die einen Kurs erfolgreich abgeschlossen haben. Schon 1890 sind es 194 der 536 Tiroler Führer.
Gegen schwerhörige Säufer
Der DuOeAV wird immer mehr zum Vermittler zwischen Führern und Behörden. Den Führern steht man zur Seite, wenn es um die Beziehungen mit den Ämtern geht, während man für die Behörden aus der Menge an Bewerbern geeignete Kandidaten herausfiltert. Bei der Auswahl potenzieller Führer legt der Alpenverein Wert auf Geist, Körper und Charakter. So seien „geistig minder begabte Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie einen Führerkurs nicht bestehen werden“, abzuweisen. Nicht für die Bergführerei infrage kämen zudem Kandidaten mit Gebrechen „wie Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Verkrüppelung eines Gliedes etc.“. Vielmehr müssten angehende Führer „körperlich rüstig und kräftig“ sein, was der zuständige Arzt dem Alpenverein direkt bestätigen müsse, weil es zuvor immer wieder Fälle falscher Atteste gegeben habe. Ausgemustert werden zudem „unverlässliche“ Bewerber oder „notorische Säufer“, Vorbestrafte oder Raufbolde, weshalb auch der örtliche Gendarm um seine Einschätzung gebeten wird. Schließlich gibt es auch so etwas wie einen sozialen Filter bei der Auswahl der angehenden Bergführer. Sollte es genügend Bewerber geben, so der DuOeAV, seien „bei gleicher Eignung ärmere Bewerber vor wohlhabenderen“ zu bevorzugen. Eine weitere Vorzugsschiene sei den Söhnen altverdienter Bergführer einzuräumen – offiziell mit dem Argument, dass sie wohl schon Touren mit ihren Vätern unternommen und dabei Bergerfahrung gesammelt haben.
Dass die Bergführer – vor allem dank der Fürsprache des DuOeAV – in den 1880er- und 1890er-Jahren nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch an Einfluss gewinnen, zeigt die Revision der Tiroler Bergführerordnung. Im neuen Reglement, das am 1. Jänner 1893 in Kraft tritt, ist nicht mehr nur von den Pflichten der Führer die Rede, sondern vor allem von ihren Rechten. Und von den Rechten der Alpenvereine. Deren Mitwirkung bei der „Aufsicht und Leitung“ der Bergführer wird nun auch amtlich festgeschrieben; die Befähigung eines Führeraspiranten muss nicht mehr nur von den Gemeinden, sondern auch vom im Gebiet stärksten alpinen Verein bestätigt und dessen Gutachten bei der Aufstellung der Tarife eingeholt werden. Damit werden die Vereine zu quasistaatlichen Organen.
Zugleich stärkt man mit der neuen Bergführerordnung den Führern den Rücken. Sie dürfen künftig Touren auch ablehnen, wenn sie glauben, dass der Gast nicht dafür geeignet ist. Auch können sie verlangen, einen weiteren Führer oder Träger mitzunehmen, wenn mehr als ein Gast zu führen oder die Tour eine schwierige ist. Apropos Träger: Diese Figur wird durch die Bergführerordnung 1893 neu eingeführt, sodass künftig eine hierarchische Zweiteilung im Führerwesen herrscht. Da gibt es einmal den vollständig ausgebildeten und amtlich anerkannten Bergführer und dann den Träger, der dem Bergführer als Hilfskraft beigestellt wird. In der Praxis gestaltet sich die Zweiteilung meist so, dass die Träger Bergführeranwärter sind, sich also als Begleiter erfahrener Führer ihr Können und Wissen am Berg aneignen und wichtige Erfahrungen sammeln.
Bergführer vor Gericht
Strafen riskieren Ende des 19. Jahrhunderts Bergführer, unter deren Obhut sich ein Unglück ereignet. So steht 1895 erstmals in Österreich-Ungarn ein Bergführer wegen eines tödlichen Absturzes vor Gericht, und zwar ausgerechnet vor dem Kreisgericht in Bozen. Der Söldner Bergführer Zachäus Gstrein (32) war im August auf dem Gurglerferner im Pfossental abgestürzt, sein Gast, der Berliner Paul Modl, dabei ums Leben gekommen. Gstrein wird daraufhin vorgeworfen, das alpinistische Können seines Gastes falsch eingeschätzt und auch dessen unzureichende Ausrüstung (etwa fehlende Steigeisen) akzeptiert zu haben. Darüber hinaus hätte Gstrein laut Führertarif die Mitnahme eines zweiten Führers verlangen müssen. Die Anklage schreibt deshalb: „Daß am Verluste dieses Menschenlebens außer der eigenen Unerfahrenheit und Waghalsigkeit des Modl auch der Führer Gstrein Schuld trägt, ist zweifellos und ist er dafür verantwortlich, da er ja als Bergführer mit den für seinen Beruf erlassenen Vorschriften vertraut sein mußte und sich daran hätte halten sollen.“
Im März 1913 erreicht Joseph Carlton Short aus Chicago mit Hanssepp Pinggera über den Südwestgrat die Vertainspitze. In fünfeinhalb Stunden, wie Short stolz in Pinggeras Bergführerbuch notiert. Pinggera sei ihm auch unter widrigen Umständen ein fröhlicher Kamerad gewesen, hält der amerikanische Gast fest. Er sei eben, so Short, der Führer „par excellence“.
