Christine Metzger

Herzstücke in Oberbayern


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auch automatisch an Exoten, letzte Exemplare ihrer Art, die geschützt in fernen Reservaten oder Zoologischen Gärten leben? Genauso automatisch läuft die Assoziationskette beim Wort »Haustier« ab: Hund, Katze, Hamster, Meerschweinchen, Wellensittich, Zierfische …

      Haustiere erfreuen die Seele, Nutztiere füllen den Magen. So denken wir heute und stolpern über den Begriff »alte, gefährdete Haustierrassen«. Hund vom Aussterben bedroht? Wohl kaum. Nein, es geht um Schafe, Ziegen, Kühe, Federvieh, Schweine, Pferde – Tiere, die früher zu Haus und Hof gehörten und in vielfältigen Rassen vorkamen, die sich über Generationen ihrer natürlichen Umgebung in den verschiedenen Regionen angepasst hatten. Diese alten Haustierrassen waren gesund und widerstandsfähig und konnten auch mehrere Funktionen erfüllen. Der Ochse zum Beispiel diente als Arbeitstier und Fleischlieferant. Heute halten die meisten Landwirte nur noch Tiere, die auf Leistung gezüchtet sind: Kühe sollen bis zu 40 Liter Milch am Tag geben, Hühner möglichst viele Eier legen, Puten riesige Brüste entwickeln. Rassen, die keine Turboleistungen erbringen, sterben aus, allein in Deutschland stehen rund 90 auf der Roten Liste.

      Schade, denkt man beim Anblick der rotbraunen Murnau-Werdenfelser auf dem Hof der Familie Schlickenrieder, das sind doch wirklich hübsche Kühe. Und die Bergschafe, was für süße Schnauzen! Aber bei dem, was die Schlickenrieders sich zur Aufgabe gemacht haben, geht es nicht um Sentiment. Ihr Betrieb ist weder Gnadenhof noch Streichelzoo. In den Arche-Höfen soll Genmaterial erhalten bleiben, das mit den alten Rassen unwiederbringlich zu verschwinden droht. Schlickenrieders sind Vollerwerbslandwirte, das heißt, sie können die Tiere nur halten, wenn ihre Produkte Absatz finden. Sprich: Aufessen, damit die Rasse erhalten bleibt. Trinken für den guten Zweck geht auch, im Hofladen gibt es neben Biofleisch von Lamm, Rind und Schwein, Naturloden und Fellen auch hausgebrannte Edelschnäpse.

      ArcheHof Schlickenrieder · Markweg 50 · 83624 Otterfing · Tel. 08024/925 25 www.archehof-schlickenrieder.de

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       GOTZING: KLEINBONUM IN BAYERN

       Die Tschüßitis ist eine ansteckende Krankheit, die sich unaufhaltsam von Norden nach Süden ausbreitet. In Bayern sind so viele von ihr befallen, dass die Menschen das Krankheitsbild gar nicht mehr erkennen und eher jene für abnorm halten, die sich mit einem »Servus« oder »Pfiadi« verabschieden.

      Auch andere Erreger treiben ihr Unwesen. Sie verursachen das Hallo-Syndrom, Morbus Lecker und die Ok-Diarrhoe. Für den medizinischen Laien: Wenn Sie in einem Wirtshaus mit einem flotten »Hallo« gegrüßt werden, man ihnen den »Schweinebraten« als »superlecker« empfiehlt und die Bedienung die Bestellung mit einem lang gezogenen »ookaaay« bestätigt, ist anzunehmen, dass die Küche ebenso wenig authentisch ist wie die Sprache.

      Auf der Speisekarte der Gotzinger Trommel steht »rustikaler Schweinsbraten mit aran reschn Schwartl«, und der schmeckt nicht nur ausgezeichnet, auch das Bairisch ist korrekt: »In Bayern sagt man Schweinsbraten, weil bei uns ein Schwein so groß ist, dass man mehrere Braten herausbringt. Beim Schweinebraten sind die Viecher so klein, dass mehrere Schweindl nötig sind, um einen Braten zu bekommen«, erläutert die Karte. Die nennt Nockerl »Noggal«, Suppe »Suppm«. Alles ist »hausgmachd« denn der Wirt Hans Triebel legt genauso viel Wert auf die Qualität seiner Küche wie auf die Pflege der Sprache. Das alte Wirtshaus aus dem 17. Jahrhundert als »urig« zu bezeichnen, verbietet sich, es ist eine »Traditionswirtschaft«.

