

       Kompositionstechniken in Didos Lamento

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      Fünf ständig wiederholte Basstakte suggerieren Ausweglosigkeit.

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      »Remember-me«-Motiv erweckt Gefühl der Sehnsucht.

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      Appoggiatura (»eingeschobene« Noten) suggerieren Schluchzen.

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      Fallende Phrasen und Dissonanz deuten die Qual an.

       Henry Purcell

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      Purcell wurde 1659 geboren, als das höfische Leben mit der Thronbesteigung Karls II. gerade wieder aufgenommen wurde. Er war ein gut ausgebildeter Musiker, der sich in seiner relativ kurzen Karriere alle Fähigkeiten aneignete, um in jedem Genre Erfolg zu haben. Er war Chorknabe an der Chapel Royal und erhielt als Erwachsener mehrere Anstellungen am Hof, wo er Musik für Staatsanlässe schrieb, zusätzlich zu Kirchen- und Kammermusik, Liedern und Cembalosuiten. Als Organist der Westminster Abbey arbeitete er ab 1680 nahe Londons West End und schrieb Musik für Dutzende Theaterstücke. Er arbeitete auch an einer Reihe musikalischer Dramen und Semi-Opern mit, darunter King Arthur und The Fairy Queen. Er starb 1695, während er The Indian Queen komponierte, woraufhin sein Bruder das Werk vollendete.

       Weitere Hauptwerke

      1691 King Arthur

      1692 The