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Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941


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Ereignisse aus der Sicht der Mörder und ihrer Gehilfen. Zugleich waren sie aber auch ein wichtiger Bestandteil des Prozesses institutioneller Kommunikation, der wiederum Einfluß hatte auf jene Vernichtungsdynamik, die sich – jenseits planerischer Kalkulation – mit dem Überschreiten der Grenze zur Sowjetunion erst voll entwickelte. Diese zweite Bedeutungsebene hat im Vergleich zur ereignisgeschichtlichen Auswertung der EM bislang wenig Beachtung gefunden. Denn im Vordergrund stand bis in die 1990er Jahre zum einen die Rekonstruktion der Einsatzgruppenmorde selbst, zum anderen der Versuch, anhand der EM nachvollziehen zu wollen, wann die Führungsspitze des Reichs und insbesondere Hitler einen Befehl zur Vernichtung der sowjetischen Juden oder zum Vollzug der „Endlösung“ mittels Massenmord gegeben hat. Seitdem sind andere, stärker auf die konkreten Umstände und lokalen Ausformungen deutscher Herrschaft abgestellte Fragestellungen in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt, etwa die Wirtschafts- und „Volkstums“-Politik im Besatzungsgebiet und die Zusammenarbeit bzw. Konkurrenz der verschiedenen Instanzen vor Ort, wodurch sich das Wissen um den Aspekt der Synergie zwischen Zentrale und Peripherie, SS/Polizei und anderen Institutionen bedeutend erweitert hat. Doch ungeachtet der Fortschritte, die die Holocaust-Forschung in dieser Richtung in den letzten beiden Jahrzehnten gemacht hat, bleiben zentrale Bereiche der Thematik weiter im Dunklen, vor allem was die Mechanismen und Ursachen der Mobilisierung zum Massenmord angeht. Eine genauere Betrachtung der EM in ihren formalen, stilistischen und ereignisrelevanten Aspekten kann darum helfen, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen der Übergang zum Genozid zustande kam.

      Für das Entstehen der EM waren, der Berichtspraxis im SS- und Polizeiapparat entsprechend, zwei Gründe entscheidend: einerseits das Bedürfnis der Führung, über den Gang der Ereignisse hinter der Front im Allgemeinen und die Tätigkeit der Einsatzgruppen im Besonderen möglichst genau und zeitnah informiert zu sein; andererseits der Drang der Offiziere vor Ort zur Selbstdarstellung und Rückversicherung, mit der sie ihre Entscheidungsfreiheit im Besatzungsalltag zu zementieren und zu erweitern suchten. Die EM fungierten damit von Beginn an nicht nur als Informationsmedium; sie reflektierten daneben – angesichts der Tatsache, daß das im RSHA weiterverarbeitete Rohmaterial weitgehend fehlt, allerdings gebrochen –, was die an den jeweiligen Enden der Hierachie beteiligten Instanzen für wichtig und mitteilenswert erachteten. Es stellt sich also zunächst die Frage, nach welchen Modalitäten sowie für welchen Zweck und Leserkreis die Meldungen erstellt wurden.

      Das Interesse der SS-Führung, mittels regelmäßiger Sammelberichte die Fortschritte der Einsatzgruppen bei der „Gegnerbekämpfung“ hinter der Front so direkt und konzise wie möglich mitzuverfolgen, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und gegebenenfalls schnell korrektiv eingreifen zu können, war kein Novum. Es hatte schon früh die Auslandseinsätze des RSHA begleitet und beim Entstehen der seit 1939 vom SD erstellten „Meldungen aus dem Reich“ Pate gestanden.14 Während des Überfalls auf Polen hatte ein Sonderreferat in Heydrichs Hauptamt Sicherheitspolizei die von den Einsatzgruppen einlaufenden Meldungen gesammelt und in insgesamt 45 Tagesberichten zusammengefaßt.15 Das „Unternehmen Barbarossa“ warf jedoch für die SS-Führung deutlich massivere Probleme auf, als sie im Vorfeld des Krieges gegen Polen erwartet worden waren. Angesichts des ungleich höheren Risikos, das dem Überfall auf die Sowjetunion trotz der deutscherseits gering eingeschätzten Widerstandskraft der Roten Armee militärisch wie innenpolitisch innewohnte, wegen möglicher Nachwirkungen der Spannungen, die zwischen SS und Wehrmacht in Fragen der „Befriedungs-“ und „Volkstumspolitik“ während des Polenfeldzugs aufgetreten waren, und aufgrund der abzusehenden Kommunikationsprobleme in einem schnellen Bewegungskrieg wollten Himmler und Heydrich mit den EM sicherstellen, daß Vorgänge, deren Bedeutsamkeit sich erst über einen längeren Zeitraum erschloß, nicht im Trubel der Tagesereignisse untergingen.16

