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Betreuung und Pflege geistig behinderter und chronisch psychisch kranker Menschen im Alter


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zu sehen. Der Umgang mit Verlusten fällt auch vielen Menschen ohne geistige Behinderung sehr schwer, und Ungeduld und Aggressivität sind keine ungewöhnliche Antwort auf erfahrene Einschränkungen.

      Das Verhältnis zu Tod und Sterben ist sowohl bei Bewohnern als auch bei Mitarbeitern häufig ambivalent. Viele Bewohner zeigen Angst vor dem Tod, der sich zunehmend auf der Wohngruppe ereignet. Der Tod wird nicht von allen als selbstverständlich angenommen, dies ist nur jenen möglich, die eine religiöse Bindung erfahren haben, die von den Mitarbeitern unterstützt und begleitet werden kann. Trauer wird auf der Gruppe gemeinsam von Mitarbeitern und Bewohnern bewältigt. Der Glaube ist wichtig für die älteren geistig behinderten Menschen, es gibt Sicherheit zu wissen, »wohin man geht, wenn man stirbt.« In dieser Situation weckt die Unsicherheit, ob ein Verbleib auf der Wohngruppe auch bei steigendem Pflegebedarf möglich ist, Ängste, möglicherweise in eine fremde Umgebung wechseln zu müssen.

      Die Mitarbeiter beobachten, dass in dieser Lebensphase die Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen zunimmt. Das gehäufte Auftreten von Depressionen oder das Verlassen der Realität und Eintauchen in eine Psychose wird interpretiert als eine Antwort des Bewohners auf einen Mangel an Zuwendung, wenn beispielsweise auf der Gruppe zu viel zu tun und keine Zeit für eine angemessene individuelle Betreuung vorhanden ist. Nach Aussagen der Mitarbeiter kann nicht mehr individuell, sondern nur noch in der Gruppe betreut werden. Die Bewohner jedoch werden durch die wahrgenommenen Verluste »dünnhäutiger«, sie reagieren rascher und intensiver auf Belastungen oder zeigen bei Überforderung überhaupt keine Reaktionen mehr. Als eine sehr große Belastung wird der häufige Personalwechsel empfunden, da auf diese Weise entstandene Beziehungen verloren gehen, und es den Bewohnern immer schwerer fällt, einem neuen, ihnen unbekannten Mitarbeiter zu vertrauen und eine neue Beziehung aufzubauen.

      Es gibt keine Grundlage dafür, dass Menschen mit geistiger Behinderung in anderer Weise altern als die Gesamtbevölkerung. Unterschiede sind einerseits auf die körperlichen und kognitiven Einschränkungen zurückzuführen, deren Ursache die geistige Behinderung bildet, andererseits haben ältere Menschen mit geistiger Behinderung ihr Leben meist unter Bedingungen zugebracht, die nicht verglichen werden können mit den Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung.

      Alternsprozesse sind normale, d. h. nicht krankhafte Prozesse, die um das 30. Lebensjahr nach Abschluss der körperlichen Entwicklung und Reifung einsetzen; sie zeichnen sich durch ihren irreversiblen Charakter aus und sind nicht umkehrbar. Unterschiede, die sich in der Ausprägung körperlicher Alternsprozesse und im Fortschreiten der Veränderungen zeigen, sind auf familiäre Veranlagung, bestehende Erkrankungen und auf das Ausmaß, in dem das Individuum körperliche Funktionen trainiert und einen gesunden Lebensstil beachtet, zurückzuführen (Ding-Greiner/Lang 2004).

      Kognitives Altern ist ein ebenfalls physiologischer Alternsprozess, der sowohl Einbußen als auch Wachstum in einzelnen Leistungskomponenten umfasst. Einbußen zeigen sich bei jenen Funktionen, die an biologische Strukturen gebunden sind und genauso wie andere körperliche Funktionen einen Abbau nach dem 30. Lebensjahr zeigen. Es handelt sich um die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden, die Gedächtnisleistung, die Wahrnehmung, die Umstellungsfähigkeit, die Bewältigung neuartiger kognitiver Probleme und die Psychomotorik. Die erfahrungsgebundene Intelligenz zeigt Gewinne durch im Lebenslauf erworbene Fach- und Daseinskompetenzen, das sind Handlungs- und Bewältigungsstrategien, spezifische Wissenssysteme, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die alterskorrelierte Verluste häufig kompensieren können.

