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Integrative Medizin und Gesundheit


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Betriebssystems. Eine neue App kann sogar in wenigen Monaten entwickelt werden.

      Bei den Entwickelnden von digitalen Gesundheitsanwendungen ist häufig keine Expertise für klinische Studien vorhanden. Und auch ist noch unklar, wie klinische Studien adäquat beschleunigt werden können, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Die universitäre Forschung verfügt nicht über professionelle multidisziplinäre Entwicklerteams, die für die Entwicklung kommerzieller App-Projekte inzwischen Standard sind. Die notwendige Expertise, um heutzutage eine medizinische Smartphone-App bzw. digitale Gesundheitsanwendung zu entwickeln, ist vielfältig und kostspielig. Allein in die Programmierung einer App sind häufig verschieden spezialisierte Programmierer und Programmiererinnen, Designer und Designerinnen, sowie Verantwortliche für Projektmanagement involviert. Komplexere Apps für den medizinischen Bereich werden ohne psychologische und regulatorische Expertise auch nicht mehr auskommen können. Für die Durchführung einer klinischen Studie sind neben wissenschaftlicher Expertise auch Kompetenzen zu Daten- und Patientenmanagement sowie zum Monitoring notwendig. Ist eine medizinische App dann fertig entwickelt, ist es nicht selbstverständlich, dass die Patienten und Patientinnen diese dann auch tatsächlich nutzen. Und dafür ist es wichtig, dass diese gut für jede potenzielle Nutzergruppe optimiert ist.

      Sollten sich in einer klinischen Studie die digitalen Gesundheitsanwendungen als wirksam, ggf. sogar kosteneffektiv erweisen, stellt sich die Frage, wie diese Ergebnisse dann verwendet werden können. Medikamente werden üblicherweise nach erfolgreichen Studien und positiver Nutzenbewertung in die Behandlung integriert und von den Krankenkassen erstattet. Auch für komplementärmedizinische Verfahren gelten aussagekräftige Studien als gutes Argument für eine Erstattung durch die Krankenkassen. Zu beobachten war dies für die Akupunktur, deren Kosten seit 2007 die gesetzlichen Krankenkassen für chronische Rückenschmerzen der Lendenwirbelsäule und des Kniegelenks übernehmen (Melchart et al. 2006). Für digitale Gesundheitsanwendungen soll die Erstattung durch das DVG in Zukunft einfacher möglich werden.

      Es bleibt jedoch abzuwarten was passiert, wenn nach erfolgreicher Studiendurchführung die zugrunde liegenden Technologien veraltet sind. Viele etablierte Therapien, zum Beispiel die Behandlung des Bluthochdrucks mittels ACE-Hemmers, stammen aus dem letzten Jahrhundert. Verfahren wie Yoga oder die Akupunktur als aktuelle Verfahren der Integrativen Medizin, sind zum großen Teil sogar deutlich älter. Im Gegensatz dazu würde heutzutage kaum jemand ein 10 Jahre altes iPhone produktiv nutzen wollen. Aktuelle digitale Gesundheitsanwendungen würden auf alten Geräten nicht funktionieren und neue Geräte würden 10 Jahre alte Anwendungen technisch nicht unterstützen. Das hat zur Folge, dass digitale Gesundheitsanwendungen, die aktuell zugelassen werden, regelmäßig mit erheblichem Aufwand gepflegt und angepasst werden müssen, damit sie auch in 10 Jahren noch nutzbar sind. Es ist möglich, dass sich dabei grundlegende Funktionalitäten verändern. Müssten diese Anwendungen dann auch regelmäßig neu untersucht werden? Dies alles ist kostspielig. Der zukünftige Umgang mit dieser Problematik wird spannend. Vermutlich kann die Integrative Medizin die Entwicklung der Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen jedoch beeinflussen.

