Christine Metzger

Herzstücke in Oberbayern


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und wurde durch stählerne, mit elektrischen Motoren angetriebene Walzen ersetzt. So ein technisches Wunderwerk und dann noch ein »hübscher Bau« – das verdiente schon eine Erwähnung im Reiseführer. 1972 wurde der Betrieb eingestellt, und der hübsche Bau vergammelte, es gab Überlegungen, ihn abzureißen. Ein Investor sanierte die Anlage in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz und schuf Raum für Wohnungen und Büros. Die Kaffeerösterei Dinzler zog ins Erdgeschoss ein. Wo früher Mehl gemahlen wurde, duftet es nach Kaffee, und Lebenskünstler wissen, wie sie den Tag beginnen: mit einem köstlichen Frühstück im Café in der Kunstmühle.

       image Der Landesgartenschau 2010 verdankt Rosenheim den Mangfallpark. Man spaziert am Fluss mit Bergblick, für die Kleinen gibt es eine Kinderkajakstrecke.

      Kunstmühle · Dinzler Kaffeerösterei · Mo–Mi, Fr, Sa 8–18, Do 8–22, So 9–18 Uhr Kunstmühlstr. 12 ·83026 Rosenheim · Tel. 08031/408 25 31 · www.dinzler.de

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       ASCHAU: WERKZEUG UND KUNSTOBJEKT

       Das Messer ist eines der ältesten Werkzeuge von uns Menschen. Seit der Steinzeit ist es in seiner Erscheinungsform gleich geblieben: Klinge und ein Griff zum Halten. Das Material, aus dem beides hergestellt wird, hat sich im Lauf der Jahrtausende allerdings verändert.

      Knochen, Geweih, Stein, Kupfer, Stahl – zu Messern wurde alles verarbeitet, was hart genug war, um Stechen, Aufspießen oder Schneiden zu ermöglichen. Der moderne Mensch stellt sogar Plastikmesser her – womit der Tiefpunkt in der Kulturgeschichte dieses Werkzeugs erreicht ist, dessen Funktionalität bis dato auch immer mit Ästhetik verbunden war. Um diese Kombination geht es den jungen Männern, die das Messer Werk betreiben. Ihn fasziniere »die Verbindung von Werkzeug und Kunstobjekt«, sagt Luca Distler, gelernter Kunstschmied. Mit Messern beschäftigte er sich am Anfang nur nebenbei in der Freizeit. Doch mit einer Begeisterung, die bald seinen Freund Florian Pichler ansteckte. Der brachte als Zahntechniker das Gespür für die Feinarbeit und die nötigen Kenntnisse der Schleiftechnik mit. Die Produkte der beiden fanden Liebhaber, 2004 gründeten die Freunde ihre eigene Firma, 2009 wagten sie den Sprung in die Selbstständigkeit und mieteten die alte Hufschmiede in Hohenaschau. Heute kommen Köche, Jäger, Fischer und Sammler aus nah und fern ins Messer Werk, lassen sich beraten – der Verwendungszweck bestimmt Form, Härte und Elastizität der Klingen –, wählen das Material für die Griffe. Und strahlen, wenn sie ihre Messer abholen – jedes ein Kunstwerk aus Damaszenerstahl. Der besteht aus verschieden Stählen, die erhitzt, durch Schmieden verschweißt, immer wieder gefaltet und erneut geschmiedet werden, bis eine Klinge entsteht, die aus mehreren Hundert Schichten bestehen kann. Diese Schichten geben der Schneide die changierende Maserung, individuell wie ein Fingerabdruck.

       image Das Strandbad im Chiemseepark Felden ist kostenlos zugänglich, es gibt Kinderspielplätze, Beachvolleyballfelder und die Möglichkeit, Boote zu mieten.

      Messer Werk · keine Schauwerkstatt, aber Beratung ist jederzeit möglich · Kampenwandstr. 96a 83229 Aschau · Tel. 08052/957 12 34 · www.messer-werk.de

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       SCHÖNAU AM KÖNIGSSEE: BRAND VOM BERG

       Enzian ist blau. So wird er im Schlager besungen, »Ja, ja, so blau, blau, blau blüht … Wenn beim Alpenglühen wir uns wiedersehen«, und so wird er auf den Flaschen abgebildet, in denen der Schnaps auf den Markt kommt. Leuchtend blau – eine Farbe mit Sympathiewert, da greift man gerne zu.

