Zeit herrschte eine strikte Hierarchie. Sie waren es gewohnt, sich Autoritäten widerspruchslos unterzuordnen. Im Gegensatz dazu existierte bei den Herero ein Prinzip der Basisdemokratie. Zwar besaß im Zweifel stets ein Häuptling bei den jeweiligen Sippen das letzte Wort, und allen Herero gemeinsam stand wiederum der Oberhäuptling vor. Doch wurden Entscheidungen innerhalb der einzelnen Gruppen selbstständig getroffen, wobei viele Stammesmitglieder, auch die Frauen, ein Mitspracherecht besaßen. Hieraus resultierten meist endlose Diskussionen, was dem deutschen Untertanengeist jener Zeit komplett zuwiderlief und deshalb völliges Unverständnis unter den Kolonialherren hervorrief. Der rassistische Dünkel, der die Denkweise der weißen Kolonialisten damals ohnehin beherrschte, schien durch dieses ineffektive Verhalten der Schwarzen nur seine Bestätigung zu finden. Entsprechend überheblich traten viele Deutsche gegenüber den Einheimischen auf, womit sie natürlich gerade bei einem so stolzen Volk wie den Herero auf Abwehr und Widerstand stießen.
Der Konflikt wurde dadurch verschärft, dass der Oberhäuptling der Herero 1890 gestorben war und ein Nachfolger bestimmt werden musste. Diese Nachfolge unterliegt bei den Herero hochkomplizierten Gesetzen und wird keineswegs automatisch vom Vater auf den Sohn übertragen, was wiederum den Deutschen völlig selbstverständlich erschien. Doch stattdessen muss bei der Herero-Erbfolge sowohl das Recht der mütterlichen als auch das der väterlichen Linie berücksichtigt werden. Dabei ergeben sich komplexe Aspekte, die zudem nicht starren Regeln folgen. Die Deutschen bevorzugten Samuel Maharero, den Sohn des verstorbenen Oberhäuptlings, und unterstützten diesen. Es gab aber vier weitere mögliche Erben des Titels, sodass die Einmischung der Deutschen Zwist und Zwietracht unter den Herero nach sich zog. Dass die Deutschen Samuel Maharero militärisch gegen die anderen potenziellen Anführer beisprangen, verschlimmerte die Situation. Maharero galt fortan als von den Deutschen abhängiger Herrscher, die Herero blieben untereinander zerstritten. Genau das hatte allerdings auch in der Absicht Theodor Leutweins gelegen, des Kommandeurs der deutschen Schutztruppen. Ganz nach der Maxime „divide et impera“ – teile und herrsche.
In dieser verfahrenen Situation brach 1897 eine Heimsuchung über Deutsch-Südwestafrika herein. Aus Südafrika kommend bahnte sich die Rinderpest ihren Weg ins Land, ursprünglich eingeschleppt durch indische Tiere, die italienische Kolonialisten nach Eritrea importiert hatten. Während die deutschen Farmer eine Vielzahl ihrer Tiere durch Impfungen retten konnten, kostete die Seuche 70 Prozent des Viehbestands der Herero das Leben. Auch zahllose Wildtiere erlagen ihr. Aus Hunger und Verzweiflung verzehrten die Menschen verdorbenes Fleisch der verendeten Tiere, was schwere Infektionen nach sich zog. Die überall herumliegenden verwesenden Körper verseuchten zudem das Wasser. Hatten die Herero zuvor die vergleichsweise keimfreie Milch ihrer Tiere getrunken, so blieben ihnen nun vielfach nur die kontaminierten Wasserstellen. Eine Typhusepidemie war die Folge, unter den geschwächten Menschen breitete sich zudem noch die Malaria aus. Als wenn all das nicht schlimm genug gewesen wäre, ereignete sich im gleichen Jahr eine Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes, und eine extreme Dürreperiode tat ihr Übriges. Die genaue Zahl der Opfer dieser Katastrophen ist bis heute nicht bekannt, doch das Leben der Herero sollte nie mehr so werden wie zuvor.
In ihrer Not nahmen etliche Herero Lohnarbeiten bei den deutschen Siedlern an. Hier aber wurden sie oft ausgesprochen schlecht behandelt, Erniedrigungen, brutale Prügelstrafen und sexuelle Übergriffe standen vielerorts auf der Tagesordnung. Zu diesen Demütigungen kam die weiterhin um sich greifende expansive Landnahme der Deutschen hinzu. Die Nahrungsmittelknappheit hatte zu einer gewaltigen Teuerung geführt, wer seine Schulden nicht zurückzahlen konnte, verlor erst sein noch vorhandenes Vieh, dann wurde Land konfisziert. Das machte es den Herero unmöglich, wie zuvor mit ihren Herden durch das Land zu ziehen und die Anzahl der Tiere allmählich wieder zu alter Größe heranzuzüchten. Ist es verwunderlich, dass die ihrer Lebensgrundlage beraubten Menschen eines Tages damit begannen, sich zu wehren?
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