"Was wäre Ihre Aufgabe gewesen?"
Er beugte sich vor. "Hey Mann, so etwas wird auf dieselbe Art und Weise aufgezogen! Bei einer Behörde wie dem Pentagon oder der NASA gibt es Tausende von Rechnern, die miteinander vernetzt sind. Natürlich kann man nicht einfach in das Hauptsystem herein, das ist gut gesichert. Man muss es gewissermaßen durch die Hintertür schaffen. Die Statistik spricht einfach dafür, dass irgendeiner von diesen mehreren tausend Rechnern Passwort und Zugangscodes immer noch auf Werkseinstellung sind. Und da kommt man dann rein. Man muss nur lange genug suchen und genau das war die Aufgabe, für die Mark bezahlt wurde."
"Und wenn es keinen Rechner im Datenverbund gibt, der auf Werkseinstellung steht?"
"Auch kein Problem. Man braucht nur die Geburtsdaten und Vornamen der Mitarbeiter und ihrer Angehörigen. Mindestens die Hälfte aller Passwörter besteht aus derartigen Kombinationen! Und an die Daten kommt man durch andere Quellen leicht heran. Krankenkassen-Rechner sind hervorragend geeignet dafür..."
"Wie weit ist dieses Projekt Ihrer Meinung nach fortgeschritten?"
"So wie ich das sehe, muss es vor kurzem abgeschlossen worden sein."
"Wie bitte?"
"Jedenfalls hat Mark so viel an Honorar bekommen, dass er sich einen Ferrari dafür kaufen konnte! Er hat mich sogar mal damit fahren lassen. Ein heißes Ding, sag' ich euch!"
Bevor wir gingen, gab ich ihm noch meine Karte. "Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, das für uns interessant sein könnte..."
"...rufe ich an!", versprach er.
12
"Was machen wir mit dem Kerl?", fragte mich Milo, als wir wieder in unserem Sportwagen saßen. "Nimmst du ihm ab, dass er nichts mit der 'großen Sache' zu tun hat?"
"Bis jetzt wissen wir noch nicht einmal, ob überhaupt etwas dran ist", gab ich zu bedenken. "Wir haben nur O'Flahertys Aussage."
"Möglicherweise gibt es unter 'BigBytes' Freunden noch einige, denen er eine Mitarbeit angeboten hat."
"Ja. Allerdings bezweifle ich, ob alle so mutig sind, darüber zu reden."
"Jedenfalls nicht die, die das Angebot angenommen haben!"
"Auf jeden Fall müssen wir uns bei Mister McKee melden. Unser Chef sollte mal festzustellen versuchen, ob man im Pentagon überhaupt etwas von einem 'Einbruchsversuch' ins Datennetz gemerkt hat!"
"Wenn du mich fragst, dann sollten wir die Computer sämtlicher auf unserer Liste stehender Personen beschlagnahmen und untersuchen lassen..."
"Das macht kein Richter mit!"
Milo zuckte die Achseln. "Vermutlich hast du recht, Jesse. Allerdings geht es möglicherweise um einen Fall, der die nationale Sicherheit berührt..."
Milos Handy schrillte. Es steckte in der Freisprechanlage unseres Sportwagens, so konnten wir beide mithören.
Mister McKee war am Apparat.
"Auf einem Parkplatz drüben in New Jersey ist eine Frau tot aufgefunden worden. Vonda McDaniels. Die Kollegen dachten erst, dass es sich um einen Selbstmord handelte, aber jetzt sind Zweifel angebracht. Vonda McDaniels wohnte in der 53.Straße West, Hausnummer 432. Die Durchsuchung ihrer Wohnung hat sich ein interessanter Zusammenhang zu unserem Fall ergeben... Ich möchte, dass Sie diese Hacker-Clique für eine Weile vergessen und sofort dort hin fahren."
"Okay, Sir", sagte Milo.
Und dann berichtete mein Kollege von unseren bisherigen Ermittlungsergebnissen.
Mister McKee hörte aufmerksam zu.
"Ich werde mal im Pentagon und bei den Kollegen der NSA anfragen", kündigte er an. "Ansonsten kann ich nur hoffen, dass Sie beide sich irren und dieser O'Flaherty Ihnen einen Bären aufgebunden hat."
"Wenn doch etwas dran ist, hätten die Kontakte zu dem Server in Russland natürlich eine besondere Brisanz."
