Cedric Balmore

Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis


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      3.

      Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, dazu sehr warm im Präsidium. Thomas Faust sprang die Treppenstufen in gewohnter Weise hinunter, die leichte Jacke über dem Arm. Einem Kriminalbeamten sah man es an einem solchen Tag nach, wenn er in Hemdsärmeln herumlief, zumindest in seiner Freizeit. Schließlich sollten die Herren Kriminale sich ja so unauffällig wie möglich geben, und so mancher der uniformierten Beamten der Schutzpolizei mochte sie darum beneiden. In Braunschweig wurde 1920 aus der SiPo, der Sicherheitspolizei, die SchuPo, die Schutzpolizei. Und die schwarzen Uniformen mit den blauen Aufschlägen und dem schwarzen Tschako erwiesen sich zwar als durchaus praktisch im Alltag, nicht jedoch an besonders heißen Tagen. Und die leichten Sommeruniformen, die Faust während der Kutschfahrt zum Vortrag bemerkt hatte, waren zunächst nur den Beamten, die ihren schweren Dienst oft in praller Sonne auf den Verkehrsknotenpunkten wie vor dem Bahnhof oder am Hagenmarkt taten, vorbehalten.

      Auf der letzten Stufe verharrte der junge Polizeiagent und betrachtete erstaunt die sich ihm hier bietende Szene.

      Gegenüber vom Polizeipräsidium stand eine schlanke Frauengestalt neben einem roten Sportwagen und sprach mit einem Polizisten, der einen Notizblock in der Hand hielt. Nicht nur die auffällige Hose der Dame verriet ihm auf einen Blick, wer hier neben dem Automobil stand. Die kurzen, dunklen Haare wurden nur knapp von einem Glockenhut verdeckt, dessen Krempe die Trägerin jedoch an der Stirn hochgeschlagen hatte. Heute trug Dorothee Keller zu der weiten, modischen Hose eine schlichte, weiße Bluse und darüber – Faust schluckte – eine Weste, die wohl für einen Herrn geschneidert war, denn die Wissenschaftlerin hatte nur zwei Knöpfe verschlossen und betonte damit ihre Oberweite, die wirkungsvoll in dem Ausschnitt zur Geltung kam.

      Fräulein Keller blickte auf, als er zu ihr herüber schlenderte, und sagte mit einem theatralischen Tonfall: „Sehen Sie doch selbst, Herr Wachtmeister, da kommt Herr Faust schon.“

      Der Polizeiagent grüßte freundlich und erkundigte sich: „Womit kann ich helfen, Fräulein Doktor Keller?“

      Bei dieser Anrede blickte der Schutzmann erstaunt von seinen Notizen auf.

      „Sie kennen die Dame also wirklich, Herr Faust?“, erkundigte sich der Beamte und sah ihn verwundert an.

      „Ja, das ist Fräulein Doktor Keller, Wissenschaftlerin aus Amerika und zu Besuch in Braunschweig. Wir haben uns gestern in Brünings Saalbau kennengelernt.“

      Der Polizist reagierte sofort.

      „Bei der Ermordung unseres Polizeipräsidenten?“

      „So ist es, Wachtmeister. Aber Sie sind dabei, die Dame aufzuschreiben?“

      Der Polizist klappte sein Notizbuch zu, strich sich links und rechts den Schnurrbart glatt und antwortete dann:

      „Das hat sich gerade erledigt, Herr Faust. Dann ist die Dame also doch eine Kollegin. Wünsche noch einen angenehmen Nachmittag!“ Damit salutierte er und überquerte die Münzstraße, um zur Kreuzung am Damm zu eilen.

      Das helle Lachen der jungen Dame riss Faust aus seinen Überlegungen. Er hatte über die Worte des Wachtmeisters noch nachgedacht und ihm dabei sinnend hinterhergesehen.

      „Können wir starten, Herr Faust?“

      Lächelnd deutete die junge Wissenschaftlerin auf das rote Auto, das ein amerikanisches Verdeck aufwies, also ein Cabriolet war, wie man schon früher die leichten, einspännigen und offenen Kutschen nannte. Irritiert musterte Faust rasch den kleinen Sportwagen und war begeistert. Inzwischen hatte Dorothee Keller sich hinter das Lenkrad geklemmt und den Motor gestartet. Als sie nun auch noch die Hupe betätigte, warf Faust einen raschen Blick hinüber zum Präsidium, schließlich sprang er auf den Beifahrersitz, und klammerte sich fest, als seine Chauffeurin rasch beschleunigte und in Richtung Steinweg fuhr.