      Hans Triebel war mal Vorsitzender des Vereins zur Förderung der bairischen Sprache und Dialekte, jetzt widmet er sich lieber seinem Theater, übersetzt Stücke ins Bairische und tritt auch selbst auf. In der Halle finden regelmäßig Lesungen, Kabarettabende und Musikveranstaltungen mit bekannten Künstlern statt. 2006 hat er übrigens bundesweit für Aufsehen gesorgt, weil er Gotzing zur »Tschüßfreien Zone« erklärte. Kleinbonum in Oberbayern. Doch der Widerstand ist zwecklos. Die Seuche kann man nicht niederprügeln wie römische Legionäre. Sie breitet sich aus. Unsichtbar, aber leider nicht unhörbar.

      Gotzinger Trommel · Mi–So 11–24 Uhr · Gotzing 1 · 83629 Weyarn · Tel. 08020/17 28 www.gotzinger-trommel.de

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       LUFTTÜRME STATT ALMHÜTTEN

       Was sind Lufthütten? Luftschlösser für Arme? Nein, es sind Produkte der Reformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die den »zivilisationsgeschädigten« Menschen heilen wollte. Der Weg hieß »Zurück zur Natur«, und dabei sollte auch der Körper mit Licht und Luft in Berührung kommen.

      Licht und Luft – beides fehlte den Menschen, die in den durch die Industrialisierung zunehmend verschmutzten Städten lebten. Beides galt als Heilmittel und wurde ab 1850 zu Therapiezwecken eingesetzt. Richtungsweisend war dabei der Schweizer Arnold Rikli: In seinem Sanatorium lebten die Menschen in einfachen, offenen Hütten, wo sie ihre unbekleideten Leiber Licht und Luft aussetzten. Dass der Körper über die Hautatmung Krankheitsstoffe ausschied, ist zu bezweifeln, aber für einen Zivilisationsgeschädigten war diese primitive Lebensform wohl adäquat, um ihn ohne Umwege zurück zur Natur zu schicken. Auch Burgi von Mengershausens Urgroßvater gehörte der Naturbewegung an. 1904 eröffneten der Arzt und seine Frau in einem Anwesen aus dem 16. Jahrhundert eine »physikalisch-diätetische Heilanstalt«, in der sie boten, was auch heute wieder angesagt ist: Naturheilkunde, Bewegung, Fasten- und Kneippkuren.

      Almhütten hätten einige im Gemeinderat favorisiert, als es um den Umbau des Sanatoriums zum Hotel ging. Eine Mammutaufgabe, die Burgi von Mengershausen und ihr Partner meisterten: das Erbe des Urgroßvaters erhalten und in Einklang mit modernen An- und Zubauten bringen. Die Almhüttenidee hätte mehr Platz gebraucht und mehr Landschaft verbaut. So griff Architekt Florian Nagler die Idee der Lufthütten auf und platzierte 2012 vier dreistöckige Holztürme auf dem Hang. Grandiose, mit dem Architekturpreis ausgezeichnete Bauten, die hoch über dem Ort Akzente setzen und beweisen, dass diese Landschaft auch anderes verträgt als Almhütten.

      Tannerhof – Naturhotel & Gesundheitsresort · Tannerhofstr. 32 · 83735 Bayrischzell Tel. 08023/810 · www.natur-hotel-tannerhof.de

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       ROSENHEIM: VOM KORN ZUR BOHNE

       Karl Baedeker, der in den 1840er-Jahren unterwegs war, bezeichnete Rosenheim als »hübsches Städtchen mit Salzsiedereien am Einfluss der Mangfall in den Inn. Die Soole wird von Reichenhall hierher geleitet.« Baedeker reiste mit dem »Eilwagen« von München an, die Fahrt dauerte fast zwölf Stunden.

      1865 beschrieb sein Kollege Ludwig Gassner die Stadt: Die »Kunstmühle befindet sich in der nächsten Nähe des Wasserhofs und bietet namentlich auf der Bahnlinie von Kolbermoor her … wegen ihres hübschen Baus den Reisenden einen herrlichen Anblick.« Diese zwei Impressionen verdeutlichen den technischen Fortschritt im industriellen Zeitalter: Innerhalb von rund 20 Jahren hatte die Eisenbahn den Eilwagen ersetzt, die 1855 errichtete Kunstmühle schien Gassner so wichtig, dass er den Blick der Reisenden darauf lenkte. Auch wenn sich heute im Obergeschoss die Ausstellungsräume des Kunstvereins Rosenheim befinden, der Begriff »Kunstmühle« hat nichts mit den schönen Künsten zu tun, er rühmt