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Betreuung und Pflege geistig behinderter und chronisch psychisch kranker Menschen im Alter


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konnten die Situation und den/die Bewohner für die filmische Aufnahme einer optimalen Umsetzung ihrer Konzepte in der Praxis bestimmen. Die Handlungsinhalte der insgesamt 66 Videosequenzen sind in Kasten 2 (image Anlage Kasten 2) aufgeführt. Das gefilmte Verhalten von Mitarbeitern und Bewohnern wurde in einem ersten Schritt transkribiert. In einem zweiten Durchgang wurden redundante Verhaltensweisen dokumentiert, und in einem weiteren Schritt wurden diese zu Handlungseinheiten zusammengefasst. Es fanden sich insgesamt 30 Kategorien, die die Gesamtheit gefilmter relevanter Handlungseinheiten beschreiben, d. h., sie enthalten alle gefilmten Aktivitäten der Mitarbeiter (image Anlage Kasten 3).

      Die Analyse des filmischen Materials konnte jene Konzepte abbilden, die in der Praxis in Pflege und Betreuung bei den verschiedenen Personengruppen – geistig behinderte, psychisch kranke und demenziell erkrankte Menschen – angewendet wurden. In individuell geführten Reflexionsgesprächen wurden die entwickelten Konzepte jeweils durch die einzelnen Mitarbeiter validiert.

      Im ersten Teil dieses Buchs werden in den Kapiteln 1 und 2 Alternsprozesse und Krankheitsprozesse von Menschen mit geistiger Behinderung bzw. mit chronisch psychischer Erkrankung beschrieben, ebenso die Ergebnisse der Befragung zu deren Bedarfen und Bedürfnissen. Kapitel 3 befasst sich mit den beteiligten Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe und beschreibt Lücken in der Versorgung, die sich aus einem nicht ausreichend differenzierten Kompetenzprofil der Mitarbeiter ergeben. In Kapitel 4 werden die spezifischen Problembereiche von Mitarbeitern aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe mit Bezug auf spezifische Anforderungen und Belastungen im Beruf miteinander verglichen. In Kapitel 5 finden sich Literaturangaben zum Text und weiterführende Literatur für interessierte Leser. Den Abschluss bilden mit Kapitel 6 erste Ergebnisse einer Studie zur gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfserhebung bei Menschen mit geistiger Behinderung.

      Im zweiten Teil dieses Buchs kommen die Mitarbeiter von Einrichtungen der Altenhilfe und der Behindertenhilfe zu Wort. In 30 Beiträgen werden Themenbereiche, die für die Pflege und Betreuung geistig behinderter und psychisch kranker Menschen relevant sind, aus der langjährigen Erfahrung, die in der alltäglichen Praxis erworben wurde, dargestellt. In dieser 2. Auflage kommen sechs Biografien von älteren geistig behinderten Menschen hinzu, die im Rahmen einer Fortbildung von den Bezugspflegern erarbeitet wurden.

      Im dritten Teil werden in Kapitel 1 die berufliche Ausbildung von Heilerziehungspflegern und von Altenpflegern einander gegenübergestellt und Folgerungen für die Pflege und Betreuung von geistig behinderten und chronisch psychisch kranken Menschen entwickelt. In Kapitel 2 wird auf die erarbeiteten Konzepte näher eingegangen und die Ergebnisse sowie ihre Strukturierung erläutert.

      Die Robert Bosch Stiftung hat 2003 bis 2005 dieses Projekt begleitet und großzügig finanziell unterstützt. Die Herausgeberin dankt dem Kohlhammer Verlag, der es ermöglicht hat, diese Studie in einer zweiten Auflage zu veröffentlichen, und Frau Alexandra Schierock sowie Frau Verena Geywitz für die konstruktive Begleitung. Ebenso danke ich allen Mitautoren für ihr persönliches Engagement, das nicht zuletzt in den von ihnen geleisteten Beiträgen deutlich zum Ausdruck kommt.

      I Bewohner und Mitarbeiter in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe mit Schwerpunkt psychische Erkrankung

      1 Menschen mit geistiger Behinderung

      1.1 Demografische Entwicklung und Mortalität

      Die Lebenserwartung der Bevölkerung hat sich in den letzten 100 Jahren fast verdoppelt: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wurden Frauen 48, Männer 45 Jahre alt. Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt bei Mädchen 84,1 Jahre, bei Jungs 79,1 Jahre. Auch die Struktur innerhalb der Bevölkerung verändert sich: der höchste Zuwachs findet sich in der Gruppe der 80-Jährigen und Älteren. Bei ihnen ist mit einem Zuwachs auf 12,1 % bis 2050 zu rechnen, das bedeutet eine Verdoppelung ausgehend vom Jahr 2018 mit einem Anteil von 6,1 %. Zugleich nimmt der Anteil der jüngeren Bevölkerung ab (Statistisches Bundesamt 2019). Das bedeutet, dass die Anzahl pflegebedürftiger Menschen nach Berechnungen des BiB (2019) aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmen wird. Der Pflegebedarf in der Altersgruppe der über 90-Jährigen wird bis 2050 um das 2,6-Fache, bei 80- bis 89-Jährigen um das 1,8-Fache zunehmen, dagegen nimmt der Pflegebedarf in der Altersgruppe der 70-Jährigen und Jüngeren leicht ab.

