Die Türen gingen auf. Unsere Kollegen sprangen aus dem Wagen. Mit der Waffe im Anschlag gingen sie in Deckung.
Im Hintergrund waren aus der Ferne Sirenen von Polizeifahrzeugen zu hören.
Jezt rissen den Gang-Mitgliedern die Nerven. Die Maschinenpistolen knatterten los. Die Scheiben des Chevy zerbarsten. Orry hechtete hinter einen abgestellten Buick, der fast nur noch aus Rost zu bestehen schien, und feuerte zurück.
Clive hatte Deckung hinter dem Chevy gefunden. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wagte er es, dahinter hervorzutauchen.
Die Mündungsfeuer züngelten rot aus den MPis heraus. Die Projektile sprengten ganze Steinbrocken aus den Hauswänden heraus.
Milo gab mir Feuerschutz so gut er konnte.
Ich zog Lennox mit mir. Nach ein paar Schritten hatten wir die Einfahrt erreicht. Hinter einem Mauervorsprung gab es notdürftige Deckung.
Die Sirenen wurden indessen immer lauter.
Offenbar hatte einer meiner Kollegen zuvor Verstärkung vom zuständigen Revier der City Police angefordert.
Unseren Gegnern wurde die Situation jetzt offensichtlich zu heiß. Sie stiegen in ihre Wagen. Dabei ballerten sie wie wild um sich, ohne richtig zu zielen. Ihre Feuerkraft war der unseren haushoch überlegen. Türen klappten zu. Die Motoren der beiden Chrysler heulten auf. Einer der Geländewagen setzte zurück, rammte einen der abgestellten Wracks und drehte dann mit quietschenden Reifen. Eine Mülltonne wurde ein paar Meter später auf den Kühlergrill genommen und flog im hohen Bogen durch die Luft. Das scheppernde Geräusch übertönte für einen Moment sogar die Schießerei und die Motoren.
Der zweite Wagen versuchte auf ähnlich abenteuerliche Weise zu wenden, blieb aber an einer Straßenlaterne hängen.
Als der Geschosshagel, der auf uns abgefeuert wurde, für einen Moment nachließ, tauchte Orry aus seiner Deckung hervor. Ein gezielter Schuss folgte, der aber anstatt des linken Hinterrades nur das Blech des Kotflügels traf. Funken sprühten.
Der Chrysler schlug einen Haken.
Aus dem Fenster ragte der Lauf einer MPi heraus. Die Waffe knatterte los.
Orry feuerte noch einmal.
Ein Reifen platzte.
Der Geruch von verbranntem Gummi verbreitete sich.
Mit Mühe blieb der Chrysler auf der Fahrbahn. Die blanke Felge schrammte über den Asphalt. Die Funken sprühten so hoch wie bei Schweißarbeiten. Dann jagte er in einen uralten VW
Käfer hinein. Dem Fahrer gelang es einfach nicht, das Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Es gab einen dumpfen Knall. Und Sekunden später einen zweiten, als der andere Geländewagen von hinten aufprallte.
Die Sirenen wurden jetzt geradezu ohrenbetäubend. Von vorne tauchte ein Einsatzwagen des NYPD auf, kurz danach ein zweiter und ein dritter. Auch von der anderen Seite kamen Polizeifahrzeuge. Wenn die City Police sich in eine Gegend wie diese wagte, dann in der Regel nur mit massivem Aufgebot.
Die Männer in den beiden Chryslers saßen in der Klemme.
Und sie begriffen das jetzt auch.
Sie hatten keine Chance mehr, zu entkommen.
Die Schießerei verebbte.
Eine Megafonstimme forderte die Insassen der Chryslers dazu auf sich zu ergeben.
46
Lennox war ein alter Bekannter. Bereits eine Telefonabfrage in der Zentrale wies ihn als hochrangiges Mitglied der sogenannten T-Gang aus, die unseren Erkenntnissen nach den Crack-Handel in einem Dutzend Straßenzügen kontrollierte.
T stand für TERROR.
Lennox war mehrfach vorbestraft.
Ich ging mit ihm erst zu der Leiche im Hinterhof, dann zu der im zweiten Geschoss. Er zeigte keinerlei Regung, verzog nur verächtlich das Gesicht.
"Warum mussten diese Leute sterben?", fragte ich.
"Ich habe doch das Recht zu schweigen, oder? Hast du doch selbst gesagt.."
"Das ist richtig."
"Also mache ich Gebrauch davon."
"Hör mal..."
"Bist du schwer von Begriff, G-man, oder was ist los?"
Ich atmete tief durch. Ich musste mir Mühe geben, ruhig zu bleiben. Er versuchte, mich zu provozieren, aber wenn ich mich darauf einließ, hatte ich noch schlechtere Karten, mit ihm ein Stück weiterzukommen.
Es ging hier schließlich nicht nur um die Aufklärung eines Doppelmordes oder die Ausschaltung einer kriminellen Gang.
Es ging um viel mehr.
Vielleicht um die Existenz einer ganzen Stadt...
Ich zeigte Lennox eines der Fahndungsfotos, die wir von Sally Hiram hatten. Das Bild stammte aus ihrer New Yorker Wohnung. "Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?", fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
"Nein."
"Sie hat etwa eine Viertelstunde, bevor wir Sie hier erwischt haben von der Telefonzelle an der Ecke aus mit uns gesprochen."
"Na und? Was hat das mit mir zu tun? Ich kenne die Lady nicht und damit basta."
"Du steckst bis zum Hals im Dreck", sagte ich. "Vielleicht solltest du mal etwas tun, was man dir am Ende positiv anrechnen könnte..."
"Vergiss es, G-man!", zischte er.
Ich ließ ihn abführen.
"Ein harter Brocken", meinte Milo, der das Gespräch mitangehört hatte. "Vielleicht bekommen unsere Vernehmungsspezialisten ja etwas aus ihm heraus."
"Hoffentlich."
Der Gerichtsmediziner betrat den kahlen Raum, in dem wir den ersten Toten gefunden hatten. Es handelte sich um den Pathologen Dr. Gallimard, den ich schon von anderen Einsätzen her kannte. Er grüßte uns knapp.
"Haben Sie sich den Toten draußen im Hinterhof schon angesehen?"
"Nein."
"Ich möchte wissen, ob er eine Tätowierung zwischen den Schulterblättern hat. Die Sache eilt. Ich will Ihnen nicht ins Handwerk pfuschen, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir das noch hier am Tatort überprüfen könnten."
Gallimard nickte.
"Das geht in Ordnung, Jesse."
"Gut."