und seinen Wissensdurst stillen. Allein die Server des Internetgiganten Youtube speichern in jeder Minute rund 400 Stunden ‚neues‘ Videomaterial (vgl. Google 2019). Dabei geht es nicht nur um Unterhaltungsvideos. Vielmehr teilen die Nutzer*innen laut Malik Ducard, Director of Family and Learning bei Youtube, täglich auch über eine Million explizit als Tutorials bzw. Informationsvideos ausgewiesene Inhalte (vgl. Ducard 2017). Diese Entwicklung hat Folgen. So sind die klassischen Bildungsanbieter und -systeme weltweit mit einem Phänomen konfrontiert, das als Privatisierung der Aus- und Weiterbildung charakterisiert werden kann. „Schließlich erhielt ich online eine weitaus bessere und sogar viel praxisbezogenere Ausbildung für meine spätere Laufbahn [sic] als die Schule sie mir jemals bieten konnte“, schreibt Edward Snowden in seinem Buch Permanent Record und liefert die Erklärung für das Phänomen, das sich offensichtlich schon in den frühen 1990er Jahren abzeichnete (Snowden 2019: S. 59). Was vor knapp 30 Jahren, zu Beginn des digitalen Zeitalters wie wir es heute kennen, nur Spezialisten möglich war, ist mittlerweile zum Massenphänomen avanciert. Das Wissen der Welt erschließt sich heute scheinbar selbstverständlich per Mausklick. So werden auf den Youtube-Servern täglich eine Milliarde Stunden Video-Wiedergabezeit registriert (vgl. Google 2019). Wir erleben aktuell, dass Youtube und Co. die institutionalisierten sekundären, tertiären und quartären Systeme der Aus- und Weiterbildung mit ihren weitgehend frei verfügbaren textuellen, visuellen und audiovisuellen Inhalten strukturell beeinflussen und mit ihnen in Konkurrenz treten. Wissenschaft und Praxis sind sich mittlerweile weitgehend einig darüber, dass es auch für die Akteur*innen der formalen Bildung an der Zeit ist, die Enkulturation digitalisierter Bildungsformate, wie sie das Word Wide Web und seine Dienste anbieten, aktiver mitgestalten und einbinden sollten, als sie das bisher tun. Diese Notwendigkeit ergibt sich zum einen aus dem offensichtlich vorhandenen Aktivierungspotenzial [8] digitaler Medien und Technologien. Zum anderen geht es aber auch darum, nicht-kommerzielle, inklusive, freiheitliche und demokratische Strukturen zu stärken. Die Entwicklung entsprechender Bildungsformate beinhaltet in diesem Verständnis die Produktion und Distribution von qualitätsgeprüften Medien, die Anregung zu kreativer und künstlerischer Aktivität, die Auseinandersetzung mit medienethischen und medienrechtlichen Fragestellungen und die lernwirksame Rezeption digitaler Medien in institutionalisierten Kontexten. Sie schließt eine kritische Bewertung digitaler Inhalte mit ein und nimmt auch die Realisierungsformate sowie die Produktions- und Distributionstechnologien in den Blick. Es geht nicht darum die konventionelle Lehre zu digitalisieren, indem einzelne Elemente (Fachbücher, Arbeitsblätter, Kreativtechniken etc.) digital umgesetzt werden. Die isolierte Integration digitaler Applikationen und Technologien greift in einer digital geprägten Kultur deutlich zu kurz (vgl. Kapitel 10)! Der Fokus muss vielmehr auf der Entwicklung und der Implementierung bildungswissenschaftlich fundierter und ganzheitlich digitalisierter didaktischer Konzepte liegen. Es geht darum eine Lernkultur entstehen zu lassen, die kreatives Gestalten, konstruktives Zusammenarbeiten (Kollaboration), kritisches Denken und kommunikatives Handeln in den Mittelpunkt stellt. Diese Kultur entsteht nicht voraussetzungslos. Sie muss vielmehr bildungswissenschaftlich fundierte und reflektierte Lernräume eröffnen. Sie hat Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, die an der Entfaltung des Humankapitals eines jeden einzelnen Menschen ausgerichtet sind. Die digitale Welt bietet theoretisch geradezu revolutionäre Möglichkeiten dazu, eine mitbestimmte und demokratische Lehre zu organisieren und Teilhabehürden abzubauen.
[9] Was bietet dieses Lehrbuch?
