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Sprachgewalt


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2017 Poynter Media Trust Survey, ‹https://poyntercdn.blob.core.windows.net/­files/­PoynterMediaTrustSurvey2017.pdf›.

      43E. Van Duyn/J. Collier: Priming and fake news: The effects of elite discourse on evaluations of news media, in: Mass Communication and Society (22), 2019, Nr. 1, S. 29-48.

      44Ebd.

      45Ebd.

      46Für weiterführende Informationen zur Verwendung des Fake News-Begriffs siehe Egelhofer et al., 2020.

      Populismus

      Brian Klug

      Am 29. November 2017 gab das Cambridge Dictionary sein Wort des Jahres bekannt: Populismus.1 Man wählte diesen Begriff nicht nur wegen der Gesamtzahl an Suchanfragen auf der Webseite des Cambridge Dictionary im Jahr 2017, sondern auch wegen der Häufigkeit von Anfragespitzen: also momentanen Höhepunkten in der Zahl der Suchanfragen nach dem Wort Populismus. In einem Kommentar zu dieser Wahl wurde eine Spitze besonders hervorgehoben: die vom 22. Januar 2017. Zwei Tage zuvor war Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden, und Papst Franziskus gab der spanischen Zeitung El Pais ein Interview, in dem er nach der gegenwärtigen Zunahme des Populismus gefragt wurde. Zwei unzusammenhängende Ereignisse an einem Tag, verbunden durch ein einziges Wort, das die Menschen im Laufe von zwölf Monaten angezogen hat wie Motten das Licht. Aber was war es, das sie bei diesem Wort so anzog?

      Wort des Jahres klingt wie Fußballer des Jahres: eine Auszeichnung für herausragende Verdienste. Viele stellen sich vor, dass jedes Wort des Jahres auf die eine oder andere Weise alle anderen Wörter übertreffen müsse. Vielleicht hilft es, über ein komplexes Thema genauer nachzudenken. Vielleicht ermöglicht uns das, präziser zu werden. Komplexität und Klarheit – das wären verdienstvolle Eigenschaften eines Wortes. Aber besitzt das Wort Populismus diese Eigenschaften, und sind sie es, deretwegen die Menschen auf die Website des Cambridge Dictionary strömten? Oder liegt es daran, dass die Bedeutung des Wortes so verschwommen ist, dass die Leute nicht wissen, was sie davon halten sollen? Ich vermute, dass die meisten, die das Wörterbuch konsultierten, hofften, eine Definition zu finden, die den Nebel, der das Wort umgibt, lichten würde.

      Ich fürchte jedoch, dass sie enttäuscht wurden, was eher am Wort als am Wörterbuch liegt. Denn der Populismus ist, wie der Planet Venus, ständig in Wolken gehüllt. Wenn es einen Preis für die verrückteste Auszeichnung des Jahres gäbe, so wäre es diese Wahl des Cambridge Dictionary.

      Dennoch ist das Wort Populismus alles andere als ein leeres Gefäß. Es ist ein wichtiger Begriff in unserem politischen Lexikon. Wir brauchen ihn, um bestimmte politische Persönlichkeiten und Bewegungen zu identifizieren, die heute in der westlichen Welt eine große Rolle spielen und die die Idee einer gerechten, offenen und demokratischen Gesellschaft in vielfältiger Weise bedrohen. Diese aktuellen Bedrohungen, in Europa und in den USA, sind der Kontext, den ich für diesen Aufsatz gewählt habe.

      Und auf den Kontext kommt es an: Denn die Bedeutung des Wortes Populismus ist nicht in Raum und Zeit eingefroren. Von El Pais darauf angesprochen, bemerkte Papst Franziskus, der in Buenos Aires aufgewachsen ist, dass Populismus »ein zweideutiger Begriff« sei. Der Interviewer hatte von »einer Botschaft voller Fremdenfeindlichkeit und Hass auf Ausländer« gesprochen und dies mit Trump veranschaulicht. Dem Pontifex aber kamen andere Assoziationen in den Sinn. Er wies darauf hin, dass in Lateinamerika Populismus etwas anderes bedeutet. Er bedeute, »dass die Menschen – zum Beispiel die Volksbewegungen – die Protagonisten sind« und dass sie »selbstorganisiert« sind. Der Bedeutungsunterschied war so groß, dass er »nicht wusste, was er daraus machen sollte«, als er zum ersten Mal vom Populismus in Europa hörte.2

