von Forschungsanträgen (Möglichkeiten, Ziele, methodische Durchführung, Kostenplan usw.)
Informierung über die Studie bei potenziellen Teilnehmenden (Ziele, Risiken, Ablauf, Interessenskonflikte usw.)
Vermeidung von Täuschung oder Minimierung unvermeidbarer Täuschung von Teilnehmenden
Umgang mit und Mitteilung von unerwarteten Ereignissen im Studienablauf (auch gegenüber Teilnehmenden)
Mitteilung von methodischen Schwächen (v.a. in der Publikation)
Unverfälschte Darstellung/Kommunikation der Ergebnisse (v.a. in der Publikation)
Führungstätigkeiten
Geben von Feedback (auch positiv!) zur Arbeitsleistung/Tätigkeit von Untergebenen
Mitteilung von Entscheidungen (strategische und finanzielle Planung, Personaleinstellungen usw.) an das Team
Akzeptieren und Wertschätzen von Ehrlichkeit der Untergebenen (z.B. bei Kritik)
Eingestehen eigener Fehler und (wenn erforderlich) Kommunikation derselben
Ein weiterer Aspekt, der v. a. im Umgang mit Patient*innen zuweilen zu berücksichtigen ist, ist „Ehrlichkeit angesichts von Unehrlichkeit“. Also: Wie ehrlich soll ich zu erkennen geben, dass ich mir relativ sicher bin, dass z.B. die Schilderung der*s Patient*in über die Symptome oder ihre/ seine Therapietreue nicht ganz ehrlich gewesen ist? Gerade in schambehafteten Angelegenheiten haben Patient*innen vielleicht Mühe, alles ehrlich zu schildern. Hier kann direkte Ehrlichkeit aufseiten der*s Ärzt*in auch mal unangemessen sein. Die Ermöglichung einer gewissen Unehrlichkeit aufseiten der Patient*innen kann also erforderlich sein, um die therapeutische Beziehung zu der*m Patient*in nicht zu gefährden. Ähnliches kann auch zwischen Kolleg*innen oder Untergebenen vorkommen.
2.3 Ehrlichkeit in einem digitalisierten Gesundheitswesen
Nicht überraschend ist und bleibt Ehrlichkeit erst mal in allen Tätigkeiten, die oben beispielhaft erwähnt worden sind, auch angesichts einer wachsenden Digitalisierung im Gesundheitswesen bedeutsam. Warum sollte z.B. die Aufklärung von Patient*innen weniger ehrlich vonstattengehen, wenn sie über Skype oder Zoom erfolgt? Selbst wenn vielleicht aufgrund des fehlenden Face-to-Face-Kontaktes gewisse Anpassungen an die Kommunikation erforderlich sind (z.B., weil die Körpersprache eingeschränkter oder gar nicht vorhanden ist), ändert das nichts an dem Anspruch, dass die Kommunikation ehrlich sein sollte.
Interessanter sind daher beispielhafte Besonderheiten, die direkter mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu tun haben. So wird z.B. behauptet, dass „Ehrlichkeit“ im digitalen Wandel v.a. „Transparenz“ ist (Gull 2016, S. 103): Man sieht eher, „was Sache ist“ (was die Fakten sind, aber auch, wer was getan hat oder tut, wer was gesagt hat usw.). Diese Transparenz kann zur Folge haben, dass Betrügereien (damit Unehrlichkeit) eher ans Licht kommen. Sie kann aber auch dafür sorgen, dass die vorher erwähnte Unehrlichkeit aufseiten von Patient*innen, die man zu einem gewissen Grad akzeptieren muss, „auffliegt“. Gesundheitsdaten, die bspw. per Gesundheitsapp in Echtzeit gesammelt und an die behandelnde Person übermittelt werden, erlauben es der*m Patient*in kaum noch, etwas anderes zu behaupten, als die Daten mitteilen. Aus Sicht der Versorgenden ist allerdings festzuhalten, dass automatisch erhobene und übermittelte Daten ein „ehrlicheres“ Bild vermitteln können, was die Diagnose oder Behandlung verbessert, gerade weil die Daten nicht auf der subjektiven Berichterstattung eines*r Patient*in beruhen.
