Wiebke Groth

¡PARAGUAY, MI AMOR!


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hier.“

      Er schaut mich bittend an.

      Ich fühle mich etwas überrumpelt, vor allem fällt es mir nicht leicht, vor vielen Fremden zu sprechen.

      Fast hätte ich abgelehnt, aber ich reiße mich gerade noch zusammen, als ich sein eifriges Gesicht sehe.

      „Ja, ich überlege es mir. Aber jetzt würde ich gerne aufstehen. Wie spät ist es denn?“

      „10:00 Uhr. - Es wäre toll, wenn du es machst.“

      „Gott, so spät! Ich mache mich schnell frisch und komme gleich runter!“

      Zwanzig Minuten und eine Expressdusche später betrete ich das König’sche Wohnzimmer.

      Ein Frühstücksgedeck steht noch auf dem Tisch, worüber ich mich gleich hungrig hermache.

      Juanita sitzt auf dem Sofa und liest eine Modezeitschrift.

      „Na, hat Jorge dich genervt?“, fragt sie herablassend.

      „Nein, wieso?“

      „Wegen seines Projekts an der Schule.“

      „Ach, das“, winke ich lässig ab. „Klar, ich mache das. Das wird Spaß bringen!“

      Jorge, der einer spanischen Zeichentrickserie folgt, springt bei den Worten auf und schreit:

      „Hurra! Danke, liebe Valeska!“, er fällt mir stürmisch um den Hals.

      „Dafür hast du nun Valeska so früh geweckt“, sagt seine Schwester tadelnd.

      „Es ist nicht früh, ich bin schon seit 7:00 Uhr wach!“, sagt Jorge empört und selbstgerecht.

      „Du bist so ein Bauer!“, ruft Juanita aus und legt dabei ihre ganze Verachtung in das letzte Wort.

      „Ja, und ich bin stolz drauf! Ich werde das hier später übernehmen!

      Du bist dir ja zu fein dafür!“

      Da ich den Eindruck habe, ich müsste vermittelnd und ablenkend eingreifen, sage ich: „Was möchtest du denn werden, Juanita?“

      „Model oder Rechtsanwältin!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

      „Das nenne ich mal ein breit gefächertes Interessensgebiet!“, entgegne ich verblüfft. „Wow!“

      „Was ist daran ungewöhnlich? Entweder verdiene ich mein Geld mit meinem hübschen Körper oder mit meinem scharfen Verstand!“, sagt sie trotzig.

      Hübsch ist meine Halbschwester wirklich, das lässt sich nicht leugnen. Das olivschwarze Haar trägt sie lang und heute offen. Mit ihren knapp 170 cm hat sie Jost schon eingeholt. Auch ihre Mutter, die ich auf ca. 175 cm schätze, wird sie bald eingeholt haben. Die Augen leuchten dunkelbraun, wie Isas, aber den Mund und die Nase hat sie von den Königs.

      Volle sinnliche Lippen – wie die meinen – und eine kleine Stupsnase. Auch den langen, elegant geschwungenen Hals hat sie aus unserer Familie. Ihr Körper ist mit seinen Rundungen ein sehr fraulicher und sie ist dezent geschminkt und geschmackvoll gekleidet.

      „Aber der Beruf des Models ist echt hart!“, wende ich ein. „Du musst immer hungern, um dünn zu bleiben, es ist ein knallhartes Business und sehr stressig und mit Ende 20 bist du raus aus dem Geschäft! Bis dahin musst du genug verdient haben, um über die Runden zu kommen.“

      „Bäh – du redest schon wie meine Eltern!“

      Ich grinse verlegen. „Naja, du musst wissen, was du willst. Ich würde aber sagen, eine Karriere als Anwältin wäre definitiv besser!“

      Der Rest des Vormittags verläuft sehr ruhig und ich nutze ihn, um ihn mit meinen Halbgeschwistern zu verbringen. Jost und Isabella machen zum Mittag eine Pause und wir nehmen ein vergnügtes Mittagessen ein.

      Die ganzen neuen Eindrücke, dieses exotische Land und meine neue Familie versetzen mich in eine sehr euphorische Stimmung.

      Entgegen meinem Naturell rede ich viel und wie immer genieße ich die Gesellschaft vieler Menschen um mich herum.