      Allerdings handelt es sich hier um Etikettenschwindel. Die klare Flüssigkeit ist ein Destillat vom Gelben Enzian, doch dessen Blüten sind längst nicht so schön, und es hat sie auch noch keiner besungen. Dafür besitzt Gentiana lutea aber sehr viel kräftigere Wurzeln als ihr blaublütiger Verwandter, und darauf kommt es an: Für einen Liter Reinalkohol braucht man zwölf Kilo Wurzeln. Je höher die Pflanze wächst, desto dicker sind die, und so waren die »Wurzlgraber« früher in Höhen von 1000 bis 1500 Metern unterwegs. Bis zu 80 Kilo konnte ein guter Arbeiter pro Tag stechen, die ins Tal zu transportieren, wäre unökonomisch gewesen. Also verarbeitete man das Produkt dort, wo es wuchs, und errichtete Brennhütten, in denen die Graber und die Brenner den Sommer verbrachten. Mehr als reines Quellwasser und Holz braucht man nicht zum Brennen, und das ist in den Bergen reichlich vorhanden.

      Heute produziert die Firma Grassl, die im 17. Jahrhundert gegründete älteste Enzianbrennerei Deutschlands, mit modernen Methoden, aber in den Brennhütten wird noch immer Handarbeit geleistet. Die malerischste liegt am Priesberg auf 1352 Metern Höhe. Hier kann man dem Brenner bei der Arbeit zuschauen und erfährt, wie der Enzian entsteht: Die Wurzeln werden gehackt und mit Wasser und Hefe zur Maische angesetzt. Wenn sich nach ein paar Wochen der Alkohol gebildet hat, kann das Brennen beginnen. Und selbstverständlich kann man den Enzian probieren, in einer Holzwanne stehen immer ein paar Flaschen im kühlen Wasser. Nur zur Warnung: Der erste Schluck ist grausig. Das zweite Glas schmeckt dann. Und nach dem dritten will man mehr. So viel mehr, dass schon manch einer »Ja, ja, so blau, blau, blau« ins Tal hinunterwankte.

      Enzian-Brennhütte am Priesberg · ab Parkplatz Hinterbrand (Scharitzkehlstr., Schönau/Königssee) ca. 1 Std. Wanderung · der Brenner arbeitet Mo–Fr von Juni–Okt.

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      Hoch hinaus muss, wer ordentliche Mengen an Enzianwurzeln stechen mag.

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       »DIE KLEIDSAME VOLKSTRACHT«

       »Lederhose und Laptop.« Die von Bundespräsident Roman Herzog 1988 geprägte Metapher erfreut sich noch heute großer Beliebtheit bei bayerischen Politikern, verbindet sie doch Innovation mit dem, was es angeblich seit Jahrhunderten gibt und was ein gestandenes Mannsbild schon immer trug: die Lederhose.

      Diese Mannsbilder hören es nicht gern, aber die bayerische Tracht ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, an der die Wittelsbacher maßgeblich beteiligt waren. Die suchten eine einende Symbolsprache für ihr Reich, das sich 1806 durch neu hinzugewonnene Gebiete beachtlich vergrößert hatte. Von der Erhaltung der Trachten versprach sich Max II. eine »Festigung des Nationalgefühls« und bat 1853 um Zeichnungen von herkömmlichen Trachten. Allein, es gab nichts zu zeichnen, die ländliche Bevölkerung kleidete sich nicht anders als die städtische, was in München Mode war, wurde bald auch auf dem Land getragen. Bei feierlichen Anlässen erschienen die Männer in schwarzen Anzügen, die Arbeitshosen waren aus Leinen.

      Lederne Beinkleider waren das Markenzeichen der Jäger, zum bayerischen Symbol wurden sie erst 1883 durch den in Bayrischzell gegründeten »Trachtenerhaltungsverein«, der – ganz im Sinn der Obrigkeit – die Liebe zur Heimat und zum Königreich fördern wollte und seine Mitglieder verpflichtete, immer die »kleidsame Volkstracht«, die kurze Lederhose, zu tragen. Andere folgten dem Beispiel, und für die Lederhosenmacher erschloss sich ein neuer Kundenkreis, den auch die 1888 gegründete Firma Stangassinger bediente.

      Franz Stangassinger gehört zu den wenigen in Bayern, die das Säcklerhandwerk noch beherrschen. Die Hirschhaut wird »sämisch gegerbt,