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Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941


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Meldungen dürften in nicht wenigen Fällen dazu beigetragen haben, aus der von einzelnen Informanten oder gerüchteweise vernommenen sprichwörtlichen Mücke einen stattlichen Papierelefanten zu machen45 – von Hobbythemen, Meinungsunterschieden und stilistischen Marotten der Autoren ganz abgesehen. Es bleibt gleichwohl festzuhalten, daß an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit und Bedeutung der EM als Quelle kein Zweifel bestehen kann. Selbst die Nachkriegsanwälte der durch die Meldungen inkriminierten Verdächtigen und Angeklagten haben sie als zwar im Einzelfall möglicherweise fehlerhafte, generell jedoch verläßliche Dokumentation der Einsatzgruppentätigkeit akzeptieren müssen.46

      Was das äußere Format der EM angeht, blieb die Erscheinungsweise, nachdem die ersten Nummern Variationen in der Bezeichnung, im Briefkopf und Aktenzeichen durchgespielt hatten,47 relativ einheitlich. Dies kann angesichts ihrer sehr allgemein gehaltenen und damit für unterschiedlichste Inhalte und Berichtsformen offenen Struktur kaum überraschen. Schon die Grobgliederung – am häufigsten mit den Rubriken „Politische Ereignisse“, „Meldungen der Einsatzgruppen und -kommandos“, „Militärische Ereignisse“ – ließ Raum für eine flexible Anordnung des Materials, wobei die zweite Rubrik die brei-teste Varianz in Gestalt fehlender Einzelmeldungen der Einsatzgruppen, ungleichgewichtiger Detailtiefe und stilistischer Unausgewogenheit aufweist. EM 126 vom 29. Oktober 1941 markierte dann die erste größere Veränderung; seitdem wurden die Standorte und Nachrichtenverbindungen der Einheiten dem inhaltlichen Teil vorangestellt und die folgenden EM in zeitlichen Abständen von bis zu zehn Tagen erstellt.48 Über reine Formalitäten hinaus brachte die Modifikation insofern eine wichtige Neuentwicklung, als sich nun die zeitliche und inhaltliche Diskrepanz zwischen den Berichten der Einheiten und den vom RSHA erstellten Meldungen noch verstärkte; die EM hatten zu dieser Zeit offenbar ihren Ursprungszweck erfüllt und schienen verzichtbarer. Mitte April 1942 wurden die EM im Zuge der von Heydrich befohlenen „Neuordnung der Bearbeitung der besetzten Ostgebiete“ eingestellt und durch die wöchentlichen „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ substituiert, die deutlich andere Akzente setzten.49

      Wer bekam die EM zu lesen? Über die SS-, RSHA- und Orpo-Führung hinaus blieb der offizielle Empfängerkreis laut Verteiler relativ klein, erweiterte sich allerdings im Laufe der Zeit, ohne wesentlich über Himmlers Apparat hinauszugreifen. Von EM 1 wurden am 23. Juni 1941 gerade einmal zehn Exemplare angefertigt. Der Verteiler weist Himmler, Heydrich und dessen sieben Amtschefs als Empfänger aus. Eine weitere Ausfertigung wurde im Referat IVA 1 archiviert. Knapp zwei Monate später wurde EM 53 vom 15. August in einer Auflage von immerhin 48 Exemplaren verteilt. Neben den anfänglichen Adressaten waren eine Vielzahl weiterer Gruppen und Referate des RSHA sowie namentlich der bereits erwähnte Einsatznachrichtenführer Paeffgen und Sturmbannführer Helmut Pommerening in seiner Funktion als Leiter des Hauptbüros im Amt II hinzugekommen. Darüber hinaus wurden allein neun Ausfertigungen als Reserve am Entstehungsort abgelegt.

      Die Klassifizierung der EM als „geheime Reichssache“ zielte primär darauf ab, nichts über jene Aspekte deutscher Herrschaft im Osten nach außen dringen zu lassen, die allzu augenfällig mit dem Propagandaanspruch kollidierten, „Recht und Ordnung“ ins Reich der „Bolschewisten- und Judenherrschaft“ zu bringen. Gleichzeitig verfolgte die restriktive Verteilung der Meldungen wohl auch die Absicht, die Empfänger außerhalb von Himmlers Apparat in dem Gefühl zu bestärken, sie hätten Anteil am exklusiven Wissen eines kleinen Kreises innerhalb der NS-Funktionselite. Die Vermutung, daß auch Hitler zu den Adressaten der EM zählte,50 mag angesichts ihres brisanten Inhalts naheliegen, doch fehlen dafür schlüssige Belege. Die oft bemühte Anweisung von Gestapo-Chef Müller vom 1. August 1941, in der er die Kommandos zur Übersendung von Material aufforderte, damit Hitler „von hier aus lfd. Berichte über die Arbeit der Einsatzgruppen im Osten vorgelegt“ werden könnten,51 erwähnt explizit lediglich „besonders interessantes Anschauungsmaterial, wie Lichtbilder, Plakate, Flugblätter und andere Dokumente“ – also Einzelvorgänge propagandistisch verwertbarer Natur, nicht kumulierte Aufstellungen von Massenerschießungen. Ohnehin läßt Hitlers beharrliche Weigerung, die mörderische Realität der von ihm gebilligten, ideologisch legitimierten und in ihrer Dynamik geförderten „Endlösung der Judenfrage“ konkret zur Kenntnis zu nehmen, ein Detailinteresse des „Führers“ an den Einsatzgruppen-„Aktionen“ unwahrscheinlich erscheinen.52

