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Integrative Medizin und Gesundheit


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      Das Verständnis, dass ein Zusammenwirken von Mind und Body grundlegend für eine umfassendere Prävention aber auch die Therapie von Erkrankungen ist, ist Teil der integrativen Betrachtung von Gesundheit (Witt et al. 2017). Die sogenannte Mind Body Medicine (MBM) berücksichtigt dies, und so, wie sie aktuell in der Schweiz angewendet und gelehrt wird (Witt et al. 2019), ist Gesundheitskompetenz und Selbstwirksamkeit ein grundlegendes Ziel.

      Im Rahmen der Self-Care werden zudem indikationsspezifisch evidenzbasierte Self-Care-Maßnahmen empfohlen. Da hierbei aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit langjähriger therapeutischer Expertise unter der Berücksichtigung der Werte und Wünsche der Patienten kombiniert werden, spielen auch digitale Methoden zunehmend eine wichtige Rolle. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es darum geht, für jeden Erkrankten die bestmöglich passende Intervention zu wählen und das kann je nach Bedürfnis der Person digital oder das übliche analoge Setting sein. Bei den konzeptionellen Bestandteilen der neueren digitalen Interventionen spielen neben den komplementärmedizinischen Elementen (z.B. Akupressur oder Entspannungsverfahren), insbesondere gesundheitspsychologische Aspekte wie z.B. Techniken der Verhaltensänderung (z.B. Zielbildung oder soziale Unterstützung), eine zunehmend wichtige Rolle.

      5.3 Gesundheitsanwendungen in einer digitalen Welt

      Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) finden im Alltag zunehmend Anwendung. Zu ihnen zählen die unkomplizierte Schrittzähler-App, die die zurückgelegten Schritte über das Smartphone oder die Smartwatch aufzeichnet, grafisch aufbereitet und somit zu mehr Bewegung im Alltag motivieren soll, oder auch ausgereifte multimodale digitale Therapiekonzepte zur unterstützenden Behandlung von Kopf- oder Rückenschmerzen (kaia 2020; M-sense 2020). Die Kombination von allgemeinen Informationen, multimedialen Anleitungen, Tracking, Feedback und anderen Maßnahmen zur Verhaltensänderung ermöglicht es Patientinnen und Patienten, ihre eigene Krankheitsvorsorge oder auch die Therapie stärker selbst in die Hand zu nehmen. Intelligente mobile Geräte, wie Smartphones, Smartwatches oder zukünftig smarte Kopfhörer, sogenannte Hearables, können ständig verfügbar sein und vielfältige Daten mit medizinischem Nutzen im Alltag sammeln, analysieren und bereits auch interpretieren. Diese Interpretationen und Handlungsempfehlungen können dann an die Nutzerinnen und Nutzer kommuniziert werden, auf Wunsch sogar häufiger und intensiver als üblicherweise in der Mensch-zu-Mensch-Interaktion bisher möglich ist. So versucht die digitale Gesundheitsanwendung vielleicht nach einem Tag, mit wenig Bewegung zum Beispiel zu einem Abendspaziergang anzuregen, regt an, bei einem stressigen Arbeitstag zwischendurch auch eine Minute achtsam zu pausieren, oder weist auf unregelmäßigen Herzrhythmus hin, der möglicherweise im Zusammenhang mit Vorhofflimmern steht (Perez et al. 2019). In Zukunft muss man vermutlich deutlich seltener zu seinem Arzt oder seiner Ärztin gehen, man hat sie am Handgelenk, in der Hosentasche oder trägt sie als intelligente Kopfhörer im Ohr.

      Die digitale Medizin erlebt aktuell eine Aufbruchstimmung. Mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG)“ wurde ein Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) geschaffen (BfArM 2020). Dadurch können künftig Ärztinnen und Ärzte Apps verschreiben. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt dafür die Kosten.

      So können sich Patientinnen und Patienten, die zum Beispiel auf eine Psychotherapie warten, regulär bei einer existierenden elektronischen Variante einschreiben, die dann mit standardisierten Modulen und telemedizinischer Betreuung arbeitet (Selfapy 2020). Oder statt Physiotherapie wird es die Option geben, eine App zu nutzen, die zu symptomorientierten Übungen anleitet und diese ggf. sogar mittels Bilderkennung und maschinellem Lernen korrigieren kann.

      Das Potenzial ist zweifellos sehr groß. Im besten Fall können die Veränderungen durch fortgeschrittene Digitalisierung die Autonomie der Patienten stärken, die Prävention von Erkrankungen verbessern und das Gesundheitssystem unter anderem aufgrund von Effizienzsteigerungen insgesamt preiswerter machen. Das Gesundheitssystem könnte sogar neu gedacht werden. Im schlechtesten Fall werden herkömmliche Angebote eingeschränkt, Monopole gebildet, und Patienten verlieren weiter ihre Autonomie sowie persönliche hoch schützenswerte Daten. Sie werden zum Spielball von Algorithmen, die intransparent über Diagnosen und Therapien (mit-)entscheiden und versuchen, die „Compliance“ der Nutzerinnen und Nutzer zu „optimieren“. Die paternalistische Herangehensweise kehrt zurück und die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die die Patientenrechte eher gestärkt hatten, würden damit konterkariert werden.

