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Sprachgewalt


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Auch da, wo der Patriotismus mit Rechten und Pflichten von Bürgern einhergeht, wird zugegeben, dass die Patrioten häufig außenpolitisch aggressiv oder nach innen diskriminierend in Erscheinung treten. Die ungleichen Brüder sind sich ähnlicher, als auf den ersten Blick sichtbar ist; das war aber noch nie ein Grund dafür, ihre Rollenverteilung grundsätzlich infrage zu stellen. Patriotismus gilt trotz der vielen Überschneidungen mit dem Nationalismus in den meisten Zusammenhängen als etwas Gutes, und wenn Schlechtes mit ihm geschieht, dann heißt es, dass er eben missbraucht worden sei.

      Ich habe selbst einmal versucht, den Patriotismus durch Abgrenzung vom Nationalismus zu retten. Der Patriotismus überlasse es vollständig unserer eigenen Verantwortung, zu definieren, wie und was wir an den Heimaten, denen wir uns zugehörig fühlen, lieben, und wie und auf was wir stolz sein wollen. Der Nationalismus hingegen sei ein historisch bestimmtes, nämlich auf den Nationalstaat, wie er sich seit dem 18. Jahrhundert herausgebildet hat, bezogenes Phänomen und habe sich, laut Hannah Arendt, schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts angesichts der globalen und transnationalen Entwicklungen überlebt. Nationalismus, die besondere und exkludierende Anhänglichkeit an den Nationalstaat, schade seitdem in jeder Form, ganz egal wie gemäßigt und gewaltfrei er daherkommt, weil er das Lösen von Problemen verhindert und durch Exklusion immer nur neue Probleme schafft. Patriotismus hingegen? Warum nicht, wenn das Land, auf das er sich bezieht, gut verfasst ist und Prozeduren und Errungenschaften aufweist, auf die man mit Recht stolz sein kann, selbst wenn es nur die Leistungen der Fußballmannschaft sind? Es liegt ja dann an uns, zu sagen worauf sich unser Patriotismus bezieht, und darüber kann man politisch streiten.

      Die begriffsgeschichtliche Perspektive, die dieser Sammelband vorgibt, entzieht dieser Ehrenrettung aber den Boden und legt nahe, die übliche Argumentation umzudrehen, vom Kopf auf die Füße zu stellen: Gemeinschaften und auch Staaten brauchen die Einstellungen und Verhaltensweisen, die mit Patriotismus in Verbindung gebracht werden. Aber diese Patriotismus zu nennen, beruht auf einem Missverständnis oder tatsächlich auf Missbrauch. Es gibt andere Wörter, um das zu bezeichnen, was am »Patriotismus« gut und wichtig oder manchmal auch nur harmlos ist: Gemeinsinn, Engagement, Heimatliebe, Bekenntnis, Verfassungsliebe, Freiheitssinn, Solidarität, Verpflichtung, Staatstreue, Loyalität, das Hintanstellen von Eigeninteressen hinter die Interessen der Allgemeinheit – oder auch nur Feierlaune. Und es ist zu fragen, was eigentlich der semantische Mehrwert des Patriotismus-Begriffes ist – was fügt er diesen anderen Bezeichnungen hinzu, und wozu?

      Etymologisch liegt die Sache so: Im Griechischen und Lateinischen war der »patriotes« beziehungsweise »patriota« einer, der demselben Vaterland oder derselben Vaterstadt (griech. »patris«, lat. »patria«), der gleichen Gegend angehört; ein Landsmann. Ein Landsmann zu sein und ein Vaterland zu haben, war für die alten Griechen aber nichts, worauf man stolz sein sollte, denn es gab etwas Wertvolleres: die Polis, das Gemeinwesen. In der Polis konnte man frei sein und sich als Bürger bewähren. Deshalb setzten die alten Griechen die Patrioten mit den Barbaren gleich: Leute, die nur eine Heimat haben und eine unverständliche Sprache brabbeln, aber kein politisch verfasstes Gemeinwesen besitzen. Dass das den angeblichen Barbaren möglicherweise unrecht tat, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es darum, dass in der Bezeichnung Patriot ursprünglich eine pejorative Bedeutung mitschwang: NUR eine Herkunft und Heimat haben, nicht aber Teil eines politischen Gemeinwesens zu sein.2 Denn ohne Rechte und Pflichten, ohne politische Teilhabe und soziale Sicherheit kann es ja jederzeit geschehen, dass man aus der Heimat vertrieben wird; für Diogenes Grund genug, gleich ganz ohne herkunftsmäßige Zugehörigkeit auszukommen und sich als Kosmopolit zu verstehen.