Transparenz bzw. Ehrlichkeit in einer digitalisierten Arbeitswelt bedeutet ferner, wahrheitsmäßig darüber Auskunft zu geben, welche Daten wie erhoben werden, wem sie (danach) „gehören“, wie sie verwertet werden (und von wem), und über welche Rechte derjenige, der die Daten im Grunde „produziert“ hat, jeweils verfügt. Dies ist besonders auch in Forschungskontexten wichtig. Bei z.B. Apps oder anderen digitalen Lösungen ist darüber hinaus anzugeben, wer eine App entwickelt hat und zu welchem Zweck (ist es bspw. eine Privatfirma mit wirtschaftlichen Interessen?).
Bei Algorithmen-basierten Lösungen gehört ferner dazu, zu erklären, was der Algorithmus eigentlich „macht“, wie ein System bspw. trainiert wurde (anhand welcher Daten), und was das für die Ergebnisse bedeutet, die dadurch generiert werden. Auch die Grenzen von Apps bzw. anderen digitalen Lösungen müssen ehrlich kommuniziert werden, so z.B. bei Expert*innen-Systemen und anderen „Decision Aids“, also Systemen, die die (klinische) Entscheidungsfindung unterstützen sollen.
Ehrlichkeit bleibt ungeachtet der Digitalisierung bei allen Tätigkeiten und Situationen, bei denen sie auch in der analogen Welt wichtig ist, bedeutsam, muss aber je nachdem in der Umsetzung angepasst werden. Daneben gibt es aber Besonderheiten für Ehrlichkeit, die sich aufgrund der Digitalisierung ergeben (z.B. Umgang mit Daten, deren Erhebung und Auswertung).
2.4 Voraussetzungen für mehr Ehrlichkeit im (zukünftigen) Gesundheitswesen
Ehrlichkeit braucht als Tugend grundsätzlich Personen, deren Charakter entsprechend ausgeprägt oder für die (weitere) Entwicklung dieser Eigenschaft empfänglich ist. Sie braucht auch den Willen, in einer bestimmten Situation ehrlich zu sein, und die Fähigkeit, dies in angemessener Weise zu tun. Aber neben diesen inneren Voraussetzungen gibt es wichtige äußere Voraussetzungen. Ein ehrlicher Charakter und der „Wille zur Ehrlichkeit“ reifen in einer Gruppe oder Organisation (z.B. Behandlungsteam, Forschungsgruppe etc.) nur bei einer Kultur, die Ehrlichkeit nicht nur „aushält“, sondern auch fördert. Hier haben Führungskräfte eine Vorbildfunktion, indem sie offene (= ehrliche) Kommunikation zulassen und selber umsetzen, nicht nur gegenüber den Mitarbeitenden, sondern z.B. auch im Umgang mit Patient*innen oder Studienteilnehmenden. Darüber hinaus müssen Erfahrungen gemacht und miteinander geteilt werden, wie mit digitalen Lösungen ehrlich umgegangen werden kann bzw. bisherige Anforderungen an Ehrlichkeit weiterhin angemessen umgesetzt werden können. Dies ist erforderlich, um auch in der digitalisierten, nicht nur analogen Arbeitswelt eine entsprechende Kultur zu entwickeln und Fähigkeiten zu verfeinern, um im Gesundheitswesen (weiterhin) ehrlich sein zu können.
Ehrlichkeit ist von inneren Voraussetzungen (Charakter, Wille, Fähigkeit) und äußeren Voraussetzungen (Kultur der Organisation, Vorbilder, geteilte Erfahrungen) abhängig. Beide müssen ausreichend gegeben und auch in einer digitalen Arbeitswelt gefördert und reflektiert werden.
Literatur
Beauchamp TL, Childress JF (2009) Principles of Biomedical Ethics. Oxford University Press New York/Oxford
Chiapparini E (2012) Ehrliche Unehrlichkeit. Eine qualitative Untersuchung der Tugend Ehrlichkeit bei Jugendlichen an der Züricher Volksschule. „Phil. Diss“ Zürich
Gull M (2016) Ehrlichkeit im Digitalen Wandel. In: Lorentschitsch B (Hrsg.) Werte im Digitalen Wandel. Wir sind dafür. 101–106. Verlag noir Wien
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