zu halten. Deshalb ist es kein Wunder, dass die ersten Ansätze einer organisierten Aus- und Weiterbildung in die 1880er-Jahre fallen. So findet im Frühjahr 1884 der erste „Führer-Instructionscurs“ in Salzburg statt, 1888 folgt der erste in Bozen mit 60 Teilnehmern. Die Kurse werden noch berufsbegleitend organisiert. Dies heißt im Klartext: Sie richten sich nicht an Neulinge, nicht an Bergführeranwärter, sondern an jene, die den Beruf schon ausüben. Zehn Tage drücken sie die Schulbank, jeden Tag stehen fünf bis sechs Unterrichtsstunden auf dem Programm. Die Kurse erregen Aufsehen, in den Medien – etwa im „Boten für Tirol und Vorarlberg“ – erscheinen Berichte über die außergewöhnlichen Schulungen: „Die starkknochigen und verwetterten Schulknaben“, liest man darin und der herablassende Ton klingt deutlich durch, „ersetzten durch eine außerordentliche Hingebung und Aufmerksamkeit auf den Unterricht, was ihnen vielleicht an Vorbildung und Fassungskraft fehlen mochte.“ Sarkasmus der Journalisten hin oder her: Mitte März 1884 wurde der erste „Instructionscurs“ der österreichischen Bergführergeschichte mit einer Prüfung abgeschlossen, die erfolgreichen Absolventen durften sich neben einem Diplom auch über praktische Geschenke freuen: Eispickel, Ferngläser, Laternen, Seile, Rucksäcke und Landkarten.
„Ein Führer allerersten Ranges“
HANSSEPP PINGGERA
In die Fußstapfen Johann Pinggeras tritt dessen 1872 geborener Sohn Johann Josef, genannt Hanssepp. Schon mit 17 ist er als Träger im Einsatz und lernt so Suldenspitze und Cevedale, Ortler und Königspitze in- und auswendig kennen. Als Bergführer erweitert er seinen Horizont und führt Gäste auf Touren in den Schweizer Alpen und in den Westalpen. Auch der Meraner Tourismuspionier Theodor Christomannos setzt auf die Dienste von Pinggera jun. und schwärmt 1890 in dessen Führerbuch: „Derselbe ist ein würdiger Sohn seines berühmten Vaters und trotz seiner Jugend in Folge seiner Ruhe, Sicherheit und Umsicht vollkommen geeignet als selbstständiger Führer zu fungieren.“ Zwei Jahre später schreibt Christomannos: „Hanssepp verspricht mit zunehmender Erfahrung ein Führer allerersten Ranges zu werden.“
Überhaupt gibt das Führerbuch Pinggeras Aufschluss darüber, wie breit der Alpintourismus in Sulden zur Jahrhundertwende aufgestellt ist. Die Einträge stammen von Gästen aus Berlin und London, Wien und Kairo, Leicester und Hamburg, Breslau und Glasgow, Paris, Chicago und Helsinki. Ab 1919 finden sich immer mehr italienische Eintragungen im Buch, Gäste aus Rom und Mailand vermerken darin ihre Beurteilung des Bergführers, der als Leutnant in der k. u. k. Armee an der Ortlerfront gedient hat. „Al bravo Pingera“, notiert dann auch ein Alpino im Führerbuch, „a ricordo del nostro primo incontro in un lontano ma presente giorno di guerra.“ Schon 1904 wird Hanssepp Pinggera mit seinem „Bergsteiger-Logierhaus“ zum Hotelier, danach führt er zudem die Schaubachhütte. 1963 stirbt er über 90-jährig. Noch mit 80 hat er auf dem Ortler und dem Cevedale gestanden.
Von Helsinki bis Kairo, von Wien bis Chicago: An Hanssepp Pinggeras Seil hing zur Jahrhundertwende die ganze Welt.
Zehn Fächer und ein Taschengeld
Es ist ein umfassendes Programm, das die Teilnehmer an den ersten Führerkursen in den 1880er-Jahren abarbeiten. So stehen nicht weniger als zehn Fächer auf dem Lehrplan: „1. Gebirgs- und Gletscherkunde. 2. Geographie der Alpen. 3. Geographie des Landes und des Gebietes, in welchem jeder einzelne Bergführer sich aufhält. 4. Lesen von Land- und Gebirgskarten. 5. Gebrauch von Kompaß, Barometer, Thermometer, Klinometer. 6. Führer-Ordnung, Rechte und Pflichten des Führers. 7. Erste Hilfeleistung bei Unglücksfällen auf Alpenwanderungen. 8. Erläuterung der Organisation, des Zweckes und der Stellung des Alpenvereins, sowie seiner Unternehmungen, der Führer-Unterstützungs-Casse und der Führer-Vereine. 9. Gebrauch von Gletscherseil und Eispickel. 10. Anleitung zum Abkochen im Freien.“ Um trotz des umfassenden Programms möglichst viele Bergführer zur Teilnahme am Kurs zu bewegen, übernimmt der DuOeAV nicht nur die Kosten für Anfahrt und Logis, sondern zahlt den Teilnehmern auch ein Taschengeld. Es gibt 1 Gulden pro Tag und damit immer noch doppelt so viel, wie ein Arbeiter in derselben Zeit verdienen würde.