      Die Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird geringer, da die Sterblichkeit durch Herzinfarkt und Schlaganfall stark zurückgeht. Diese Entwicklung kann sowohl auf eine verbesserte gesundheitliche Versorgung als auch auf die Umsetzung von Maßnahmen der Prävention zurückgeführt werden. Li et al. (2020) haben über einen Beobachtungszeitraum von über 30 Jahren bei gesunden männlichen und weiblichen Probanden dokumentiert, dass durch Vermeidung der fünf zentralen Risikofaktoren – Rauchen, hoher BMI, Alkohol, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung – sowohl die Lebenserwartung als auch die krankheitsfreie Lebenszeit ab dem 50. Lebensjahr verlängert werden können, bei männlichen Probanden um zusätzliche 7,6, bei Frauen um 10 gesunde Jahre. Gesunde Jahre werden definiert als von Diabetes mellitus, Herzkreislauf- und Krebserkrankungen freie Jahre.

      Norton et al. (2014) zeigen auf, dass durch Aufklären der Bevölkerung über die oben beschriebenen primärpräventiven Maßnahmen und deren Umsetzung möglicherweise auch der erwartete hohe Zuwachs an demenziellen Erkrankungen in Zukunft gemildert werden kann. Cerebro-vaskuläre Erkrankungen treten im höheren Alter häufig auf, sie können zu einer vaskulären Demenz führen und in Verbindung mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ deren Verlauf beschleunigen. Wenn es gelingt, durch Umsetzung präventiver Maßnahmen langfristig die Entwicklung von atherosklerotischen Gefäßveränderungen zu vermeiden oder zu verlangsamen, könnte sich der Zuwachs an demenziellen Erkrankungen in naher Zukunft reduzieren.

      Matthews et al. (2013) beobachteten Probanden der Altersgruppe 65+ über 20 Jahre und beschreiben in ihren Ergebnissen einen Kohorten-Effekt, d. h., das Risiko an Demenz zu erkranken ist bei der jüngeren Population geringer, möglicherweise wegen einer systematischen Anwendung und Umsetzung von primärpräventiven Maßnahmen, die zu einer Reduktion von cerebro-vaskulären Erkrankungen führt. Larson et al. (2013) interpretieren die Ergebnisse von verschiedenen Längsschnittsstudien, welche dokumentieren, dass jeweils die jüngeren Kohorten im Vergleich zu den älteren eine geringere Inzidenz von demenziellen Erkrankungen zeigen. Sie führen diese Ergebnisse auf den höheren Bildungsstand und eine bessere Akzeptanz und Umsetzung von primärpräventiven Maßnahmen der jüngeren Kohorten zurück.

      Der demografische Wandel betrifft Menschen mit geistiger Behinderung in gleicher Weise wie die Gesamtbevölkerung, denn die Betreuung, die Wohnverhältnisse, die Ernährung, der Lebensstil und die medizinische Versorgung haben sich für die wenigen Überlebenden des Dritten Reichs und die nach dem Krieg geborenen geistig behinderten Menschen deutlich gewandelt. Erfahrungen mit Alternsprozessen sind in der Bundesrepublik nur in eingeschränktem Ausmaß vorhanden, denn die heute lebenden geistig behinderten Menschen sind überwiegend nach dem Krieg geboren. Demografische und epidemiologische Daten sowie Erfahrungsberichte werden daher häufig der internationalen Literatur entnommen.

      Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung gleicht sich allmählich jener der Gesamtbevölkerung an, ohne diese jedoch zu erreichen; sie ist umso geringer, je schwerer die Ausprägung der geistigen Behinderung ist. Das Down-Syndrom ist eine häufige Ursache einer geistigen Behinderung, Menschen mit Down-Syndrom haben eine kürzere Lebenserwartung im Vergleich zu geistig behinderten Menschen ohne Down-Syndrom. Die Ursache dafür sind angeborene Fehlbildungen, die eine erhöhte Sterblichkeit in jüngeren Altersgruppen zur Folge haben, hinzukommt, dass demenzielle Erkrankungen häufig schon in der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen auftreten.

      Abb. 1 zeigt die durchschnittliche Lebenserwartung von geistig behinderten Menschen in verschiedenen Altersgruppen. Die Lebenserwartung ist bei Menschen mit Down-Syndrom deutlich geringer.

      Die durchschnittliche Lebenserwartung von geistig behinderten Menschen und insbesondere jene von Menschen mit Down-Syndrom