"Wenn die Pentagon-Zugangscodes an unsere neuen Freunde in Moskau gelangten, wäre das vermutlich noch die harmloseste Variante. Es könnte im Grunde jeder Geheimdienst der Erde dahinterstecken! Und selbst im eigenen Land gibt es jede Menge Interessenten für derartige Daten..."
"Rüstungskonzerne zum Beispiel, die gerne im Voraus wissen möchten, was der Pentagon so für die Zukunft plant", meinte ich. "Bei Ausschreibungen für Rüstungsprojekte lässt sich die Konkurrenz dann prima ausschalten..."
Zwanzig Minuten später hatten wir die Adresse erreicht, die Mister McKee uns angegeben hatte. Es handelte sich um ein Appartementhaus der Mittelklasse. Vonda McDaniel hatte im dreizehnten Stock gewohnt. Durch die getönten Fensterscheiben hatte man einen freien Blick bis zum Hudson.
Bei gutem Wetter auch darüber hinaus. Fast bis zu der Stelle, an der die junge Frau gestorben war.
In der Wohnung trafen wir auf ein Team der Scientific Research Division sowie Captain Nathan Blake vom 46. Polizeirevier des New York Police Department.
"Hallo, Jesse, hallo Milo!", begrüßte Blake uns. Wir kannten uns flüchtig. Früher hatte Nat Blake beim Police Department von Yonkers gearbeitet. Aber auf Grund von Meinungsverschiedenheiten mit seinen Vorgesetzten, war er bei Beförderungen übergangen worden. Nachdem er zum NYPD gewechselt war, hatte es dann geklappt. Jetzt war er Captain und Chief eines Reviers.
"Wie geht's, Nat?", fragte ich.
"Ich kann nicht klagen - außer über die schlampige Arbeit der Kollegen in New Jersey. Ich zeige euch mal ein paar Tatortfotos..."
Er holte die Bilder aus der Jackentasche, breitete sie auf dem niedrigen Wohnzimmertisch aus, mit dem die SRD-Kollegen schon fertig waren. "Vonda McDaniel wurde zunächst aus einer Entfernung von ein bis zwei Metern erschossen. Dann hat der Täter dem Opfer die Waffe in die Hand gedrückt, die Mündung auf die Schusswunde gesetzt und nochmal abgedrückt. Das zweite Projektil durchschlug den Schädel und drang in den Boden. Der Täter hat es entfernt, aber der Einschuss ließ sich dennoch nachweisen. Durch die Hitze beim Einschuss geschmolzene Sandkörner, Blutspuren des Opfers, die das Projektil in die Erde transportierte... Ich will da nicht in die Details gehen. Ihr kennt das ja."
"Und in wie fern besteht ein Zusammenhang mit der Schießerei Ecke Bedford Street/Seventh Avenue?", hakte Milo nach.
Nat Blake hob die Augenbrauen. "Schießerei ist gut! Nach allem, was man darüber hört, war es ein regelrechtes Massaker!" Er wies mich und Milo mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen. Wir gingen nacheinander in den Nachbarraum.
Eine SRD-Kollegin mit langen roten Haaren und einem weißen, hauchdünnen Einweg-Schutzoverall war gerade damit beschäftigt, Fingerabdrücke vom Türgriff zu nehmen.
Auf einem gediegen wirkenden Eichenschreibtisch lag ein brauner Umschlag.
"Seid ihr damit schon fertig?", fragte Blake und deutete dabei auf das Kuvert.
"Nein, bitte nur mit Latexhandschuhen anfassen! Ich bin noch nicht dazu gekommen", war die Auskunft der Rothaarigen.
Blake trug ohnehin Latexhandschuhe. Er öffnete das unverschlossene Kuvert. Darin befanden sich Fotos. Sie zeigten eine Person, die auf unserer Fahndungsliste stand.
"Desmond Cole!", stieß ich hervor. Der Mann im Mitsubishi, auf den es die Killer-Truppe an der Ecke Bedford/Seventh Avenue abgesehen gehabt hatte.
Nat Blake nickte. "Ja, genau! Was diese Fotos genau bedeuten, müsst ihr rausfinden."
"Diese Schnappschüsse sehen aus, als ob Cole beschattet worden ist!", stellte Milo fest. Auf einigen der Fotos war das Gesicht in Großaufnahme zu sehen. Andere waren aus größerer Entfernung aufgenommen worden. Sie zeigten Cole mit weiteren Personen in einem der zahllosen Straßencafes im Village. Dann beim Telefonieren an einem öffentlichen Fernsprecher am Madison Square. Wieder ein anderes zeigte ihn vermutlich im Battery Park. Jedenfalls