      Wenngleich das RSHA und die Kommandos an der Peripherie als wichtig erachtete Informationen auch direkt austauschten, bedurfte es in der Berliner Zentrale offenbar einer zusätzlichen Berichtsform mit Doppelfunktion: intern als regelmäßige Gesamtschau, die einen raschen Überblick über die Entwicklungen hinter der Frontlinie bot und unterschiedliche Teilbereiche des komplexen, rasch wachsenden SS-Imperiums integrierte; im Umgang mit anderen NS-Instanzen als Zeugnis konkreter Erfolge, die Heydrichs Männer bei der Umsetzung ihres weitreichenden, aber amorphen Auftrags erzielten. Denn trotz der wachsenden Bedeutung von Himmlers Apparat im NS-System hatte der Reichsführer-SS vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ Anlaß zur Sorge, bei Hitler gegenüber Rivalen – vor allem Alfred Rosenberg, dem designierten Reichsminister für die besetzten Ostgebiete – an Einfluß zu verlieren. Eine zeitnahe Aufbereitung des von den eigenen Männern Erreichten und die gezielte Auswahl von Erfolgsmeldungen konnten also helfen, intern Kohärenz herzustellen und gegenüber anderen Institutionen Kompetenzen zu verteidigen, auszuweiten oder neu geltend zu machen.17

      Angesichts der von Himmler gegen Kriegsende unternommenen Versuche, durch ausgestreutes Mitwissen um den Judenmord Komplizenschaft herzustellen und so das Regime zu stützen, ist der Gedanke nicht ganz abwegig, daß die EM auch als systemstabilisierende Maßnahme gedacht waren. 1941/42 ging es jedoch primär darum, durch einheitliche Nachrichtenübermittlung an jene Instanzen inner- und außerhalb des SS- und Polizeiapparats, die an der dynamischen Ausgestaltung deutscher Herrschaft beteiligt waren, ein koordiniertes Vorgehen zu ermöglichen. Konzeptionell lieferten die EM gleichsam eine Art Frontberichterstattung vom Kampf gegen den „jüdisch-bolschewistischen Weltfeind“, die deutlich tiefer ging und weniger platt daherkam als die in der internen Schulung oder in der Öffentlichkeit propagierten Parolen. Die Rahmenbedingungen des „Barbarossa“-Einsatzes – Verwendung der Einsatzgruppen im operativen Zusammenhang mit Wehrmacht und Einheiten der Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) auf der Basis weitreichender, in ihrer konkreten Bedeutung allerdings unspezifischer Weisungen – setzten dem Bestreben der Berliner Zentrale, die Aktivitäten der Truppe zu steuern und gegebenenfalls korrigierend eingreifen zu können, von vornherein enge Grenzen. Frontbesuche Himmlers und Heydrichs waren für die Abstimmung zwischen Zentrale und Peripherie wichtig, doch konnten sie funktionierende Kommunikationsnetze im Alltagsbetrieb nicht ersetzen. Überlastete Nachrichtenverbindungen und geringe Meldedisziplin bei den Einheiten vor Ort, Übermittlungs- oder redaktionelle Fehler im RSHA und Schwierigkeiten bei der Kompilierung taten ein Übriges, daß die EM am Ende nicht selten statt zeitnaher und verläßlicher Informationen unvollständiges, veraltetes oder sachlich falsches Material enthielten.

      Die EM entstanden unter spezifischen, erst seit Kriegsbeginn vorhandenen institutionellen Bedingungen mit der für das NS-System typischen Mischung von Staats- und Parteiaufgaben. Im Herbst 1939 gegründet, vereinte das RSHA zwei verschiedene, von Rein-hard Heydrich geleitete Institutionen: zum einen die aus Gestapo und Kripo bestehende Sicherheitspolizei mit primär exekutiven Funktionen, zum anderen den Sicherheitsdienst (SD) als Nachrichtendienst der NSDAP.18 In der Verwaltungsstruktur des RSHA mit den Ämtern I/II (Verwaltung und Personal), III (SD-Inland), IV (Gestapo), V (Reichskriminalpolizeiamt), VI (SD-Ausland) und VII (Weltanschauliche Gegnerforschung) spiegelte sich noch die Trennung zwischen den beiden Teilbereichen. Maßgeblich im Berichtswesen war bis dahin der SD gewesen, der sich – in Abgrenzung vom bürokratischen Diskurs der Staatsverwaltung wie auch von den Tiraden der NS-Propaganda á la Streicher – einen bewußt „sachlichen“, um Faktentreue bemühten Informationsstil über ein breites, mit dem nebulösen Begriff „Lebensgebiete“ vage umrissenes Themenspektrum zugute hielt. In der Praxis jedoch blieb von der vorgeblichen Sachlichkeit der SD-Berichte wenig übrig, denn sie verdankten ihr Entstehen primär dem Interesse von Heydrichs Nachrichtendienst, sich im Kompetenzgerangel mit anderen Institutionen durchzusetzen und zusätzliche Funktionen an sich zu ziehen.19 Da in den Einsatzgruppen die ohnehin nur unscharf gezogenen Trennlinien zwischen den Teilbereichen verschwammen und gerade in den einzelnen Kommandos Personalknappheit zum multi-tasking zwang, wich die Organisationsstruktur von der Funktionsweise der Zentrale ab, anders als es die Nachkriegscharakterisierung der Einsatzgruppen als „wanderndes RSHA“ und „Gestapo auf Rädern“ suggeriert.20 Auch wenn die einzelnen Abteilungen gemäß ihrer Bezeichnung (also III, IV oder V) und ihres jeweiligen Aufgabengebietes berichteten,21 waren längst nicht immer die entsprechenden Mitarbeiter aus SD, Gestapo oder Kripo die Autoren.

      Darüber,