      In der Römischen Republik war ein Patriot zwar immer noch nicht mehr als ein Landsmann, aber die Patria wurde nun durchweg positiv konnotiert und der Konflikt zwischen beiden Bedeutungen in dieser positiven Bezugnahme quasi aufgehoben: Cicero unterschied zwar die »patria civitatis«, also das staatsbürgerliche Vaterland, und die »patria naturae«, das irgendwie naturgegebene, nur durch Herkunft definierte Vaterland, beides fällt für ihn aber noch in der Römischen Republik zusammen, gegen deren Niedergang er ankämpfte. Im Zuge der Zerstörung der Römischen Republik jedoch verstand Cicero, der selbst ausgiebig Erfahrungen mit Exil gemacht hatte, schließlich den von den Griechen überlieferten Sinnspruch »ubi bene, ibi patria« – wo es gut ist, dort ist Vaterland – anders als noch Aristophanes gut 300 Jahre vor ihm, nicht mehr als unpolitischen Opportunismus, sondern als Aufforderung, sich dort zu Hause zu fühlen, wo man glückselig und tugendhaft sein kann, auch wenn man keine Res Publica mehr hat.3 Für einen politischen, freiheits- und gerechtigkeitsliebenden Menschen ist die Patria ohne Res Publica eigentlich nichts; wenn ihm die Res Publica aber genommen wird, entkommt er der Frage der Patria nicht mehr. Cicero hat diese Frage dadurch beantwortet, dass er die Heimat vom Herkunftsland löste und nötigenfalls auch im Exil finden konnte.

      Um das – die gedankliche Möglichkeit der Heimat im Exil – zu verhindern, wurde im augusteischen Rom, nach der auch formalen Abschaffung der Republik, die »amor patrii« als Liebe zum Vaterland Teil eines ideologischen Programms, das die Patria ein für alle Mal auf Rom festlegte und die altrömischen, mit der Republik in Verbindung gebrachten Tugenden für die imperiale Herrschaft instrumentalisierte: »dulce et decorum est pro patria mori« – süß und schicklich sei es, so der sich hier dem Kaiser andienende Dichter Horaz, fürs Vaterland zu sterben, auch ohne politische Teilhabe und auch ohne Glückseligkeit. Die verlotterte Jugend müsse hart gemacht werden, wie es die altrömischen Vorväter angeblich gewesen seien; die Männer hätten wieder so zu kämpfen, dass die von der feindlichen Burg herabsehenden Ehefrauen und Bräute ins Seufzen geraten würden.4

      Auch in der Republik, auch in ihren besten Zeiten, war die Patria untrennbar verknüpft mit dem Patriarchat, der Herrschaft des Vaters über den Hausstand. Nur diese Väter hatten ja politische Teilhabe, und damit einher ging die Gewalt über Leben und Tod ihrer Familien – über die Frau, die Kinder und Kindeskinder, die Sklaven und die Freigelassenen. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben sieht in dem absoluten Tötungsrecht des Vaters über seine Söhne eine historische Grundlage der souveränen Macht, der Macht des Staates über die Bürger im Ausnahmezustand.5 Die unterworfenen Söhne konnten eines Tages an die Stelle ihrer Väter rücken, die Töchter nicht, ihr Leben war und blieb immer absolut tötbares Leben. Trotzdem waren sie auf den Staat bezogen. Die römischen Matronen feierten, in den Häusern von Vätern, aber unter ihrem Ausschluss, das Fest der »Bona Dea«, und diese Göttin wurde nicht nur mit der Fruchtbarkeit und Keuschheit der römischen Frauen, sondern auch mit dem Schutz des römischen Staates und des römischen Volkes assoziiert. Das Adjektiv »bonus«« hatte auch die Bedeutung »patriotisch«, »der herrschenden Staatsform zugetan«, »loyal«.6 Auch die Unfreien sollen durch Loyalität und Liebe zum Land und zum Staat gebunden sein. Und tatsächlich war es wohl für die Unfreien attraktiver, sich für das Vaterland aufzuopfern, als einfach nur so getötet zu werden. Die »amor patrii« bestrickt die Unterworfenen, die die Patria bevölkern und den Vätern gehorchen müssen, und lässt sie die Herrschaftsform, die sie knebelt, akzeptieren. Polemisch könnte man zusammenfassen, dass die Patria in der Antike immer nur das war, was übrig blieb, wenn die öffentlichen Belange nicht zugänglich oder zerstört worden waren und wenn man keine politischen Rechte hatte; das, was übrig blieb, um mit Unfreiheit zurechtzukommen.

      Überspringen wir die Begriffsgeschichte des Patriotismus, der als eigenes Wort für die Vaterlandsliebe erst in der europäischen Aufklärung auftauchte. Überspringen wir die Französische Revolution und Napoleon, überspringen wir Rousseau, Kant und Herder, überspringen wir, wie in den Jahrzehnten um 1800 herum im ständigen Rückbezug auf die griechisch-römischen Ursprünge der Patriotismus sowohl als republikanische Tugend und als auch als Liebe und Loyalität zu einem naturwüchsig gedachten Vaterland eine immer größere normative Bedeutung erhielt. Und überspringen wir auch, wie im 19. und 20. Jahrhundert der Patriotismus von seinen Ambivalenzen wie seinen republikanischen Bindungen gereinigt immer nationalistischer wurde, wie er Sozialisten den Verrat am Internationalismus und schließlich, unter der Parole »right or wrong, my country«, nicht nationalistischen, liberalen Demokraten Arrangements mit dem Faschismus und Nationalsozialismus ermöglichte.

      Unter der nationalsozialistischen Herrschaft entfaltete er neue Ambivalenzen, weil er nun verwendet werden konnte, um in Sachen Vaterlandsliebe den Nazis Konkurrenz zu machen,