      Ein bedeutendes Paradigma der modernen Medizin ist die evidenzbasierte Medizin. Hierbei beruht die optimale Therapie auf der Verknüpfung der besten klinischen Evidenz, der klinischen Expertise des Arztes und berücksichtigt dabei auch die Werte und Wünsche der Patientinnen bzw. Patienten (Sackett et al. 1996). Aktuell sind jedoch viele digitale Gesundheitsanwendungen bezüglich ihres medizinischen Nutzens nicht annähernd so gut untersucht, wie man es von Medikamenten und nicht-medikamentösen therapeutischen Verfahren inzwischen selbstverständlich erwarten würde. Interessanterweise spielte und spielt die fehlende Evidenz in der Diskussion zur Integration komplementärmedizinischer Verfahren in die Normalversorgung praktisch immer eine große Rolle. Verfahren, die nicht evidenzbasiert sind, gelten häufig als unwissenschaftlich, unabhängig davon, ob diese Verfahren aus Kostengründen nicht gut untersucht sind, oder sich bei gründlicher wissenschaftlicher Untersuchung als unwirksam oder unsicher erwiesen haben. Selbst komplementärmedizinische Verfahren, die inzwischen gut untersucht sind und gute Wirksamkeitsnachweise zeigen, wie die Akupunktur bei Allergischer Rhinitis oder zur Migräneprophylaxe, sind noch nicht Teil der Normalversorgung. Man hat den Eindruck, dass digitale Gesundheitsanwendungen aktuell deutlich weniger kritisch betrachtet werden als komplementärmedizinische Verfahren.

      Die Regulierung nimmt jedoch inzwischen zu. Und auch der Druck, die Studienlage zu Digitalen Gesundheitsanwendungen zu verbessern, verstärkt sich bereits. Er wird sehr wahrscheinlich mittelfristig sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene weiter zunehmen.

      Wesentlich für die Regulierung sind u.a. die ab Mai 2021 verpflichtend anzuwendende europäische Medizinprodukte-Verordnung (DIMDI 2020) von 2017 und das bereits angesprochene DVG. Dabei hat das DVG, welches Ende 2019 in Deutschland auf den Weg gebracht wurde, eigentlich zum Ziel, die Rolle der Digitalen Gesundheitsanwendungen zu stärken. Eine App mit medizinischem Bezug kann damit von Ärzten auf Rezept verordnet und von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Es muss jedoch auch ihr Nutzen sowie die Sicherheit nachgewiesen werden. Aufgrund der europäischen Medizinprodukte-Verordnung (DIMDI 2020), gelten sehr viele Apps mit medizinischem Bezug auch relativ schnell als reguliertes Medizinprodukt. Eine zunehmende Professionalisierung der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen wird damit notwendig werden, da die formalen und organisatorischen Anforderungen für ein Medizinprodukt relativ hoch sind. Sie sind so hoch, dass sie durch kleine dynamische Teams mit relativ wenig Kapital kaum zu meistern sein werden. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft nur Produkte bereits etablierter oder besonders kapitalstarker Unternehmen eine Chance erhalten, langfristig durch die Krankenkassen erstattet zu werden. Dies wäre nicht nur im Hinblick auf Innovation und Konkurrenz bedauerlich, es würde vermutlich zu Monopolen für einzelne Themenfelder oder Indikationen führen. Dieser Umstand würde vermutlich einer Kostensenkung im Gesundheitssystem eher nicht in die Hände spielen.

      Aber auch wenn durch die Regulierung digitale Gesundheitsanwendungen verstärkt wissenschaftlich untersucht werden, müssen wir noch einige Zeit warten, bis aussagekräftige randomisierte kontrollierte Studien in der Anzahl und Qualität verfügbar sind, wie es für pharmakologische Therapien selbstverständlich ist und auch regelmäßig für die Untersuchung komplementärmedizinischer Verfahren gefordert wird. Dies hat vielfältige Gründe.

      Die Herausforderungen für die klinische Untersuchung digitaler Gesundheitsanwendungen sind vielfältig: Die Entwicklung der digitalen Technologien verläuft sehr schnell und unterliegt einer ständigen Anpassung (Michie et al. 2017). Traditionelle klinische Studien, die oft mehrere Jahre bis zu aussagekräftigen Ergebnissen benötigen, sind mit dieser Entwicklung nicht kompatibel. Während die Entwicklung eines neuen Medikaments 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen kann, veröffentlichen