wurden die entsprechenden Konzepte unter dem Stichwort E-Learning diskutiert. Die frühen Ansätze der Lernunterstützung mittels digitaler Medien konzentrierten sich dabei technologisch vor allem auf den Aufbau von Wissensdatenbanken und die Optimierung kooperativer und kommunikativer Prozesse zwischen Lehrkräften und Lerner*innen einerseits sowie zwischen den am Trainingsprozess beteiligen Organisationen (Ausbildungsbetrieben, Schulen etc.) andererseits. Methodisch charakterisiert der Begriff E-Learning im Grunde Szenarien, bei denen die Lerner*innen temporär selbstgesteuert in einer einmal administrierten virtuellen Lernumgebung (Lern-Management-System) lernen. Lerninhalte werden in Lern-Management-Systemen portionsweise (fremdorganisiert) zur Verfügung gestellt. Integrierte Assessments machen auch eine automatische Auswahl von Inhalten möglich. Hier, so die Annahme, entfaltet sich das Potential digitaler Technologien und Medien für die Individualisierung von Kompetenzentwicklungsprozessen. Teilweise wird zusätzlich eine Betreuung durch Lehrkräfte in die Lernsituation integriert. Die Lern-Arrangements sind dann oft so gestaltet, dass es flankierende Präsenzphasen gibt. Man spricht von Blended-Learning-Konzepten. Es existieren auf diesem Gebiet inzwischen zahlreiche Varianten. So können die Präsenzphasen auch als Face-to-Face-Video-Konferenz oder als Webcast integriert sein. Heutige Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten fokussieren darüber hinaus virtuelle und augmentierte Lernumgebungen, Assessments, Live Monitoring und künstlich intelligente Zuordnungssysteme.
Die hohen Erwartungen an die entsprechenden didaktischen Szenarien haben sich zwar gerade mit Blick auf formale Bildungsprozesse in den Unternehmen, Schulen und Universitäten nicht bzw. nur teilweise erfüllt. Dennoch scheinen mit der Digitalisierung praktisch aller Lebensbereiche digitale Technologien und Medien die Aus- und Weiterbildung grundlegend zu verändern. Während bisher eher die leistungsmotivierten Lerner*innen von den starren E-Learning-Szenarien profitieren [23] konnten, erobern digitale Medien und Technologien jetzt auch die Seminarräume der Präsenzveranstaltungen. Damit werden die Vorteile der beiden Organisationsformate E-Learning und Präsenzlernen durch digitale Technologien zusammengeführt. In einer digital geprägten Kultur stehen nicht mehr Distributionstechnologien und festgeschriebene Inhalte im Fokus. Digitale Medien und Technologien sorgen vielmehr dafür, dass die Lerner*innen im Zentrum didaktischer Bemühungen stehen können. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie können zu vier Feldern verdichtet werden:
1. In einer digital geprägten Kultur bringt die Vernetzung von realen und virtuellen Lebenswelten informelle und formale Kompetenzentwicklungsprozesse in der Lernsituation selbst zu einer Synthese. Die Lernsituation wird nicht mehr als isoliertes Lernsetting (E-Learning) implementiert; sie wird zur echtdatenbasierten Transformation. Technologien und Konzepte (künstliche Intelligenz, Industrie 4.0, Gesichts- und Emotionserkennung), Social-Media-Kanäle (Instagram, Facebook etc.), Produkte (Skype etc.) und Dienstleistungen (Kauf- und Tauschbörsen wie Ebay, Onlinekaufhäuser wie Amazon), Blogs und Foren, Microblogging-Plattformen (Twitter), Content Sharing-Applikationen (Youtube), Social Games, Wikis sowie Product-Reviews und Social-Bookmarking sind mittlerweile so eng mit unserem individuellen sozialen Umfeld vernetzt, dass ein großer Teil des Lebens ohnehin online abläuft. Lernen in und mit digitalen Medien und Technologien und echtdatenbasierte Szenarien ist entsprechend selbstverständlich geworden.
2. Mittlerweile haben mit Youtube, Wikipedia, Coursera, EDX etc. ‚Bildungsanbieter‘ das Feld betreten, die mit neuen Geschäftsmodellen und gigantischen Wissensdatenbanken operieren und sowohl die kleinen Geheimnisse des täglichen Lebens als auch die mehr oder weniger großen Geheimnisse aus Wissenschaft und Technik in allen erdenklichen Formaten und Formen sammeln und wieder distribuieren. Die Demontage der defekten Kaffeemaschine kann hier genauso studiert werden wie die Differenzialrechnung oder die Programmierung von Websites. Dadurch, dass das Wissen der Welt jederzeit verfügbar ist, kann sich die Organisation von Kompetenzentwicklungsprozessen in Präsenzveranstaltungen inhaltlich breiter aufstellen als jemals zuvor. Das klassische Fachbuch ist dagegen ein Auslaufmodell. Die Selbstverständlichkeit, mit der Technologien genutzt werden, und die resultierenden Alltagsroutinen im Umgang mit digitalen Technologien auf der einen und die Verfügbarkeit von Wissen auf der anderen Seite machen den Weg frei für eine inklusive echtdatenbasierte Lehre. Die Lehre kann das Internet, seine Dienste und seine [24] Inhalte als selbstverständlichen Bestandteil des Lebens in jede beliebige Lernsituation einbinden.
