Gisela Garnschröder

Der hölzerner Engel


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Verkäufer Champignons, gemischt mit grünen Pfefferschoten eingelegt in Olivenöl. Cäcilia Brant war begeistert. Ein Plastikschälchen wurde gefüllt und mit einem Deckel dicht verschlossen.

      »Hm! Eingelegte Champignons«, erscholl eine Stimme.

      Der Verkäufer erkannte Tann und lachte.

      »Herr Kommissar, lecker, möchten Sie probieren?« Ohne die Antwort abzuwarten, wog er ein weiteres Schälchen ab.

      »Hallo, Jos, im Dienst?«, fragte Cil und verstaute die Champignons in ihrem Einkaufskorb.

      »Hey, Cil.« Er grinste breit, ohne auf ihre Frage einzugehen, schaute in ihren Korb und meinte: »Ich glaube, wir gehen das nächste Mal zum Griechen.«

      »Hast du frei?« Cil ließ nicht locker.

      Er schüttelte den Kopf. »Nachtdienst.«

      Sie hängte ihre Tasche über die Schultern.

      »Kann man nichts machen. Viel Spaß dabei.«

      Er hatte seine Ware bezahlt und hechtete er hinter ihr her. »Warte.« Sie blieb stehen. »Wie wär’s mit übermorgen? Dann hab ich abends frei.«

      »Geht in Ordnung.« Sie lächelte.

      »Ich hol dich ab«, sagte er.

      Plötzlich ein schriller Schrei. Wie von der Tarantel gestochen stob er durch die Marktstände davon. Sein Schälchen mit Pilzen hatte er fallen lassen. Cil hob die Tüte auf und legte sie in ihren Korb.

      Langsam folgte sie ihm. Hinter den Marktständen hatte sich ein Menschenauflauf gebildet. Cil sah Jos inmitten des Trubels. Er kümmerte sich um eine ältere Frau.

      »Er hat sie von hinten umgestoßen und ihr die Handtasche entrissen«, berichtete die Frau neben ihr gerade.

      Eine andere fiel aufgeregt ein: »Mit dem Fahrrad ist er auf sie zu gefahren.«

      Jetzt wich die Menge auseinander. Zwei Polizisten kamen mit dem Fahrrad. Cil war sich sicher, dass Jos die Fahrradstreife informiert hatte. Die Uniformierten nahmen die Personalien auf und erkundigten sich bei den Umstehenden nach dem Vorfall. Sofort hatten mehrere Passanten das Interesse verloren. Die Menge löste sich auf. Der herbeigerufene Krankenwagen hatte keine Schwierigkeiten durchzukommen.

      Cil sah, dass die Überfallene am Kopf blutete und einen Arm merkwürdig baumeln ließ. Sie war bemerkenswert ruhig. ›Wahrscheinlich der Schock‹, dachte Cil. Die Frau wurde von Jos gestützt, bis der Krankenwagen sie zum Krankenhaus brachte. Jos kam kurz darauf zu Cil.

      »Wartest du auf jemanden?«

      Sie nickte. »Du hast deine Pilze verloren.«

      Sie holte das Schächtelchen aus ihrem Korb und reichte es ihm.

      »Danke, daran habe ich gar nicht mehr gedacht.«

      Sie gingen gemeinsam durch die Marktstände zurück.

      »Wie ist es passiert?«, erkundigte sich Cil.

      »Das übliche Spielchen. Sie hatten es auf die Handtasche abgesehen. Die alte Dame hat Glück gehabt. Leichte Schürfwunden, Arm gebrochen. Das ist schon der sechste Vorfall in vier Wochen. Immer dieselbe Masche. Junger Mann überholt in schneller Fahrt eine Frau und entreißt ihr die Tasche. Durch den Ruck werden die Frauen in der Regel zu Boden geschleudert. Dabei entstehen zum Teil erhebliche Verletzungen. In einem Fall hat eine alte Dame einen Schädelbruch erlitten, weil sie unglücklich mit dem Kopf auf einen Blumenkübel aufgeschlagen ist.«

      Cil hatte still zugehört. »Habt ihr eine Ahnung, wer dahinter steckt?«

      »Vielleicht ist es einer, vielleicht sind es mehrere. Die Täter sind so schnell, dass die Geschädigten sie nur schlecht beschreiben können. Dunkle Haare, schlanke Figur, jungenhaftes Aussehen, Jeanshose, T-Shirt. Das trifft auf so viele zu.«

      Cil hatte in einer Seitenstraße geparkt. Sie schloss den Kofferraum auf und stellte ihren Korb hinein. Josef Tann wendete sich zum Gehen.