Interessant ist, dass hier die neuen Rechte in der Bergführerordnung (Begleitung durch einen zweiten Führer, Ablehnung bei unzureichender Ausrüstung) allesamt gegen den Führer verwendet werden. Weil Gstrein allerdings glaubhaft machen kann, dass sein Gast gut ausgerüstet war, Steigeisen nicht notwendig waren und ein zweiter Führer nicht hätte helfen können, wird der Bergführer freigesprochen. Mehr noch: Von den Eltern des Verunglückten bekommt Gstrein sogar einen beträchtlichen Geldbetrag als Unterstützung. Die Fronten vor Gericht waren also klar, wenn auch ungewöhnlich: Auf der einen Seite stand die Staatsmacht, auf der anderen standen vereint die Bergsteiger.
Die neue Bergführerordnung steht damit sinnbildlich für den Höhenflug der Bergführer. Gibt es in Tirol 1894 542 Führer, sind es 1895 bereits 625, die in diesem Sommer 7.122 Touren mit 10.720 Gästen unternehmen, 1896 sind es 678, 1899 sogar 744. Dies entspricht einem Plus von fast 40 Prozent in gerade einmal fünf Jahren. Und weil die Bergführer nun auch behördlich einen anderen Stellenwert haben als noch mit der alten Bergführerordnung, schlägt sich das goldene Zeitalter des Bergführerwesens nicht nur quantitativ, finanziell und sozial nieder, sondern auch rechtlich. Damit werden in nur zwei Jahrzehnten aus weitgehend rechtlosen Dienstmännern am Berg die Könige der Alpen.
Das Dilemma der Bergführer: Gott oder Gast?
Auch wenn die 1880er- und 1890er-Jahre das goldene Zeitalter des Bergführerwesens in Tirol sind, verläuft offensichtlich nicht jede Saison zur vollsten Zufriedenheit. So klagt das „Volksblatt“ Anfang August 1884 über ausbleibende Gäste für die Innsbrucker Bergführer und schließt daraus: „Die große Mehrzahl der Touristen machen sich das Reisen bequemer und haben sich zur Devise genommen, die Berge von unten, die Kirchen von außen und die Wirthshäuser von innen anzusehen.“
Berg, Kirche, Wirtshaus: Die (un-)heilige Dreifaltigkeit der Touristen macht den Tiroler Bergführern in den 1880er-Jahren arg zu schaffen, geraten sie doch zwischen die Fronten eines Kulturkampfes, den Kirche und Wirtschaft vehement ausfechten. Während nämlich der Tourismus wirtschaftlich für Tirol, vor allem für dessen ländliche Gebiete, immer wichtiger wird, fürchtet die Kirche den angeblich damit einhergehenden Sittenverfall. Die zahllosen in katholischen Blättern publizierten Artikel offenbaren im Wesentlichen zwei Urängste der Kirche: Zum einen stelle der (vielfach protestantische) Tourismus eine Gefahr für die Tiroler Glaubenseinheit dar. Zum anderen drohe die Aussicht auf schnelles Geld die bis dahin – so stellt es die Kirche dar – tief in ihrem einfachen, gottgefälligen Leben verwurzelten Landbewohner nachhaltig zu korrumpieren.
Brutstätte der Unsittlichkeit
Im Kampf gegen den Tourismus fährt die katholische Welt in Tirol schwere Geschütze auf, vor allem publizistische. So liest man im Juni 1886 im „Tiroler Volksblatt“: „Im Ganzen und Großen machen sich die schlimmen Folgen und Schattenseiten des Fremdenwesens auch in Pusterthal schon fühlbar genug.“ Man müsse vor allem „das nie ganz ohne Folgen bleibende Beispiel eines arbeitsscheuen, genußsüchtigen Müßigganges, eines übermäßigen Luxus und tausend verfeinerter Genüsse bedenken“, schreibt der Autor, der vor den Folgen warnt, die sich vor allem bei „der dienenden Classe“ bemerkbar machten. Sein an Deutlichkeit kaum zu überbietendes Fazit: „Ueberhaupt ist das Fremdenwesen für’s katholische Volk eine Brutstätte des Indifferentismus und der Unsittlichkeit.“
In der ebenfalls katholischen „Brixener Chronik“ legt man dem Glaubenskampf 1892 dagegen ein soziales Deckmäntelchen um und macht – man höre und staune – die vergleichsweise guten Einkünfte der Bergführer zum Problem. Sie könnten, schreibt das Blatt, dazu führen, dass „in den entlegensten Orten