      Er könnte auch in, sagen wir mal, Bonn oder Berlin, London, Paris oder Washington DC aufgewachsen und trotzdem über das Wort verwirrt sein – und zum Teil aus einem ähnlichen Grund. Vor langer Zeit waren die Worte Populismus und Populist Begriffe, die politische Persönlichkeiten oder Gruppen gerne für sich in Anspruch nahmen. Zum Beispiel die People’s Party, die Volkspartei, die Ende der 1890er-Jahre in den Vereinigten Staaten gegründet wurde. Es handelte sich bei ihr um eine Basisbewegung von Bauern im Westen und Süden, die sich gegen die Banken und Eisenbahngesellschaften zur Wehr setzen wollten. Stolz nannten sie sich bei dem von ihren Gegnern geprägten Namen: »Populisten«.3 Die russischen Narodniki des 19. Jahrhunderts waren eine sozialistische Bewegung, die in den 1860er-Jahren versuchte, die Bauernschaft zum Sturz des Zaren aufzuwiegeln: Ihr Name bedeutet übersetzt »Populisten«.4 Wenn wir viel weiter in der Zeit zurückgehen, bis in die späte Römische Republik, finden wir zwei rivalisierende politische Fraktionen, die Optimaten gegen die Popularen: Die »Aristokraten« (oder »Besten«) gegen die »Populisten«. (Letztere suchte die Unterstützung der Bürgerlichen, aber beide Gruppen waren eher patrizisch als plebejisch.)5 All diese sind Fälle von Populisten mit einem großen »P«: Immer bezeichnete der Begriff die Politik einer bestimmten Partei oder Bewegung. Wenn Sie diese Politik unterstützten, haben Sie sich als Populist zu erkennen gegeben. Aber welcher Politiker würde sich heute noch in Europa oder den USA als Populist bezeichnen?6 »Populist« ist, wie »Rassist« – ein Etikett, das Menschen zwar anderen, aber nicht sich selbst anheften. Es wird pejorativ verwendet. Es ist wie eine Gesundheitswarnung: »Vorsicht Ansteckungsgefahr!«. Der vorherrschende Gebrauch des Wortes in der praktischen Politik heute ist eine Beleidigung. Und auf genau diesen Gebrauch von Populismus und Populist konzentriere ich mich hier im Weiteren.

      Die Verschiebung von einer beschreibenden zu einer pejorativen Bedeutung ist ein Quell der Verwirrung, die diese beiden Wörter umgibt. Hinzu kommt, dass mit ihnen so frei umhergeworfen wird, als hätten sie wenig oder gar keinen Inhalt – das jedenfalls könnte man meinen. Jeder versteht, dass sie vage auf etwas Hässliches hindeuten, aber niemand ist sich ganz sicher, auf was. Trump wird als Populist (im pejorativen Sinne) bezeichnet. Das gilt auch für Bernie Sanders. Man fragt sich: Ist dies im einen Fall gerechtfertigt, im anderen aber nicht? Oder in keinem? Oder in beiden? Was ist die richtige Entscheidung? Wie können wir berechtigte Kritik von ungerechtfertigter Verleumdung unterscheiden? Wir suchen Kriterien. Wir wollen es wissen: Was bedeuten populistisch und Populismus genau? Das war vermutlich die Frage, die sich viele der Menschen stellten, als sie in Scharen auf die Website des Cambridge Dictionary gingen, Populismus in das Suchfeld eingaben und so zum Wort des Jahres machten.

      Die erste Antwort auf die Frage ist, dass es keine Antwort gibt – nicht, wenn Genauigkeit unser Ziel ist. Einige Wörter haben eine Bedeutung, die klar und präzise ist, andere nicht. Populismus und populistisch nicht. Die zweite Antwort ist, dass es eine Antwort geben muss, vorausgesetzt, wir bestehen nicht auf Genauigkeit. Wären diese Wörter völlig bedeutungslos, würde das Humpty-Dumpty-Prinzip der Semantik gelten. »Wenn ich ein Wort verwende«, sagte Humpty Dumpty zu Alice, »bedeutet es genau das, was ich es bedeuten lasse und nichts anderes«.7 Aber das ist falsch, ja sogar gefährlich. In Wirklichkeit wählen wir unsere Worte, nicht ihre Bedeutung – auch wenn sie vage ist. Könnte jeder selbst über die Bedeutungen von Wörtern entscheiden, würde die Sprache verschwinden. Um es noch einmal zu wiederholen: Es muss also eine Antwort geben auf die Frage, was Populismus bedeutet.

      Es gibt eine ganze Heimindustrie, die versucht, den Begriff Populismus zu definieren. Zu diesem Thema ist genügend Tinte verschüttet worden, um einen Öltanker darin schwimmen zu lassen. Auf einer bahnbrechenden Konferenz an der London School of Economics im Mai 1967 gelang es einer großen Versammlung angesehener Wissenschaftler nach langen Beratungen nicht, einen Konsens über den Begriff Populismus zu erzielen.8 Fünfzig Jahre später ist er unter Akademikern nach wie vor heftig umstritten. Aber es liegt in der Natur des wilden Tieres, dass es nicht gefangen werden kann: Manche Wörter – wie auch einige Politiker, und ich denke da nicht nur an Populisten – sind einfach zu schlüpfrig, um sie zu schnappen. Sie verändern ständig ihre Form und entwinden sich unserem Griff. Definitionen spielen eine Rolle, wenn es darum geht, das Wort Populismus zu vermessen. Aber um eine Definition geht es mir nicht, obwohl ich versuche, den Begriff zu erläutern. Lassen Sie