      Vier Faktoren bestimmen im Wesentlichen den Verlauf von Alternsprozessen:

      1. Die genetische Veranlagung bestimmt das Ausmaß an irreversiblen Schäden, die auf Zellalterung zurückzuführen sind, es treten fehlerhafte Stoffwechselprozesse auf, eine Verminderung der Parenchymzellen und dadurch eine verminderte Belastbarkeit der Organsysteme. Zellalterung ist zu verstehen als ein Ruhezustand der Zelle verbunden mit dem Verlust der Teilungsfähigkeit. Sie findet sich in allen Geweben unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Sie bestimmt die Alternsprozesse, welche zur Alterung des Organismus führen und ist die Ursache von chronischen Erkrankungen. Sie spielt in der Entwicklung des Organismus jedoch zusätzlich eine zentrale und positive Rolle, beispielweise bei der Embryogenese, beim Gewebeumbau, bei Verletzungen und Heilungsprozessen sowie bei Krebserkrankungen (Calcinotto, 2019). Das Genom hat einen entscheidenden und zielgerichteten Einfluss auf die biologische Entwicklung etwa bis zum 30. Lebensjahr, es enthält jedoch nach heutigem Kenntnisstand keine spezifischen Instruktionen für das Altern, daher nimmt der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung im Alter möglicherweise zu.

      2. Die Effektivität zellulärer Reparaturmechanismen, die fortlaufend den entstandenen zellulären Schädigungen entgegenwirken, nimmt mit dem Alter ab.

      3. Eine den Organismus belastende Umwelt wie beispielsweise schlechte hygienische Verhältnisse, eine defizitäre gesundheitlich-medizinische Versorgung, Mangelernährung oder psychische Belastungen beschleunigen den Verlauf von Alternsprozessen.

      4. Das Verhalten des Individuums kann den Alternsprozess beeinflussen. Rauchen, Fehlernährung und Bewegungsmangel können Alternsprozesse beschleunigen, ein gesunder Lebensstil kann ihren Ablauf verlangsamen.

      Alternsprozesse verlaufen grundsätzlich bei geistig behinderten Menschen in gleicher Weise wie bei anderen Menschen. Das Ausmaß vorbestehender Schädigungen jedoch, die die Ursache der geistigen Behinderung bilden oder die im Lebenslauf entstanden sind, bestimmen auch das Ausmaß und vor allen Dingen den Verlauf von Alternsprozessen (Ding-Greiner/Kruse 2004).

      Bei Menschen mit geistiger Behinderung wird unterschieden zwischen Symptomen und Erkrankungen, die auf die Ursachen der geistigen Behinderung zurückzuführen sind – angeborene Schäden und Missbildungen – und den für das Alter typischen entzündlichen und degenerativen Erkrankungen, die genauso wie in der Gesamtbevölkerung auftreten. Alternsprozesse können angeborene Störungen überlagern.

      Multimorbidität tritt in der Gesamtbevölkerung im höheren Lebensalter auf. Barnett et al. (2012) definieren Multimorbidität als das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehr Erkrankungen. In ihrer Arbeit analysieren sie Daten von Patienten aus der Gesamtbevölkerung aller Altersgruppen. Die Autoren differenzieren zwischen Multimorbidität körperlicher Erkrankungen einerseits und andererseits einer Kombination von mehr als zwei Erkrankungen sowohl im körperlichen als auch im psychischen Bereich. In der Gesamtstichprobe tritt Multimorbidität in 23,2 % auf, 8,3 % der Stichprobe zeigen eine Kombination von körperlichen und psychischen Erkrankungen. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil der multimorbiden Bevölkerung. Abb. 4 stellt die Ergebnisse dar.

      Die Autoren haben sozioökonomische Aspekte in ihre Analysen einbezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass Multimorbidität bei niedrigem sozioökonomischem Status 10 bis 15 Jahre früher auftritt. Die Prävalenz von kombinierter körperlicher und psychischer Multimorbidität liegt bei der Personengruppe mit niedrigem sozioökonomischem Status im Durchschnitt bei 11 %, bei hohem sozioökonomischen Satus dagegen bei nur 5,9 %. Das Risiko, an einer

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      Abb. 4: Multimorbidität körperlicher Erkrankungen und Multimorbidität körperlicher und psychischer Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung nach Alter (Barnett et al. 2012)

      psychischen Störung zu erkranken, steigt mit der Anzahl körperlicher Erkrankungen und ist bei eingeschränkten Lebensumständen deutlich erhöht.

      Multimorbidität tritt bei geistig behinderten Menschen häufiger auf als in der Gesamtbevölkerung. Kinnear et al. (2018) untersuchten 1023 geistig behinderte Menschen im Alter von 16 bis 83 Jahren, das Durchschnittsalter lag bei 43,9 Jahren. 45,1 % der Studienteilnehmer waren weiblich und 54,9 % männlich, 18,2 % zeigten ein Down-Syndrom.

      Zwei oder mehr Diagnosen wurden bei 98,7 % der Stichprobe erhoben. Diese hohe Prävalenz bedeutet, dass Multimorbidität