Mit Heydrichs Worten gesprochen, hörte sich dies so an: „Nahziel des Gesamteinsatzes ist die politische, d. h. im wesentlichen die sicherheitspolizeiliche Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete. Endziel ist die wirtschaftliche Befriedung. Wenn auch alle zu treffenden Maßnahmen schließlich auf das Endziel, auf welchem das Schwergewicht zu liegen hat, abzustellen sind, so sind sie doch im Hinblick auf die jahrzehntelang anhaltende bolschewistische Gestaltung des Landes mit rücksichtsloser Schärfe auf umfassendstem Gebiet durchzuführen. Dabei sind selbstverständlich die Unterschiede zwischen den einzelnen Völkerstämmen (insbesondere Balten, Ruthenen, Ukrainer, Armenier, Aserbeidschaner usw.) zugrunde zu legen und wo irgendmöglich für die Zielsetzung auszunützen. Die politische Befriedung ist die erste Voraussetzung für die wirtschaftliche Befriedung.“95 Die Beherrschung, Nutzbarmachung und letztlich die Einverleibung weiter Teile der Sowjetunion standen somit am Ende des vorgezeichneten Weges. Erst aus diesem Kontext heraus wird deutlich, wieso der Liquidierung des Feindes ein gleichrangiger Stellenwert mit den ausführlichen Wirtschaftsberichten, mit regionalen Infrastrukturanalysen und Untersuchungen innerkirchlicher Zustände sowie mit oft banal erscheinenden Subthemen zur „Psychologie“ des Landvolkes, der Schulpolitik, der Ernteeinbringung oder zum Stand betrieblicher Ausbildung eingeräumt wurde. Für die Berichterstatter handelte es sich eben nicht um separate Teile der Besatzungspolitik, sondern um Facetten einer einheitlich zu lösenden Problemstellung: der totalen Unterwerfung des Landes.
Schließlich darf auch Folgendes nicht außer Acht gelassen werden, wenngleich der Titel etwas anderes suggeriert: Die „Ereignismeldungen UdSSR“ räumten auch anderen geopolitischen Räumen einen beachtlichen Teil ihrer Berichterstattung ein und dies insbesondere dann, wenn der Kontext zur Sowjetunion gegeben war. Dies schien vor allem dann der Fall zu sein, wenn es um die kommunistische Untergrundtätigkeit oder die Arbeiterbewegung in Europa ging. So gesehen lesen sich die EM auch als allgemeine Besatzungsgeschichte des Regimes, in der Belgrad, Oslo oder Paris und nicht zuletzt das gesamte Generalgouvernement ihren Stellenwert im konstruierten Gesamtgefüge besaßen.
Ein Thema wurde besonders dann gern behandelt, wenn sich daran das Versagen anderer deutscher Instanzen (vor allem der Zivilverwaltung und der Wehrmacht) und die Überlegenheit dessen nachweisen ließ, was als Expertise von SS und Polizei gelten konnte. Auch hinter vorgeblich sachlicher Berichterstattung scheint immer wieder die Absicht durch, die eigenen Leistungen gerade auf exekutivem Gebiet zu unterstreichen, bisweilen mit überraschtem Unterton: In EM 90 etwa lobte der Chef der Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, im September 1941 die „erfreuliche Initiative, oft genug persönliche Tapferkeit vor dem Feind und politisches Geschick“ seiner Männer, wie sie seiner Meinung nach im Vorfeld „kaum zu erwarten war“, und sah dies als Beleg dafür, „dass die zurückliegende SS-mäßige und weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung nicht umsonst gewesen ist“.96 Gerade der Judenmord erforderte aus der Sicht der Täter besondere Qualitäten: „Für eine Judenverfolgung aus der ukrainischen Bevölkerung heraus fehlen die Führer und der geistige Schwung.“ Oder: „Durch die planlosen Ausschreitungen gegen die Juden in Uman hat die Systematik der Aktion des Einsatzkommandos 5 naturgemäß ausserordentlich gelitten.“97 Die eigene Entschlossenheit kam bei anderen Instanzen, die weniger Initiative zeigten, nicht immer gut an, was für die Kooperation beim Judenmord zwar keine Rolle spielte, sich aber zur Selbststilisierung als einsame Kämpfer für ein zentrales Staatsziel eignete. So befand Anfang November die Einsatzgruppe C: „Nur zu oft mußten die Einsatzkommandos in mehr oder minder versteckter Form Vorwürfe über ihre konsequente Haltung in der Judenfrage über sich ergehen lassen.“98