      5.4 Chancen für die Integrative Medizin

      Sowohl eine positive als auch eine negative Entwicklung der digitalen Medizin kann die Integrative Medizin stärken. Entweder wenden sich Patientinnen und Patienten vermehrt von der digital bestimmten Medizin ab, oder integrative Behandlungsansätze werden selbstverständlich bei der Entwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen mitgedacht und komplementärmedizinische Verfahren in die Anwendungen integriert. Zum Teil geschieht dies bereits. So enthält beispielsweise eine bekannte App für Migräne und Kopfschmerzen, neben Tracking- und Informationselementen, Anleitungen zu Entspannungsverfahren. Auch zählen Apps zu Yoga und Mindfulness bereits zu den kommerziell erfolgreichen Gesundheitsanwendungen, die zum Beispiel in den USA bereits zum Teil von Gesundheitsdienstleistern erstattet werden. Auch eine große deutsche Krankenkasse propagiert eine App zu Achtsamkeit. Und eine populäre deutsche App, die unter anderem durch Ernährungsprotokolle das Abnehmen unterstützen möchte, gibt inzwischen auch Hinweise zum Heilfasten. Dies sind Anknüpfungspunkte, um die aktuellen Entwicklungen, auch aus Sicht der Integrativen Medizin, mitzuprägen. Die Voraussetzungen dafür sind eigentlich gut. Das Zeitfenster ist jedoch schmal. Die Forschungsexpertise, die für die Evaluierung komplementärmedizinischer Verfahren genutzt wurde und wird, ist zum Teil auch für die Evaluierungen dieser neuen digitalen Gesundheitsanwendungen sehr nützlich. Therapeutische digitale Gesundheitsanwendungen sind häufig komplexe Interventionen. Der Placeboeffekt, positive Erwartungen sowie Kontexteffekte, werden vermutlich für die Wirksamkeit dieser Verfahren eine Rolle spielen. Die Forschung zur Integrativen Medizin verfügt bereits über viel Erfahrung, die hierfür zur Anwendung kommen kann. Mixed-Methods-Ansätze, also die Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, werden inzwischen nach Möglichkeit für die Evaluierung komplementärmedizinischer Verfahren gewählt. Forschung zu Effekten von Placebo und Erwartungshaltung ist fest in der Integrativen Medizin verankert. Und auch die Einbeziehung von Stakeholdern in den Forschungsprozess kommt inzwischen häufiger zur Anwendung. Die Forschung zur Integrativen Medizin kann die Forschung zu digitalen Gesundheitsanwendungen entscheidend mitprägen. Darüber hinaus sind aber auch die Inhalte der Integrativen Medizin für die Neuentwicklung von digitalen Gesundheitsanwendungen interessant. Betrachtet man zum Beispiel die Klassische Naturheilkunde, so fällt auf, dass sich viele Elemente der Phyto-, Hydro-, Ernährungs-, Bewegungs- und Ordnungstherapie entweder als eine digitale Unterstützung für die ärztliche Therapie oder sogar als eigenständige Lösung ohne medizinisches Fachpersonal eignen würden. Eine digitale Gesundheitsanwendung könnte Tees und deren Zubereitung auf Basis bestehender Symptome, dem Alter des Nutzers und eingenommenen Medikamenten vorschlagen, die korrekte Anwendung von Güssen beschreiben, Ernährung oder Bewegung tracken und gewünschte Ziele visualisieren, sowie motivieren ausreichend zu schlafen. Zum Teil existieren Teile dieser Szenarien bereits als App. So sind bereits komplexe Schlaf-Apps verfügbar, die unter Einbeziehung von Smartwatches nicht nur die Dauer des Schlafes rückmelden können, sondern auch Auskunft zu Schlafqualität und resultierendem Fitnessgrad geben.

      Die Forschung zu Gesundheitsapps mit komplementärmedizinischen Interventionen in den letzten 10 Jahren zeigt sehr klar, dass sich Entspannungsverfahren für onkologische Patienten (z.B. CanRelax) (Mikolasek et al. 2018), aber auch Akupressur bei Menstruationsschmerzen (z.B. Luna) (Blödt et al. 2018; Wang et al. 2020) und andere Self-Care-Maßnahmen gut in digitale Gesundheitsanwendungen übersetzen lassen und sich wirksam in der Reduktion von Symptomen zeigen. Dies lässt vermuten, dass komplementärmedizinische Angebote in digitaler Form helfen können, einen niedrigschwelligen Zugang zu mehr Gesundheitskompetenz zu ermöglichen.

       Sowohl Medizin als auch Gesundheit werden zukünftig sehr stark digital geprägt werden. Digitale Gesundheitsanwendungen werden dabei eine große Rolle spielen.

      Die beschriebene Entwicklung sollte als Chance angenommen werden. Es stellt sich für die Zukunft eigentlich nicht die Frage, ob die digitalen Gesundheitsanwendungen zum Teil der Integrativen Medizin werden oder zumindest eine stärkere Verknüpfung angestrebt werden sollte. Es besteht vielmehr die Frage, wie ein gutes Zusammenspiel zwischen Behandelndem, Erkranktem und den digitalen Angeboten ermöglicht wird. Ob dabei die Nutzung der digitalen Gesundheitsanwendungen unbedingt ärztlich koordiniert wird und wie viel Therapeut es überhaupt braucht, wird in nächster Zeit sicherlich spannender Diskussionsstoff sein.

       Literatur

      BfArM (2020) Digitale Gesundheitsanwendungen. URL: https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/DVG/_node.html (abgerufen am 28.08.2020)

      Blödt S, Pach D, Eisenhart-Rothe S, Lotz F, Roll S, Icke K, Witt CM (2018) Effectiveness of app-based self-acupressure for women with menstrual pain compared to usual care: a randomized pragmatic trial. Am J Obstet Gynecol 218(2):227, e1–227.e9

      DIMDI (2020) Medical Device Regulation (MDR). URL: