Michael Gerwien

Mord am Viktualienmarkt


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Abend zu ihr, sobald es möglich war. Sie solle sich keine Sorgen machen und ihm den Abwasch aufheben. Egal wie spät es wurde.

      »Wartet deine Frau auf dich?«, fragte Mathilde, als er sich ihr wieder zuwandte.

      »Ich habe keine Frau.« Er schüttelte den Kopf.

      »Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.«

      »Kein Problem.«

      Ich muss ihr ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich etwas locker Festes mit Monika habe. Geht niemanden außer Moni und mich etwas an.

      »Dann gehen wir jetzt?«

      »Du könntest mir übrigens ein Bild von Dagmar auf mein Handy schicken. Hast du eins dabei?«

      8

      19.30 Uhr, Monikas kleine Kneipe.

      »Gott sei Dank, ihr seid gleich gekommen.« Monika führte die beiden breitschultrigen Polizisten, die am Straßenrand vor dem Lokal ihrem Streifenwagen entstiegen waren, geradewegs zu den Streithanseln im Biergarten. Noch immer war dort keine Ruhe eingekehrt.

      »Wir waren gerade um die Ecke«, erklärte ihr der Fahrer, während sie sich dem Ort des Geschehens näherten.

      »Zum letzten Mal. Hör endlich auf, mit dem bescheuerten Bier herumzuspritzen, Joschi!«, rief Helmut gerade. Seine patschnassen dunklen Haare hingen ihm in kleinen Strähnen ins Gesicht, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen.

      »Genau, hör endlich auf«, meinte der größte der drei Bayern, die nach wie vor bei ihrem Tisch standen. »Ja, so ein hirnamputierter Depp.« Er schüttelte bestimmt zum zehnten Mal in den letzten Minuten missbilligend den Kopf. Seine beiden Freunde neben ihm taten es ihm gleich. Es sah ganz so aus, als würden sie jeden Moment auf die Norddeutschen losgehen. Kräftig genug, um diese Schlacht für sich zu entscheiden, sahen sie auf jeden Fall aus.

      »Grüß Gott, die Herrschaften. Ich bin Polizeiobermeister Alois Schmied. Mein Kollege ist Polizeimeister Holger Brauchitsch. Um was geht es hier?« Der blonde und größere der beiden Streifenbeamten, der den Wagen gefahren hatte, trat einen Schritt vor und bekam prompt einen Schwall Weißbier von Joschi ins Gesicht geschüttet, der sich dafür blitzschnell ein Glas vom Nebentisch geschnappt hatte.

      Verblüfft schüttelte er sich. Dann zog er hastig seine Dienstwaffe.

      »Angriff auf einen Vollzugsbeamten, Holger!«, rief er seinem kleineren dunkelhaarigen Kollegen zu.

      Holger zog daraufhin ebenfalls seine Waffe und entsicherte sie.

      Anschließend stellten sie sich mit nervösen Gesichtern Rücken an Rücken und zielten wild in der Gegend umher.

      »Ja, spinnen denn hier alle!« Monika konnte nicht fassen, was sie gerade sah. Der Föhn trieb die Leute offenbar wirklich zum Äußersten. »Wegen einem Schluck Weißbier im Gesicht wird hier keiner erschossen«, wandte sie sich in strengem Tonfall an die Polizisten. »Steckt auf der Stelle eure Waffen wieder ein, oder ich ruf den Leiter des Dezernats für Gewaltdelikte an. Der ist ein guter Freund von mir.«

      Alois und Holger zögerten. Sie blickten eine ganze Weile lang unschlüssig in die Runde. Dann beruhigten sie sich langsam wieder und steckten ihre Waffen ein. Offenbar erachteten sie die aufgeladene Gesamtsituation jetzt doch nicht mehr als unmittelbar lebensbedrohlich.

      Es war inzwischen totenstill geworden. Keiner der Anwesenden traute sich, auch nur einen Muskel im Gesicht zu bewegen. Jeder wartete offensichtlich gespannt darauf, wie es weiterging.

      »Das glaube ich nicht«, sagte Alois schließlich.

      »Was glauben Sie nicht?« Monikas Gesichtsausdruck war hart vor Empörung.

      »Dass Sie den Herrn Wurmdobler kennen. Ich kenne ihn nämlich auch. Hab ihm schon mal bei einem Mordfall geholfen.«

      »Wir können es gerne drauf ankommen lassen.« Sie stemmte entschlossen ihre Hände in die Hüften und warf dabei herausfordernd den Kopf zurück.