Inhaltlich-stilistisch ist in den EM die „SD-mäßige“ Tradition vermeintlich „objektiver“ Berichterstattung sowie der Versuch erkennbar, einen Eindruck vom Regionalkolorit im Osten zu vermitteln. Beides zeigt sich in der starken Betonung kulturpolitischer, besonders kirchlich-religiöser Aspekte und dem Bemühen, die Stimmung in der einheimischen Bevölkerung – vor allem in nationalistischen Kreisen oder in Gruppen, die entweder als besonders kollaborationsbereit oder als potentiell feindlich eingestellt galten – zu sondieren. Es kann nicht überraschen, daß dabei Sipo und SD fast immer als das Geschehen kontrollierende Akteure oder zumindest aktive Beobachter, nie als auf äußeren Druck einheimischer Interessengruppen Reagierende erscheinen. In die Kategorie „Volkstum“ lassen sich zahlreiche Berichte einordnen, die bestimmte Ethnien – mit den Volksdeutschen an der Spitze – in ihren Spezifika betrachten und bewerten, gleichzeitig aber auch die politischen Konsequenzen reflektieren, die sich aus dem Verhältnis der je nach Region relevanten, trotz des erkennbaren Bestrebens nach ‚reinlicher Scheidung‘ nicht immer klar voneinander abgrenzbarer oder auch nur definierbarer Gruppen ergaben: in Ostpolen und der Westukraine Polen, Litauer, Weißrussen und Ukrainer; in den baltischen Staaten Letten, Litauer, Polen, Esten und Russen; in Weißrußland Polen, Weißrussen und Russen. Was Juden anging, bemühten die Sipo- und SD-Funktionäre andere Kategorien und konstruierten dabei einen im „jüdisch-bolschewistischen Feindbild“ der Vorkriegsphase angelegten Kontext, der schon in der Beschreibung das sonst übliche Vorspiegeln sachlicher Distanz unterließ: Juden waren demnach „frech“, „dreist“, „anmaßend“ oder renitent bis aufsässig und wurden in unmittelbarem Zusammenhang mit der Partisanenlage, den Aktivitäten von Kommunisten oder mit anderweitig deutschfeindlichen Vorgängen erwähnt. Andere Volksgruppen fanden in diesem Kontext meist dann Erwähnung, wenn es um die von Heydrich angeordnete Förderung von „Selbstreinigungsbestrebungen“ ging – entweder lobend, wie in Litauen und der Westukraine, wo Pogrome schätzungsweise 40000 Todesopfer forderten, oder ungläubig-konsterniert in Regionen wie Weißrußland, in denen die Bevölkerung trotz deutscher Animierung antijüdischen Gewaltmaßnahmen in der Regel ablehnend gegenüberstand.99
Das Bestreben, für die Zukunft der besetzten Regionen die Weichen neu, in Richtung einer im Sinn der NS-Politik positiven Entwicklung zu stellen, zeigte sich auch in dem Versuch, den Anschein von‚ Überparteilichkeit‘ und sensibler Sorge im Bemühen um eine möglichst effiziente Einbindung der Einheimischen zu erwecken. Für Weißrußland etwa wurde Anfang September gemeldet: „Bleibt allerdings die in der Stadtbevölkerung allgemein erwartete Hilfe der Versorgung durch die deutschen Besatzungsbehörden aus oder hält die Ungewißheit über die allgemein erhoffte Regelung der Landfrage allzu lange an, dann muß mit einer Vertrauenskrise gerechnet werden, die einen geeigneteren Nährboden für die Feindpropaganda schaffen kann.“ Entscheidend sei darum „die Frage, ob das weißruthenische Gebiet lediglich ausgebeutet oder für das Reich auf die Dauer nutzbar gemacht werden soll. Ist das Letztere Zweck und Inhalt unserer Politik, dann muß die Bevölkerung zur Mitarbeit gewonnen werden, und hier ist eine ausreichende Versorgung wichtige Voraussetzung.“100 Derartige Versuche, sich als Sprachrohr einer langfristig ausgerichteten, fürsorglich bemühten Okkupationspolitik zu präsentieren (und dabei andere deutsche Instanzen explizit oder implizit in schlechteres Licht zu rücken), artikulierten sich gelegentlich auch in konkreten Forderungen, etwa nach „Betreuung der Jugend“, um sie „auf diese Weise von der Strasse fern zu halten“.101 Direkte Handlungsappelle an die Adresse der SS-Spitze oder andere NS-Instanzen blieben dagegen die Ausnahme.102
Die Widersprüchlichkeit der EM-Berichterstattung läßt sich auf den immanenten Gegensatz zwischen eigenem Wahrnehmen und Wollen auf der einen Seite, objektiver und als solcher nur bedingt ignorier- und verzerrbarer Realität auf der anderen zurückführen. So war etwa Ende Oktober die Rede von der „Furcht vor den Partisanen, deren Bedeutung aber durchaus im Schwinden ist“: „Eine deutschfeindliche Stimmung [sei] eigentlich nur noch in den Kreisen festzustellen, die unter dem bolschewistischen Regime eine bevorzugte Behandlung genossen haben oder irgendwelche Aufstiegsmöglichkeiten vor sich zu sehen glaubten.“ Fanden Juden in diesem Kontext interessanterweise keine Erwähnung, tauchten sie wenig später unter der Rubrik „Propaganda“ als Trägergruppe von „Gerüchtemacherei“ auf.103 Wenig Sinn angesichts der Standardbehauptung, hinter den Partisanen stünden immer und überall Juden, machte es auch, in einem Atemzug die „Fluchtbewegung und die planmäßige Evakuierung der Juden nach Osten“ und die immer drängendere „Partisanengefahr“ zu nennen, zu deren Bekämpfung die Wehrmacht „die Unterstützung durch die Kommandos der Sicherheitspolizei“ angefordert habe.104 Die mittels Zahlenangaben und Detailinformation vorgespiegelte empirische Solidität und Verläßlichkeit war Teil des