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Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941


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       Photonachweis

       Die Herausgeber

      Die Optik der Täter

      Quellenkritische Vorbemerkungen

      Diese Edition ist überfällig. Im Vorwort zu Helmut Krausnicks und Hans-Heinrich Wilhelms 1981 erschienener Studie zu den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD räumte der damalige Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, ein, daß jenes Buch seine Entstehung dem Verzicht auf eine andere, an sich grundlegendere Publikation verdanke: Ende der 1950er Jahre habe das Institut geplant, die „Ereignismeldungen UdSSR“ – „eine Quelle, die der Zeitgeschichtsforschung schon frühzeitig eine systematische Auswertung oder Dokumentation nahelegte“ – umfassend zu edieren, doch habe sich dieses Vorhaben durch „zahlreiche sachliche und personelle Schwierigkeiten“ verzögert. Nachdem diese Meldungen jedoch hinreichend Eingang in die einschlägige Forschung gefunden hätten, habe man dann entschieden, „an die Stelle der Edition […] eine die Quelle auswertende Beschreibung und Untersuchung treten“ zu lassen.1 Erst Mitte der 1990er Jahre folgten weitere wichtige Veröffentlichtungen zum Thema Einsatzgruppen, wobei die „Ereignismeldungen“ einen großen Teil der Materialbasis bildeten, ohne selbst umfassend dokumentiert zu werden.2 Der Forschungskreis um Wolfgang Scheffler erschloß 1997 mit der Publikation der elf vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) erstellten zusammenfassenden „Tätigkeits- und Lageberichte“, einer Auswahl von Einsatzbefehlen und ergänzenden Dokumenten sowie Kurzdarstellungen zu den Einsatzgruppen in der deutsch besetzten Sowjetunion einem breiteren Publikum, was bis dahin bestenfalls Spezialisten bekannt war.3 Die Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart will nun in Kooperation mit wissenschaftlich und persönlich seit Jahren verbundenen Historikern sowie mit Unterstützung der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und des United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C.4 mit der vorliegenden Edition den größten, wichtigsten und aussagekräftigsten Korpus zeitgenössischer Quellen zu den Einsatzgruppen jener kritischen Analyse zugänglich machen, die dieses Schlüsselthema der NS-Geschichte verdient.5

      Für kaum einen anderen Teilkomplex der NS-Verbrechen gibt es so umfassende Selbstzeugnisse der Täter wie für die Massenmorde der Einsatzgruppen im Ostkrieg. Mit dem Beginn des „Unternehmens Barbarossa“, des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941, sammelte das RSHA die von den Kommandos der Einsatzgruppen und deren Stäben angeforderten Berichte und kompilierte aus ihnen in dichter zeitlicher Folge Lagebeurteilungen, die zunächst als tägliche „Ereignismeldung UdSSR“, seit dem 1. Mai 1942 als wöchentliche „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ in Himmlers SS- und Polizeiapparat zirkulierten und darüber hinaus auch anderen Dienststellen im Dritten Reich bekanntgemacht wurden. In 195 „Ereignismeldungen“ und 55 „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ dokumentierte Heydrichs Berliner Zentrale auf fast 4500 Schreibmaschinenseiten, was ihr über die deutsche Besatzungspolitik und vor allem über die eigenen Maßnahmen zur „Befriedung“ der eroberten Gebiete mitteilenswert erschien. Der vorliegende Band umfaßt alle „Ereignismeldungen“ (EM) des Jahres 1941. Sie sind nicht nur eine herausragende historische Quelle, indem sie ein breites Spektrum der deutschen Herrschaft mit der Judenvernichtung als zentralem Element abbilden; ihnen kommt daneben auch eine eigenständige Bedeutung für die Ereignisse selbst zu, da sie als Medium der Mordpraxis dazu beitrugen, den keineswegs klar vorgezeichneten Übergang zum Genozid möglich zu machen.

      Wie der Holocaust insgesamt war auch der Genozid an den sowjetischen Juden ein arbeitsteiliges Unternehmen. Zu den Schwungrädern der Mordmaschinerie gehörten Himmlers SS-Männer und Polizisten; keine andere Instanz gilt als derart eindeutig und dauerhaft in die Shoah involviert wie die Einsatzgruppen. Die Truppe integrierte erfahrene wie neuausgebildete Angehörige von Geheimer Staatspolizei, Kriminalpolizei und SIcherheitsdienst zu einem hochmobilen und schlagkräftigen Instrument in den Händen Himmlers und Heydrichs, das maßgeblich die „Endlösung der Judenfrage“ in der besetzten Sowjetunion vorantrieb. Die Weisungen Heydrichs waren, wie wir sehen werden, vage genug, um als Stimulans für diese entscheidende Eskalation in der NS-„Judenpolitik“ zu dienen: In Abstimmung mit der Wehrmachtsführung und in Zusammenarbeit mit anderen SS- und Polizeiverbänden sollten die Einsatzgruppen „Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung“ durchführen. Was und wer damit nach Einschätzung ihrer Kommandeure gemeint war, weisen deren Mordstatistiken nach. Innerhalb eines Monats, bis Ende Juli 1941, fielen ihnen im Gebiet zwischen Baltikum und Ukraine bereits rund 63000 Menschen zum Opfer; etwa 90 Prozent davon waren Juden. Insgesamt lassen sich anhand der EM und anderer Berichte für den Zeitraum bis Frühjahr 1942 mindestens 535000 Mordopfer der Einsatzgruppen belegen.6

      Gerade was die unvorstellbar hohen Exekutionszahlen angeht, sprechen die EM eine Sprache, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt; sie bieten aber auch signifikante, wenngleich weniger augenfällige Hinweise auf die Triebkräfte und Verantwortlichkeiten beim Übergang zum Völkermord an den europäischen Juden.7 Es ist daher kein Wunder, daß nach 1945 und bis in die Gegenwart Staatsanwälte und Historiker vor allem die EM als zentrale Quelle zur Aufarbeitung deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg benutzt haben, ohne daß sie einem breiteren Publikum verfügbar gewesen wären.8 Denn die EM waren mitunter der einzig erhaltengebliebene zeitgenössische Beleg mit Aussagekraft dafür, daß Massenexekutionen erfolgt waren. Dies gilt für ‚kleinere‘ Tatorte wie beispielsweise Dymer oder Gornostaipol9 bis hin zu den Zentren der solitär stehenden Großaktionen – sei es in Kiew, Dnjepropetrowsk oder Charkow. So verwundert es kaum, daß den EM gerade wegen der Vielzahl der in ihnen angeführten Verbrechen und der Nennung der tatbeteiligten Einheiten im Zuge der bundesrepublikanischen Ermittlungen wie bei der Anklagevorbereitung ein Stellenwert zukam, der einmalig ist. Man darf wohl mit Recht behaupten, daß ohne ihre tatortbezogenen Vorgaben so mancher Prozeß im Sinne der Angeklagten ausgegangen oder erst gar nicht zustandegekommen wäre.

      Bislang fehlt eine allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtgeschichte der Einsatzgruppen von ihren Ursprüngen anläßlich des österreich-„Anschlusses“ im März 1938 bis zur Ardennen-Offensive Ende 1944/Anfang 1945.10 Die meisten Überblicksdarstellungen zum Holocaust befassen sich zwar mehr oder weniger ausführlich mit den Einsatzgruppenmorden in der Sowjetunion, in der Regel allerdings ohne die Quellenüberlieferung eingehender oder im breiteren Kontext in den Blick zu nehmen. Diverse Dokumentensammlungen enthalten auszugsweise Abdrucke einiger EM, vor allem in englischer Übersetzung.11 In den USA publizierte Ronald Headland Anfang der 1990er Jahre die bislang einzige Untersuchung, die den Gesamtkorpus der EM unter einem zentralen Aspekt – ihrer Aussagekraft zum Judenmord – analysiert.12 Der vorliegende Band steht am Anfang einer auf vier Bände konzipierten Editionsserie, die erstmals alle Meldungen der Einsatzgruppen in der Originalsprache, um relevante Zusatzquellen ergänzt und kritisch kommentiert, präsentiert.

      Die Herausgeber wollen mit dieser Edition mehr leisten, als eine Lücke im Fundus publizierter Quellen zur deutschen Herrschafts- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg zu schließen. Die Bände der Reihe sollen auch dabei helfen, zukünftiger historischer Forschung Grundlage und Perspektive zu bieten. Insbesondere zwei Tendenzen lohnt es entgegenzuwirken: Erstens soll die Edition der sich immer mehr verbreitenden Ansicht widersprechen, es gäbe zur Ereignisgeschichte des Holocaust nichts Wesentliches mehr zu erforschen; was bleibe, sei die Analyse seiner bis in die Gegenwart anhaltenden Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Zweitens wollen dieser und die folgenden Bände einer Reduktion auf den Wert der EM als Dokumentation des Massenmords entgegentreten, um so die Einsicht in die Zentralität des Genozids nicht etwa zu relativieren, sondern zu schärfen. So verständlich es ist, daß Ronald Headland den Schwerpunkt seiner Untersuchung der EM „on the unfolding of mass murder, clearly the most significant part of the reports“ legt, so birgt diese Fokussierung doch die Gefahr, mit dem breiteren inhaltlichen Zusammenhang auch die komplexeren Spezifika dieser Quelle zu vernachlässigen – eine Eingrenzung, die sich in der problematischen Schlußfolgerung spiegelt, „the sheer