die Sowjetrussen und insbesondere Juden zum großen Teil geflüchtet. Am 23.6.41 waren 4 Beamte des Grenzpolizeikommissariats Platerow auf sowjetrussisches Gebiet gefahren und unvermutet beschossen worden. Sie waren seit dieser Zeit vermißt. Inzwischen ist der SS-Mann Möltner, erheblich verletzt, in ein Lazarett eingeliefert worden. Er teilte bei seiner Einlieferung ins Lazarett mit, daß auch die übrigen Beamten verletzt wurden und liegen geblieben seien. über das Schicksal dieser Kameraden konnte er keine näheren Angaben machen. Auch ein Zollkommissar aus diesem Bereich ist mit einem Zollbeamten und einigen Eisenbahnern, die sich über den Bug begeben hatten, überfällig. Vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Krakau wird gemeldet, daß der grundlegende Unterschied in den Kampfhandlungen gegenüber dem 23.6. das Vorstoßen der Panzertruppen sei. Man hofft, daß diese bald vor Dubno stehen. Der Fluß San sei überschritten. Guderian2 mit seinen Panzern ist durchgebrochen und über Slonim hinaus bis Luzk in Richtung Moskau gekommen. Hoth3 steht vor Wilna. Höpner4 steht vor Kowno. Der allgemeine Eindruck sei, so meldet Krakau, daß der Gegner sich an der Grenze zum Kampf stelle. Aus dem Baltikum werden schon Auflösungserscheinungen gemeldet.
I. V. gez. Müller
Verteiler:
Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei
Chef der Sicherheitspolizei und des SD
Gruppe IV E
Referat IV E 5
Alle ämter des RSHA
IV-Geschäftsstelle (3 Stück)
Sonderakte „UdSSR“ IV A l d
Aus: BAB, R 58/214
1 General Dusan Simovic, OB der jugoslawischen Luftwaffe, ließ in der Nacht vom 26. auf den 27.3.1941 Belgrad besetzen u. die bisherige Regierung verhaften, um selbst das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Das Reich sah in dem Putsch einen antideutschen Politikwechsel, weshalb es in Abänderung seiner Aufmarschvorbereitungen gegen die Sowjetunion das Unternehmen „Marita“ auslöste u. am 6.4. deutsche Truppen in Jugoslawien einmarschieren ließ, vgl.: Klaus Olshausen: Zwischenspiel auf dem Balkan. Die deutsche Politik gegenüber Jugoslawien und Griechenland von März bis Juli 1941, Stuttgart 1973, S. 40–96.
2 Heinz Guderian, 1941 als Generaloberst Bfh. der Pz.Gr. 2 im Verband der HGr. Mitte; Kenneth Macksey: Guderian, der Panzergeneral, Düsseldorf 1976; ders.: Generaloberst Heinz Guderian, in: Ueberschär: Hitlers militärische Elite, Bd. 2, S. 80–87; Hürter: Hitlers Heerführer, S. 628f.
3 Hermann Hoth, 1941 als Generaloberst Bfh. der Pz.Gr. 3 im Verband der HGr. Mitte, dann OB AOK 17 im Verband der HGr. Süd; Hürter: Hitlers Heerführer, S. 634f.
4 Erich Hoepner, 1941 als Generaloberst Bfh. der Pz.Gr. 4 im Verband der HGr. Nord; Heinrich Bücheler: Hoepner. Ein deutsches Soldatenschicksal des Zwanzigsten Jahrhunderts, Herford 1980; Samuel W. Mitcham/Gene Mueller: Generaloberst Erich Hoepner, in: Ueberschär: Hitlers militärische Elite Bd. 2, S. 93–99; Hürter: Hitlers Heerführer, S. 632f.
Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD | Berlin, den 26. Juni 1941 |
Amt IV – IV A 1 – B.Nr. 1 B/41 g.Rs. | [Stempel: Geheime Reichssache!] |
Ereignismeldung UdSSR Nr. 5
I) Politische übersicht:
a) Im Reich:
Die Staatspolizei(leit)stellen im Reich melden fortlaufend weitere Festnahmen und Internierungen von Staatsangehörigen der UdSSR. So meldet die Staatspolizeileitstelle Düsseldorf als bisheriges Gesamtergebnis 91 Festnahmen, darunter 63 Abnahmebeamte der UdSSR und 19 sonstige Staatsangehörige der UdSSR. Dagegen wurden in ihrem Bereich nur 9 kommunistische Funktionäre aus Vorbeugungsgründen in Haft genommen.