      Himmler und Heydrich muß klar gewesen sein, daß gerade der Redaktions- und Verteilungsmodus der EM eine Schwachstelle im Deich eingedämmter Wahrheiten bildete. Denn neben dem Dienstweg sorgten auch andere Kanäle dafür, in der Partei- und Ministerialbürokratie bekannt zu machen, wie sich die „exekutive Tätigkeit“ der Einsatzgruppen konkret gestaltete. Auch angesichts der zwar in weitaus geringerer Frequenz, aber größerer Zahl (je etwa 100 Ausfertigungen) verbreiteten „Tätigkeits- und Lageberichte“ kann als sicher gelten, daß die in den EM gesammelten Informationen mehr Instanzen erreichten, als im Verteilerschlüssel oder aufgrund der Geheim-Klassifizierung vorgesehen, ohne daß sich der Leserkreis exakt quantifizieren läßt.53 Anders als in Bezug auf die SD-„Meldungen aus dem Reich“, die von Goebbels, Bormann und anderen NS-Spitzenfunktionären mit fortschreitender Kriegsdauer immer stärker als „Defaitismus“ und „Stänkereien“ gewertet wurden,54 sind weder negative noch positive Reaktionen auf die EM überliefert. Dies sagt insofern wenig aus, als inner- und außerhalb des dienstlichen Bereichs „Mundfunk“ und andere Formen informeller Kommunikation umso nachhaltiger für eine Verbreitung von Geheimsachen sorgten, je öffentlicher ihr Gegenstand war. Soweit sich der Wissensstand der Bevölkerung zur „Judenfrage“ rekonstruieren läßt, scheint erwiesen, daß die von deutschen Soldaten, Polizisten und anderen Funktionsträgern im Reich verbreiteten Gerüchte über die Ereignisse im Osten im Zusammenhang mit von den offiziellen Medien verbreiteten Andeutungen im Laufe des Jahres 1942 ein zwar nicht vollständiges, aber doch in Umrissen erkennbares Bild der Wirklichkeit lieferten.55 Die Regierungsspitzen der Westalliierten kannten Deutschlands „offenes Geheimnis“ schon früh aufgrund der Abhörerfolge des britischen Geheimdienstes, bewahrten aber über ihr Wissen Stillschweigen, bis die in der Öffentlichkeit immer mehr an Verbreitung gewinnenden Nachrichten über die deutsche Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden klare Stellungnahmen erzwangen.56

      Trotz der immanenten Gefahren, die die EM für die Geheimhaltung des Massenmords aufwarfen, geht die Vermutung, Himmler habe mit ihnen schon ab Sommer 1941 darauf abgezielt, die Mitwisserschaft innerhalb des Regimes an den Verbrechen im Osten zu verstärken, in die falsche Richtung. Statt dessen scheint es angesichts der im nächsten Abschnitt näher beleuchteten Ausgangskonstellation zu Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ wahrscheinlicher, daß die höchste SS-Führung keine klare Vorstellung davon hatte, was die Einsatzgruppen im Einzelnen tun und melden würden. Daß Himmler und Heydrich die EM im Vorfeld des Angriffs nicht als Statistik über die Massenexekution von Juden und anderen Zivilisten ansahen, läßt sich schon am Format der Meldungen ablesen, in denen eine spezielle Rubrik mit Exekutionszahlen fehlt und diesbezügliche Informationen in jeweils wechselndem Kontext, oftmals gleichsam beiläufig eingestreut, auftauchen. Auf eine rigide, weitgehend effiziente Handhabung von Geheimsachen im bürokratischen Verkehr deutet neben dem Fehlen der Hauptmasse der von den Einsatzgruppen erzeugten Dienstakten die Tatsache hin, daß bei Kriegsende von den vielen Kopien der EM nur ein Satz (und auch dieser nicht ganz vollständig), ansonsten nur einzelne Nummern übrigblieben.57

      Während die von den Alliierten abgefangenen Vollzugsmeldungen aus Himmlers SSund Polizeiapparat erst vor wenigen Jahren der Forschung zugänglich gemacht wurden, konnte jeder, der dies wollte, schon kurz nach Kriegsende erfahren, was dessen Zentrale über die Gewalttaten der Einsatzgruppen zusammengetragen hatte. Als im Zuge der Nürnberger Verfahren in Vorbereitung einer von Chefankläger Telford Taylor geplanten Anklage gegen leitende SS-Führer Ende 1946 oder Anfang 1947 ein Dutzend Leitz-Ordner mit der Serie der EM gefunden wurde, war all jenen, denen es um die justitielle und historische Aufarbeitung des Judenmords ging, sofort bewußt, welch reichhaltige Quelle die Dokumente boten.58 Anders als das Internationale Militärtribunal und die anderen, unter amerikanischer Regie verhandelten Nürnberger Nachfolgeprozesse, die umfangreiche Aktensammlungen unterschiedlichster Provenienz zur Grundlage der Anklage machten, basierte der im Sommer 1947 von Ankläger Benjamin Ferencz vorgebrachte