      Plötzlich höre ich Jorge stolz seinen Eltern auf Spanisch berichten: „Valeska kommt mit mir in die Schule und erzählt von Deutschland!“

      Jost schaut mich erfreut an: „Wirklich, Valeska? Wie schön! Das ist sehr lieb von dir!“

      „Jorge weiß es sehr zu schätzen, danke“, sagt Isabella auf Englisch.

      „Ich weiß nur noch nicht, was ich erzählen soll“, gestehe ich.

      „Das ergibt sich. Erzähl doch erstmal von deinem Leben in Deutschland, ein paar allgemeine Sachen zur jüngeren Geschichte und zur Geografie. Was junge Leute in Deutschland so machen ...“

      „Okay, das kann ich so machen. Aber bestimmt waren schon einige der Kinder in Deutschland oder kennen etwas davon.“

      „Ja stimmt!“, ruft Jorge begeistert dazwischen. „Ich war ja auch schon mal da. Wir waren in Hamburg, als Papa eine Geschäftsreise gemacht hat, und wir durften ihn begleiten, weil es während der großen Ferien war! Es war wundervoll! Wir haben Oma und Opa König besucht und unsere Tanten auch!“

      Ich erstarre, als ich verstehe, was er da sagt.

      „Moment“, murmele ich fassungslos, „alle wussten Bescheid? Tante Betty und Tante Birga, Oma und Opa, am Ende auch mein Cousin und meine Cousinen??“

      Eine plötzliche Wut überkommt mich: „Entschuldigt mich bitte“, rufe ich erstickt aus und laufe aus dem Zimmer in den Flur.

      ISABELLA

      Josts Tochter rennt aus dem Wohnzimmer, bevor wir ihre Tränen sehen können. Das arme Ding ist ziemlich überfordert, es wundert mich sowieso, dass es erst jetzt aus ihr herausbricht.

      „¡José, por favor! Tröste deine Tochter!“, sage ich zu meinem Gatten.

      Er schaut mich etwas unwillig an, aber dann steht er auf und folgt seiner ältesten Tochter.

      „¡Lo siento, Mama!“, sagt mein Jüngster zerknirscht. „Ich bin schuld, dass Valeska traurig ist!“

      „Nein Schatz. Es ist nicht deine Schuld. Es ist die ganze Situation. Sie hat vor nicht mal fünf Wochen erfahren, dass José ihr Vater ist, und der Mann, den sie ihr Leben lang für ihren Vater hielt, eigentlich ihr Onkel ist.

      Wenn jemand schuld ist, dann ist es leider José, der in seinem Leichtsinn diese verhängnisvolle E-Mail schrieb und sie dann auch noch hierher einladen musste.“

      „Findest du es nicht gut, dass Valeska hier ist?“, mischt sich Juanita ein.

      „Doch, aber wir müssen ihr mehr Zeit geben. Vielleicht hätte sie nicht sofort anreisen sollen. Aber nun ist sie da und ich mische mich da nicht ein. Das ist eine Sache zwischen José und seiner Tochter.

      Er hat sich ja auch immer neutral verhalten, wenn es um die Familie von Ramóns Vater ging.“

      „Oh Mama, ich erinnere mich noch gut! Du meinst, als Ramón fast ins Gefängnis gekommen wäre!“, ruft meine Tochter mitgenommen aus.

      „Mama, was ist damals genau passiert? Ich war doch erst sechs!“, will Jorge wissen.

      Ich seufze, aber entscheide, dass er alt genug ist, es zu erfahren.

      „Ramón liebte seine beiden älteren Cousins Angelo und Carlos. Als er 17 Jahre alt war, verbrachte er, wie so oft, drei Ferienwochen bei ihnen in der Nähe von Asunción.

      Angelo und Carlos waren damals 20 und 22 Jahre alt – leider waren sie in illegale Machenschaften verwickelt, in die sich Ramón hineinziehen ließ. Die beiden kamen dafür einige Jahre ins Gefängnis. Ramón kam aber aufgrund seiner Jugend und weil er zum Glück nur geringfügige Gesetzesverstöße begangen hatte, mit einem blauen Auge davon.“

      „Er wurde doch von der Polizei verprügelt, die Narben sieht man ja noch