b) In besetzten Gebieten:
Belgien:
Die Dienststelle Brüssel des Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Frankreich und Belgien berichtet, dass sie die Festnahmeaktion gegen sowjetrussische Staatsangehörige, Sabotageverdächtige und Kommunisten abgeschlossen habe. Es seien 319 Angehörige der belgischen kommunistischen Partei festgenommen worden, die als Spitzenfunktionäre und als Hauptverteiler sowie Hersteller illegaler kommunistischer Schriften anzusehen seien. Nach vorliegenden Meldungen ist in Kreisen der Angehörigen der belgischen kommunistischen Partei eine grosse Unsicherheit eingetreten, da man unter Berücksichtigung der bisherigen geringen exekutiven Tätigkeit unter keinen Umständen geglaubt hatte, dass die deutsche Polizei derartige umfassende Maßnahmen durchzuführen in der Lage gewesen wäre. Die Maßnahmen haben weiter dazu geführt, dass die Arbeit der kommunistischen Partei in Belgien bedeutend gestört und in gewisser Beziehung lahm gelegt ist. Eine Gefahr besteht jedoch hinsichtlich der Durchführung von Streiks, die im Rahmen der Unzufriedenheit wegen der schlechten Löhne und Lebensmittelzuteilung naheliegen und leicht auszulösen sind.
c) Griechenland:
In Saloniki gelangten 21 Flugblätter, die im Druckverfahren hergestellt waren, zur VerteIlung. Die Flugblätter fordern zum offenen Aufstand unter Anwendung von Waffen sowie zur Sabotage auf. Sie sind unterschrieben mit „Heil Weltrevolution! Das Mazedonisch-Thrazische Büro der KPG“.
II) Verlauf der militärischen Aktion:
Panzertruppen unter General Hoth sind am 26.6.41 in Minsk und Panzerkräfte des Generals Höpner in Dünaburg eingedrungen. General Guderian ist mit seinen Panzerkräften über Sluzk hinaus vorgedrungen. In der Panzerschlacht am 24.6.41 bei Kaluze wurden 158 russische Panzer vernichtet, 40 Pak-Geschütze und 8 Batterien erbeutet. Unsere Truppen standen am 25.6. abends im Süden in der Gegend von Dubno (nordöstlich von Lemberg). Die Sowjetrussen leisten hartnäckigen Widerstand. Auch die rumänischen Truppen sind bei ihren Vorstössen auf verstärkte Feindeinwirkung gestossen.1 Im Bereich der nördlichen Heeresgruppe versuchen die im Kessel von Bialystok eingeschlossenen Feindkräfte nach Osten durchzustossen. Vorderste Linie unserer Truppen Baranowicze. Seit dem 24. wird Libau von Süden und Osten her angegriffen. Das Ergebnis ist noch nicht bekannt.
I. V. gez. Müller
Verteiler:
Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern
Chef der Sicherheitspolizei und des SD
Gruppe IV E
Referat IV E 5
Alle ämter des RSHA
IV-Geschäftsstelle (3 Stück)
Sonderakte „UdSSR“ IV A 1 d
Aus: BAB, R 58/214
1 Zur Beteiligung Rumäniens: Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord, S. 139 ff.; Müller: An der Seite der Wehrmacht, S. 54–80. Zum Hintergrund: Andreas Hillgruber: Hitler, König Carol und Marschall Antonescu. Die deutsch-rumänischen Beziehungen 1938–1944, Wiesbaden 1954; Jens Hanfland: Die internationale Lage Rumäniens im Vorfeld des „Unternehmens Barbarossa“. Vom deutsch-sowjetIschen Nichtangriffsvertrag bis zum überfall auf die UdSSR, Münster 2004; zur radikal-antisemitischen Eisernen Garde: Armin Heinen: Die Legion „Erzengel Michael“ in Rumänien, München 1986; zu deren Umsturzversuch am 20.1.1941, der von der SS insgeheim unterstützt wurde u. deren Verhältnis zu Antonescu seitdem extrem belastete: ebd., S. 450ff.; Andrej Angrick: Rumänien, die SS und die Vernichtung der Juden, in: Hausleitner/Mihok/Wetzel: Rumänien und der Holocaust, S. 113–138.
Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD | Berlin, den 27. Juni 1941 |
Amt IV – IV A 1– B.Nr. 1 B/41 g.Rs. | [Stempel: Geheime Reichssache!] |
23 Ausfertigungen, 21. Ausfertigung