Der erste Ausbildungskurs für Bergführer zeigt zweierlei: Zum einen ist er Ausdruck des Qualitätsgedankens, der ab den 1880er-Jahren in das Bergführerwesen einzieht. Ist bis dahin die Suche nach Bergführern schwierig gewesen, weshalb auch weniger versierten Bergsteigern der Zugang zum Beruf nicht verwehrt worden ist, kann man nun dank der Attraktivität des Bergführerberufs wählerisch werden und auf die Besten setzen. Zudem gilt es, den Ruf der österreichischen (und damit vor allem der Tiroler) Bergführer als elitäres Korps zu festigen. Mit offensichtlich zufriedenstellenden Ergebnissen, zumindest wenn man der zeitgenössischen Presse glaubt. „Man kann mit Recht behaupten“, liest man etwa im Mai 1884 in einem Artikel im „Boten für Tirol und Vorarlberg“, „daß in den nun behördlich autorisierten Bergführern der österreichischen und deutschen Alpenländer ein sehr verwendbares, zum Theil ausgezeichnetes Führermaterial vorliegt, und daß viele derselben den Schweizer Führern gleich gestellt werden können.“
Weil der Erfolg dem neuen Ausbildungsmodell recht gibt, wird es zur tragenden Säule des Bergführerberufes. So werden Bergführerkurse zu regelmäßigen Einrichtungen, die ab 1896 jährlich in Innsbruck und Bozen organisiert werden. Als theoretische Hilfe stellt der DuOeAV die „Anleitung zur Ausübung des Bergführer-Berufes“ zusammen, ein Lehrbuch, das bis 1906 in nicht weniger als sechs Auflagen und für italienische Kandidaten auch in deren Muttersprache erscheint. Es erklärt in fünf Abschnitten leicht verständlich das Wichtigste zur Erdkunde, zum Lesen von Karten, zu Schutzhütten, Erster Hilfe, Führerwesen und Alpenverein.
Langsam lesen, besser verstehen
„An die Führer, für welche dieses Buch geschrieben ist, richten wir die Mahnung, es langsam und mit Bedacht zu lesen, auch nicht ungeduldig zu werden, wenn ihnen nicht alles sofort klar ist; das Verständnis wird kommen. Ihre Aufmerksamkeit mögen sie besonders dem Abschnitt über die Landkarten zuwenden. Aus diesem werden sie großen Vortheil ziehen können. Denn ein gutes Verständnis der Landkarten gehört zum Führerhandwerk, und wer sich auf der Karte nicht auskennt, ist kein guter Führer, er mag sonst noch so tüchtig sein, es fehlt ihm eine Hauptsache. […] Besondere Aufmerksamkeit soll aber jeder Führer dem Abschnitte über die Hilfeleistung bei Unfällen schenken und sich die darin enthaltenen Lehren gut in das Gedächtnis einprägen. Die gewonnenen Erkenntnisse wird er nicht nur auf Touren, sondern auch bei anderen Gelegenheiten zum Nutzen seiner Mitmenschen verwerten können.“
Vorwort des Handbuches „Anleitung zur Ausübung des Bergführer-Berufes“, Ende der 1890er-Jahre
Der theoretische Unterricht wird durch praktische Übungen ergänzt, die in Bozen im Steinbruch unterhalb des Kalvarienberges abgehalten werden. Gelernt wird das fachgerechte Sichern, die Bergung von Verletzten und deren Erstversorgung. Schon 1897 legt der DuOeAV sogar fest, dass er als „seine“ Bergführer „nur mehr solche Bergbewohner [anerkennt], welche einen Führercurs mit Erfolg mitgemacht haben“. Ungelernte Bergführer haben damit Ende des 19. Jahrhunderts endgültig ausgedient.
Auch mit dem Wetter mussten sich Bergführer schon zur Jahrhundertwende eingehend befassen. Die abgebildete Seite stammt aus der vom DuOeAV 1906 herausgegebenen „Anleitung zur Ausübung des Bergführerberufes“.
Zum anderen offenbart der Bergführerkurs, dass der Alpenverein immer deutlicher das Ruder in der Organisation des Bergführerwesens übernimmt und nun selbst – und fast allein – für das gute und schlechte Wetter in diesem Schlüsselberuf der touristischen Entwicklung sorgt. So ist es der DuOeAV, der den Salzburger Kurs (und alle, die noch folgen) organisiert und finanziert, der die Bergführer über seine „Führer-Unterstützungs-Casse“ sozial absichert und der Führer-Bibliotheken einrichtet, Kartenmaterial verteilt und Ausrüstungsgegenstände verschenkt. Auch dank des DuOeAV wird der