Das vorliegende Lehrbuch greift die skizzierten Entwicklungen auf, indem es die lernwirksame Produktion und Rezeption des Mediums Film bzw. Video in den Mittelpunkt eines ganzheitlichen didaktischen Ansatzes stellt. Es präsentiert ein didaktisches Konzept, mit dem eine aktivierende, bildungswissenschaftlich fundierte Lehre mit digitalen Medien und Technologien methodisch in Form von Projekten umgesetzt werden kann (vgl. Dewey & Oelkers 2010; Frey 1996; Gudjons 2009). Das Konzept integriert dazu einen Transformationsprozess, der konventionelle Seminare bzw. Lehrveranstaltungen in digital organisierte, lerner*innenaktive Lernprojekte überführt. Diese Lernprojekte werden im Folgenden auch als Designprojekte bezeichnet. Designprojekte stellen ein didaktisches Organisationsformat dar, das eine digital organisierte, kreative und lerner*innenaktive Auseinandersetzung mit Sachinhalten ermöglicht. Lerner*innen entwickeln dabei in produktiven Schreib-, Vortrags- und Gestaltungsprozessen ihre Fachkompetenz, während sie sich gleichzeitig mit Fragen der Medienethik, der Mediennutzung und der Mediengestaltung auseinandersetzen. Lerner*innen werden in Designprojekten zu Designer*innen: Sie entwickeln funktionale Produkte und gestalten neue, virtuelle Lernräume. In Designprojekten erhält die Produktorientierung – ein tradiertes Merkmal der klassischen Projektpädagogik – eine besondere Bedeutung (vgl. Kapitel 2). Diese resultiert daraus, dass sich digitale Handlungsprodukte, wie sie in Designprojekten entstehen, von den Produkten konventioneller Lernprojekte unterscheiden. Während diese reale Produkte (Plakate, Arbeitsblätter, Bauteile etc.) hervorbringen, die in der Regel eine begrenzte Haltbarkeit besitzen, nur bedingt verändert bzw. angepasst werden können und sich eher selten für eine nachhaltige Nutzung eignen, geht es in Designprojekten um die Entwicklung von digitalen Handlungsprodukten mit einer klar definierten Funktion: Sie dienen als offene Lernressourcen. Digitale Handlungsprodukte (Texte, Filme, Audios, Grafiken etc.) bieten gegenüber analogen Medien in der Regel den Mehrwert, dass sie theoretisch unendlich lange haltbar sind und beliebig angepasst, erweitert, geteilt, verändert, integriert und aggregiert werden können. Designprojekte integrieren damit die Erkenntnis, dass Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken im 21. Jahrhundert ein besonderer Stellenwert als Schlüsselqualifikationen zukommt, [10] in ein bildungswissenschaftlich fundiertes Konzept. Sie transformieren klassische Lernsituationen aus den Kategorien
•Dokumentation von Prozessabläufen
•Aufarbeitung von Theorieinhalten
•Entwicklung von Dokumentationen (Veranstaltungen, Maschinen, Geräte etc.)
in einen kreativen, digital organisierten Lehr-/Lernprozess (vgl. Kapitel 6.1). Dabei entstehen hochwertige Designprodukte (Manuskripte, Audios, Kurzfilme), die in wechselwirkenden Kontexten als offene Lern- oder Informationsressourcen, in Flipped-Classroom-Konzepten, geteilt, überarbeitet, erweitert und nachgenutzt werden können (vgl. Kapitel 6.5). Designprojekte eignen sich für praktisch alle Lernorte – von der Universität bis zum handwerklichen Ausbildungsbetrieb.
Die Leser*innen erfahren im Lehrbuch u. a., wie das designorientierte didaktische Konzept
•Erklärvideos hervorbringt, die als qualitätsgeprüfte Lernressourcen in beliebigen Lern- bzw. Content-Management-Systemen oder auf Youtube & Co. nutzbar gemacht werde können;
•die Auseinandersetzung mit rechtlichen, ethischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Mediennutzung integriert;
•den Umgang mit Fachsprache zielgerichtet, transparent und kontrollierbar trainiert;
•es ermöglicht, eine Portfolio-Analyse in den Ausbildungsprozess zu integrieren und damit ein effektives Instrument zur Leistungs- bzw. Fachkompetenzbeurteilung zur Verfügung stellt;
•über die Mediennutzung motivationspsychologische Potentiale entfaltet und lerner*innenaktives Handeln im Prozess des Lernens fördert;
•digitale Lernprojekte (Designprojekte) zu einem pädagogischen Standard werden lässt;
•die Erkenntnisse aus der Projektpädagogik nutzt, um den Einsatz digitaler Medien und Technologien in einem bildungswissenschaftlich fundierteren Setting umzusetzen.
[11] Zum Umgang mit diesem Lehrbuch
Das Lehrbuch stellt nach einer Einführung in die Thematik (Kapitel 1) in den Kapiteln 2 und 4 grundlegende bildungswissenschaftliche Bezüge des didaktischen Konzepts vor. Diese Kapitel richten sich entsprechend eher an Leser*innen, die sich für die theoretische Grundlegung der Entscheidungsprozesse zum Konzept interessieren.
Für einen eher praxisorientierten Einstieg gibt es zwei alternative Möglichkeiten, mit dem Buch zu arbeiten: Für erfahrene Praktiker*innen bietet die Lektüre von Kapitel 6 zur Phasierung von Designprojekten einen systematischen Einstieg