Und vor ihrem inneren Auge sah sie dabei Josiah Morgans kantiges Gesicht vor sich.
Sie schüttelte sich.
"Nein!", stieß sie hervor.
Verzweifelt versuchte sie, diese Gedanken abzuschütteln.
Aber sie waren einfach in ihr und würden sie weiter verfolgen. Es war ein gnadenloser Kampf, der in ihrem Inneren stattfand. Sally fühlte sich elend.
Sie kroch aus ihren Versteck hervor. Sie war ziemlich dreckig geworden.
Sie wankte vorwärts, bog in eine andere Straße ein, blickte sich alle paar Schritte um. Schüttelfrost hatte sie erfasst.
Ich habe Fieber, ging es ihr durch den Kopf. Bestimmt! Das erste Zeichen der Geißel Gottes... Oder nur Einbildung...
Alles wirbelte in ihren Gedanken durcheinander.
Es fiel ihr schwer, sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren.
Schließlich erreichte sie eine etwas belebtere Straße. Um diese Zeit waren noch keine Passanten unterwegs. Aber es quälten sich bereits Autoschlangen durch die Straßen der Riesenstadt New York.
Wo bin ich?, dachte sie.
Sie hatte etwas die Orientierung verloren. Ihre Flucht war ein heilloses Davonlaufen gewesen. Ohne Ziel, ohne Plan. Nur diktiert von nackter Angst.
Das Zittern erfasste ihren gesamten Körper.
Sie blieb stehen.
An der nächsten Ecke sah sie eine Telefonzelle.
Sie wankte darauf zu. Mit nervösen, hektischen Bewegungen holte sie eine Handvoll Kleingeld aus den Taschen ihrer Jeans heraus. Sie steckte ein paar Münzen in den Schlitz.
Und dann wählte sie eine bestimmte Nummer.
Sie musste sich sehr konzentrieren, um sich an die Reihenfolge der Zahlen richtig zu erinnern.
Es war die Nummer des FBI Field Office von New York City.
42
Gegen Mittag waren wir zurück im Hauptquartier an der Federal Plaza.
Zusammen mit Orry und Clive saßen wir in unserem Dienstzimmer vor dem Bildschirm, um doch noch irgendeinen Strohhalm zu finden, der uns in dieser Sache weiterbringen konnte.
Max Carter von der Fahndungsabteilung schaute zwischendurch kurz bei uns herein.
"Wir haben einen Wagen gefunden, der höchstwahrscheinlich diesem mysteriösen Killer namens Smith gehörte", berichtete er uns. "Jedenfalls lag im Handschuhfach ein Führerschein mit Lichtbild - allerdings auf einen ganz anderen Namen. Milton Leclerk."
"Und?", hakte ich nach. "Haben wir irgendetwas unter diesem Namen?"
"Nein, gar nichts. Straffällig ist der Mann nie gewesen. Zumindest nicht so, dass es aktenkundig wurde. Aber vielleicht finden wir noch was raus."
Jedes Detail konnte am Ende entscheidend sein.
Milo wollte gerade aufstehen, um sich einen Becher Kaffee zu holen, da schrillte das Telefon.
Ich nahm ab.
"Hier Agent Trevellian, FBI", meldete ich mich korrekt.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung war mir bekannt.
"Jesse..." flüsterte sie. Ich hörte ihren Atem. Eine Frau in höchster Todesangst. Die Stimme vibrierte. "Können Sie mich hören?"
Es war Sally Hiram, da gab es für mich keinen Zweifel.
Ich drückte einen Knopf und das Gespräch wurde aufgezeichnet. Ich schaltete den Lautsprecher ein, damit alle im Raum mithören konnten.
Milo ging kurz hinaus, um zu veranlassen, dass der Anruf zurückverfolgt wurde.
"Jesse, hören Sie mir gut zu..."
"Sagen Sie nur wo Sie sind, Sally!"
"Das spielt keine Rolle..."
Der Geräuschkulisse nach telefonierte sie aus einer Zelle heraus. Im Hintergrund war Motorenlärm zu hören.
"Hören Sie mich Jesse... Es wird es etwas Furchtbares geschehen! Sie werden einen grausamen Plan vollenden und ich weiß nicht..." Sie stockte. Ich hörte sie schlucken. "Ich kann nicht glauben, dass Gott das will... Ich bin so verwirrt..."
"Wer sind SIE?" fragte ich. "Die AUSERWÄHLTEN DER APOKALYPSE?"
Ich musste sie irgendwie dazu animieren weiter zu reden.
Das Gespräch durfte auf keinen Fall abreißen.
"Sie wissen davon?"
"Sie sprachen von einem Plan..."
"Die Geißel Gottes soll New York vernichten", brachte sie dann hervor. "Die U-Bahn... Von der U-Bahn aus wird sie sich über die ganze Stadt verbreiten... Mein Gott... Sie..."
"Bleiben Sie dran, Sally!", rief ich.
"Ich bin ganz verwirrt... Ich will nicht sterben!" Ich hörte sie schluchzen.
"Wenn Sie mir sagen, wo Sie sind, komme ich zu Ihnen", versprach ich. "Dann kann ich Ihnen helfen."
"Mir helfen?", echote sie.
Ihre Stimme klang müde. Fast lethargisch.
Ich fragt mich, was um alles in der Welt mit ihr geschehen sein mochte.
Plötzlich sagte sie: "Mir kann niemand mehr helfen..."
"Wo sind Sie?", fragte ich noch einmal.
"Sie kommen..."
"Wer...?"
"Die Männer des Propheten! Mein Gott!"
Das letzte war beinahe ein Schrei.
"Sally!", rief ich.
Aber es war zu spät. Die Verbindung war unterbrochen.
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