      „Was haben Sie vor, Fräulein Keller?“

      „Sie haben doch dienstfrei, oder nicht? Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein. Es ist an der Zeit, dass wir uns ein wenig besser kennenlernen!“

      Der Blick, den sie ihm dabei unter ihrem modischen Hut zuwarf, elektrisierte Faust förmlich. Der Augenblick schien ihm länger, als mit dem Autofahren verträglich, aber da blickte sie schon wieder durch die senkrecht stehende Frontscheibe und fuhr am 1861 eröffneten Staatstheater vorbei auf die Kaiser-Wilhelm-Allee und lenkte stadtauswärts.

      Thomas Faust dachte gerade daran, dass man den Namen dieser Prachtstraße kürzlich in Friedensallee umgeändert hatte. Unsinnige Umbenennung, denn wenn auch die Monarchie nach Kriegsende 1918 abgeschafft wurde, redete kein Mensch in unserer Stadt von einer Friedensallee, dachte Faust, als ihm plötzlich etwas anderes einfiel. Was hatte der Schutzmann noch gesagt? Dann ist die Dame also doch eine Kollegin. Was war das für ein Blödsinn? Durch den Motorenlärm war eine Unterhaltung nicht sonderlich angenehm, aber Faust stellte nun doch die Frage: „Der Polizist wollte Sie zur Anzeige bringen, Fräulein Keller, und was haben Sie ihm da gesagt?“

      Erneuter Augenkontakt, ein spöttisches Lächeln um die Lippen, dann hob sie leicht ihre Kinnspitze und antwortete: „Der Wachtmeister war der Meinung, dass ich nicht gegenüber dem Präsidium mein Automobil abstellen dürfe, auch nicht, um auf eine Person zu warten, wie ich ihm erklärte.“

      „Das ist vollkommen richtig von dem Mann gewesen. In der Münzstraße verkehrt die Elektrische, und wenn am Straßenrand ein Fahrzeug steht, kann es zu Problemen kommen. Stellen Sie sich vor, ein Kohlenhändler will dort anliefern und kommt nicht zwischen der Bahn und Ihrem Auto durch – und schon haben wir große Schwierigkeiten, denn die Bahn muss ja pünktlich sein.“

      „Ja, verstehe. Es war aber kein Kohlenhändler weit und breit zu sehen. Auch kein Mensch mit einem Handkarren.“

      Erneuter, spöttischer Seitenblick.

      Diese Blicke! Sie macht mich ganz konfus! Hat sie das einstudiert oder ist es ihre normale, natürliche Art?, fragte Faust sich. „Sicher, der Mann tat auch nur seine Pflicht, noch dazu, gegenüber vom Präsidium, wo ihn die Kollegen beobachten konnten. Aber weshalb glaubte er, dass Sie eine Kollegin sind?“

      Fräulein Keller lachte erneut belustigt auf, fuhr mit der rechten Hand an ihre Sitzseite und zog ein kleines, bedrucktes Kärtchen heraus, das sie ihm aushändigte. Faust las verwundert: Dr. Dr. Dorothee Keller. Kriminalistin & Detektivin. Und in einer eleganten Schrift darunter stand die Zeile: Honorably City of Chicago Sheriff. Daneben war ein fünfzackiger Stern erkennbar. Faust fühlte das kostbare Papier und tastete über den geprägten Stern.

      „Und das hat unser Schutzmann für einen Ausweis gehalten, mit dem Sie sich als amerikanischer Polizist vorgestellt haben?“

      „Ehren-Sheriff, genauer gesagt, Herr Faust. Es ist meine legale, vollständige Visitenkarte, die ich mir für Deutschland herstellen ließ. Ich habe vor, in meinem Haus ein kriminalistisches Institut mit einem Labor einzurichten. Aber lassen Sie sich überraschen, wir sind gleich am Ziel.“

      Der Polizeiagent erkannte, dass sie nun in die Wilhelm-Bode-Straße einbogen und wenig später vor einer Toreinfahrt anhielten, hinter der eine gepflasterte Zufahrt zu einer weiter zurückliegende Villa führte. Wie durch Zauberhand öffnete sich das große, schmiedeeiserne Tor, und der rote Sportwagen brummte in rascher Fahrt bis vor die Villa. Der Motor verstummte plötzlich, und in die entstandene Stille hinein ertönte erneut das fröhliche Gelächter der jungen Frau.

      „Sie müssten einmal Ihr Gesicht in einem Spiegel betrachten, Herr Faust! Fast könnte man glauben, ich hätte Sie beeindruckt!“

      Faust räusperte sich rasch, kletterte aus dem Wagen und eilte auf die andere Seite,