3. Lerntheoretische und motivationspsychologische Befunde verändern sich in ihrer Grundsätzlichkeit, wenn überhaupt, nur sehr langsam. Digitale Medien und Technologien machen die Lehre entsprechend auch in Zukunft nicht automatisch effizienter. Es geht vielmehr darum, dass die strukturgebenden Rahmenbedingungen der Lehre in einer digital geprägten Kultur mit Blick auf die Kompetenzentwicklung optimiert werden können. Digitale Medien leisten hier einen Beitrag dazu, dass Lerner*innen aktiver in die Veranstaltungen eingebunden werden können (vgl. Kapitel 10). Sie schaffen Freiräume für individuelles Coaching. Sie ermöglichen eine mitbestimmte, kreative und kritische Lehre. Genau hier liegt das große Potential digitaler Medien und Technologien für Kompetenzentwicklungsprozesse in einer digital geprägten Kultur.
4. Routineaufgaben können in einer digital geprägten Kultur fokussiert und temporär an mehr oder weniger künstlich intelligente Systeme abgegeben werden, wenn dies sinnvoll ist. Verhaltensveränderungen, die das Resultat von Wiederholung und Übung sind, lassen sich über E-Learning, VR- und AR-Applikationen oder über Formen von künstlicher Intelligenz effektiv anleiten. Die Digitalisierung eröffnet also auch im klassischen Format des E-Learnings insbesondere da neue Möglichkeiten, wo solche Verhaltensveränderungen trainiert werden müssen, die ‚niedere‘ Produktivitätsformen von Wissen adressieren (vgl. Kapitel 7). Das trifft auf das Wissen von Fachbegriffen, um Zusammenhänge, operatives Handlungswissen oder auch Normen zu. Hier schaffen digitale Technologien die Freiräume, die Lehrkräfte benötigen, um pädagogisch zu arbeiten: Die Digitalisierung sorgt durch die Entlastung von Routineaufgaben dafür, dass Lehrkräfte tatsächlich als moderierende, motivierende und beratende Akteur*innen agieren können. Von ihnen können dann höherwertige Wissensformen, etwa Reflexionen als eine Art analoger Klammer in den Prozess integriert werden. Damit tragen Lehrkräfte dazu bei, das virtuell Erlernte einzuordnen, Prozesse zu reflektieren und die Lerner*innen zu beraten. Auch diese ‚Klammer‘ kann im Übrigen digital unterstützt werden. Applikationen wie Mentimeter, Socrative, Edkimo und viele andere ‚kleine‘ Hilfen werden dafür sorgen, dass die Moderation von Reflexionsphasen interessant gestaltet werden kann und an Qualität gewinnt (vgl. Kapitel 10).
Ohne Zweifel: Mit Blick auf die Präsenzlehre stehen Lehrkräfte bei der Migration entsprechender didaktischer Szenarien vor einer großen Aufgabe. Zum einen müssen die didaktischen Planungen grundsätzlich angepasst werden. Das ist viel [25] Arbeit. Es geht dabei nämlich keinesfalls darum, eine isolierte Integration von webbasierten Applikationen (vgl. Kapitel 10) zu organisieren. Vielmehr ist das Ziel, Kompetenzentwicklungsprozesse ganzheitlich an einer kreativen Kultur des kritischen Denkens, der Kollaboration und der Kommunikation zu orientieren. Digitale Medien und Technologien müssen zudem als Erkenntnisgegenstände curricular eingebunden werden (vgl. Kapitel 1). Es werden Möglichkeiten benötigt, um eine Auseinandersetzung mit digitalen Technologien in die Lehre zu integrieren. Bei der Organisation der Lehre stellen sich zudem Fragen dazu, welche technischen, ethischen und rechtlichen Fragen das eigene Fachgebiet tangieren. Lehrkräfte müssen sich damit beschäftigen, wie sich ihr Handlungsfeld im Zuge der Digitalisierung verändert. Was muss noch gewusst und gekonnt werden, um die Aufgaben zu bewältigen, die die entsprechende Domäne stellt? Medienkompetenzentwicklung erhält eine deutlich erweiterte Bedeutung, wenn Fragen in den Fokus rücken, die bisher eher am Rande mitgedacht wurden. Es geht viel intensiver als bisher um Nutzungs-, Persönlichkeits- und Urheberrechte. Es geht um Fragen der Persönlichkeitsbildung in einer digital geprägten Kultur. Lehrkräfte müssen sich zudem mit Soft- und Hardware auseinandersetzten, bevor überhaupt an eine didaktische Migration digitaler Medien und Technologien gedacht werden kann. Es handelt sich hier nicht selten um zusätzlichen Aufwand, dessen Mehrwerte für die eigene Lehre weitgehend unklar ist. Designprojekte können hier einen Beitrag zur Orientierung leisten, weil sie auf etablierten Methoden und Verfahren zur Lehrgangsplanung aufsetzen. Mehrwerte ergeben sich zusätzlich dadurch, dass medienethische und medienrechtliche Fragestellungen in den Ausbildungsprozess integriert werden können. Zentral ist jedoch eine Orientierung an den Merkmalen der Projektpädagogik, die im nächsten Abschnitt vorgestellt