      »Bis dahin! Ich hol dich ab.«

      »Lass dir‘s gut gehen«, antwortete sie und ließ den Kofferraumdeckel zu fallen.

      Es war kurz nach zehn Uhr abends, als bei der Leitstelle der Gütersloher Polizei ein Notruf einging. Eine verschreckte Frauenstimme war zu hören. Hastig berichtete sie über einen Einbruch bei ihren Nachbarn. Der Beamte, der das Gespräch entgegennahm, hatte Mühe die Dame zu beruhigen, um Namen und Anschrift zu erfahren.

      Kurz darauf fuhr ein Streifenwagen los.

      Kommissar Tann erschien eine knappe halbe Stunde später in der Alsenstraße. Der Polizeiwagen parkte vor dem hell erleuchteten Haus der Familie Gressmer. Einige Nachbarn standen herum.

      Tann erkundigte sich bei seinem uniformierten Kollegen, der an der Eingangstür Posten bezogen hatte.

      Frau Siemer, die Nachbarin, hatte gegen zehn Uhr im Nachbarhaus die Rollläden herunterlassen wollen. Im Haus herrschte ein schreckliches Durcheinander und sie verständigte sofort die Polizei.

      Frau Siemer saß im Wohnzimmer. Sie war sehr blass. Auf Tanns Frage, wann sie das letzte Mal im Haus gewesen war, antwortete sie aufgeregt:

      »Heute Morgen, Herr Kommissar. Jeden Morgen habe ich die Rollläden hochgezogen. Und nun das! Was wird nur Herr Gressmer sagen?! Er ist zur Kur.«

      »Nun beruhigen Sie sich erst einmal, Frau Siemer. Wie können wir Herrn oder Frau Gressmer erreichen?«

      Tann hatte sich in einen Sessel gesetzt. Zwei Männer der Spurensicherung waren gerade angekommen. Frau Siemer schaute ihnen interessiert zu. Sie wandte sich wieder an den Kommissar.

      »Frau Gressmer ist im Krankenhaus. Herr Gressmer hat mir seine Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben. Ich habe den Zettel dort drüben auf die Anrichte gelegt.«

      Sie stand hastig auf, ging zur Anrichte und schaute sich suchend um. Alle Schubladen waren aufgezogen und der Inhalt zum großen Teil einfach auf den Boden gekippt worden. Tann trat zu ihr.

      »Fassen Sie bitte nichts an, Frau Siemer. Unsere Leute werden den Zettel schon finden. Wissen Sie den Kurort?«

      »Natürlich, Bad Oeynhausen.«

      »Das hilft uns bereits weiter. Sie können jetzt nach Hause gehen, Frau Siemer. Wenn noch Fragen sind, werde ich mich an Sie wenden.«

      Er geleitete die Frau hinaus. Draußen war es still. Die Anwohner hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen.

      Tann hatte sich Handschuhe angezogen und untersuchte die Sachen vor der Anrichte. Nach kurzer Zeit wurde er fündig.

      Die Kollegen von der Spurensicherung waren schon fort. Tann hatte alle Räume angesehen, zuletzt das Zimmer der verstorbenen Tochter. Hier herrschte die größte Unordnung. Kopfschüttelnd verließ Tann den Raum. Das Durcheinander ließ darauf schließen, dass der Einbrecher etwas gesucht hatte. Aber was? Der Schmuck von Frau Gressmer lag verstreut auf dem Boden des Schlafzimmers.

      Noch einmal überprüfte er das Schloss an der Haustür. Die Kollegen hatten keinerlei Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen gefunden. Der Einbrecher musste im Besitz eines Schlüssels gewesen sein. Tann erinnerte sich, dass der Schlüssel von Susanne Gressmer verschwunden war. Hatte ihn jemand gefunden? Unwahrscheinlich. Er konnte sich eher vorstellen, dass jemand den Schlüssel die ganze Zeit gehabt und die Abwesenheit der Hausbesitzer genutzt hatte.

      Die Nacht war warm. ›Richtiges Biergartenwetter‹, dachte Tann. An der Haustür hatte sich sein Kollege Klaus Mersch postiert. Ein weiterer Kollege saß im Wagen.

      »Klaus, ich fahr ins Büro den Bericht machen.«

      Mersch hatte es sich auf den Treppenstufen gemütlich gemacht. »Alles klar!«, rief er und Tann fuhr davon.

      Gernot Gressmer traf gegen fünf Uhr in der Frühe vor seinem Haus ein. Tann erwartete ihn bereits. Gressmer begrüßte ihn nur kurz und ging hinein, um den Schaden zu begutachten. Tann folgte ihm wortlos.