      »Sie kennen ein hohes Tier bei der Polizei persönlich?« Sogar der betrunkene Wüterich Joschi schien beeindruckt. Er schielte Monika, hin und her schwankend wie ein Halm im Wind, mit großen Augen an.

      »So ist es.« Monikas Stimme klang fest und selbstbewusst.

      »Dann gebe ich auf.« Joschi setzte sich. »Tut mir leid. Ich bezahle alle Schäden und eine Lokalrunde.«

      Monika schaute ihn verblüfft an. Da schau her. So schnell konnte sich das Blatt wenden. Szenenapplaus der Umsitzenden. Anfangs noch zögerlich, dann immer lauter.

      9

      20.15 Uhr. Max und Mathilde arbeiteten sich immer weiter Richtung Marienplatz vor. Sie fragten auf dem Weg, wie er es vorgeschlagen hatte, die Verkäuferinnen und Verkäufer der Obststände und Metzgereien, die noch offen hatten oder gerade schlossen, nach Dagmar. Das dauerte seine Zeit. Sie schwitzten alle beide.

      Natürlich hatte Mathilde ein Bild der Freundin auf ihrem Smartphone gehabt und es ihm auf seins geschickt.

      Max zeigte es den möglichen Zeugen. Doch niemand wollte Dagmar gesehen haben. Es sah ganz so aus, als wäre sie spurlos verschwunden.

      »Vielleicht hat sie tatsächlich diesen Jörg getroffen«, mutmaßte Max. »So heißt doch ihr Freund?«

      »Das ist, wie gesagt, möglich. Aber eigentlich sollte er doch beim Angeln in Holland sein.« Mathilde schüttelte langsam den Kopf. »Sagt zumindest Sabine.«

      »Und was, wenn er niemandem, auch ihr nicht, verraten hat, dass er stattdessen euch beiden hierher gefolgt ist?«

      »Aber Sabine …«

      »Weiß sie denn wirklich so genau, wo er ist«, unterbrach er sie, »oder vermutet sie es nur?«

      »Du hast recht.« Mathilde nickte langsam. »Du meinst also, Dagmar und Jörg könnten durchaus irgendwo hier in München zusammen unterwegs sein, und deswegen meldet sie sich nicht?«

      »Ja.« Er nickte ebenfalls. »Vielleicht wollte er den Streit, den sie vor eurer Abfahrt miteinander hatten, mit ihr klären.«

      »Aber warum sagt sie dann nicht kurz Bescheid und ist darüber hinaus nicht zu erreichen?«

      »Tja, gute Frage.« Max kratzte sich ausgiebig am unrasierten Kinn. »Weil die Leidenschaft sie übermannt hat?«

      »Dazu ist Dagmar nicht der Typ.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie leitet eine große Softwarefirma, die ihrem Vater gehörte. Das schaffst du nur, wenn du ein kon­trollierter Mensch bist.«

      »Ist sie das?«

      »Sie ist ein wahrer Kontrollfreak.«

      »Aber gerade die sind doch besonders für unkon­trollierte Ausbrüche bekannt. Weil sie sich sonst immer total zusammenreißen.« Max sann kurz über sich selbst nach. Er hatte bereits des Öfteren gedacht, dass er womöglich auch so einer war, der ewig lange alles in sich hineinfraß und dann auf einmal explodierte, wenn man am wenigsten damit rechnete. Möglich wäre es schon. Monika würde es ihm sicher genau sagen können.

      »Moment mal, Max.«

      Mathildes Smartphone surrte. Da sie es in der Hand hielt, um wie Max Dagmars Bild reihum zu zeigen, bemerkten sie es beide sofort.

      »Eine Nachricht von Dagmar?« Max sah sie neugierig an.

      »Ja.« Mathilde nickte. »Sie schreibt, sie wäre in zwei Stunden, also gegen 22.30 Uhr, am Karl-Valentin-Brunnen. Dann könnten wir noch gemütlich irgendwo etwas trinken. Alles andere später.«

      »Keine Erklärung oder Entschuldigung?«

      »Nein. Nichts dergleichen. Nur das, was sie geschrieben hat.« Sie zeigte ihm die Nachricht.

      Er las sie mit der stets brennenden Neugier des Ermittlers.

      »Ist das normal bei ihr?«, wollte er danach wissen.