Michael Gerwien

Mord am Viktualienmarkt


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das Handy erleichtert in ihre Handtasche. »Und ich befürchtete schon, sie wäre wegen ihrer andauernden Streitereien mit Jörg mit einem Wildfremden mitgegangen.«

      »Wozu sollte sie das tun?«

      »Um sich an ihm zu rächen.«

      »Würde Jörg das denn treffen?«

      »Unbedingt.« Sie nickte heftig. »Er ist eifersüchtig wie ein Sizilianer.«

      »Aber es kann doch trotzdem so sein.« Max hob den Zeigefinger. Eine alte Gewohnheit aus seiner Dienstzeit als Hauptkommissar. Er hatte dabei überdurchschnittlich viele Fälle gelöst und oft mit seinen Vermutungen und Behauptungen recht behalten, was ihm irgendwann im Kollegenkreis den Spitznamen »Herr Oberlehrer« eingebracht hatte.

      »Was?«

      »Dass sie sich mit einem Fremden getroffen hat. Woher willst du wissen, dass sie die Nachricht selbst geschrieben hat?« Ein Kriminaler oder Privatdetektiv war nur dann erfolgreich, wenn er bei seinen Ermittlungen nichts außer Acht ließ. Natürlich wusste das Max aus eigener Erfahrung.

      »Du hast recht. Oh Gott, hoffentlich kommt sie nachher wirklich zu diesem Brunnen.« Ihre Stimme hörte sich gleich wieder alarmiert an.

      »Karl Valentin.«

      »Wie bitte?« Mathilde wurde, während sie sprach, von einem vorbeieilenden mittelalten Geschäftsmann im dunklen Anzug angerempelt. Sie stolperte ein Stückweit nach vorn.

      »Hey, pass auf, wo du hinrennst!«, rief ihm Max nach.

      »Fick dich, Arschloch«, kam es unfreundlich mit erhobenem Mittelfinger zurück.

      »Kein Benehmen mehr auf den Straßen«, echauffierte sich Max lauthals und kopfschüttelnd. »Und bei Föhn drehen alle voll am Rad. Die ehrgeizigen Anzugtypen sind oft die Schlimmsten. Geht es dir gut? Hat er dir wehgetan? Wenn ja, renn ich ihm nach und schmier ihm eine.« Er straffte, bereit, für sie in die Schlacht zu ziehen, seinen Oberkörper.

      »Alles gut. Nichts passiert.« Sie winkte lächelnd ab. »Er ist den Aufwand nicht wert. Aber danke. Sehr lieb.« Sie bedachte ihn mit einem tiefen Blick, der definitiv länger war als ihre bisherigen Blicke.

      »Karl-Valentin-Brunnen«, fuhr Max fort, während er sich wieder entspannte.

      »Karl-Valentin-Brunnen?« Sie sah ihn fragend an.

      »Karl Valentin war ein berühmter bayerischer Humorist. Ein echter Wortakrobat und Satzverdreher mit viel Sinn fürs Abseitige und Schräge.« Max grinste unwillkürlich. Er war bei einem seiner Lieblingsthemen angelangt. Bayern und seine Charakterköpfe von gestern und heute.

      »Klingt nach Kabarett.«

      »So was in der Art, ja.« Er nickte. »Manchmal wäre ich auch lieber Humorist als Polizist geworden.«

      »Wieso das?«

      »Bestimmt zeigt sich das Leben einem Humoristen von einer witzigeren Seite.«

      »Wer weiß.« Sie machte eine abwägende Handbewegung.

      »Stimmt.« Er nickte erneut. »Wer weiß.«

      Die hereinbrechende Dunkelheit ließ das Geschehen rundumher unwirklich erscheinen. Nach wie vor war es warm. Tatsächlich eher ein lauer Sommerabend als ein zu Ende gehender Frühlingstag im April. Die Passanten liefen zum großen Teil leicht bekleidet herum. Manche trugen sogar kurze Hosen und nur ein T-Shirt darüber wie im Hochsommer.

      »Sollen wir noch irgendwo etwas trinken, bis du Dagmar triffst?«, fragte Max.

      »Hast du denn noch Zeit?« Sie sah ihn neugierig an.

      »Die kann ich mir nehmen.«

      Wenn er ehrlich war, wollte er einfach nur allzu gerne wissen, was hinter der seltsamen Abwesenheit von Dagmar steckte. Immerhin war ihr Verhalten laut Mathilde mehr als ungewöhnlich gewesen, und solche Dinge interessierten ihn schon rein berufsmäßig.

      Außerdem konnte es tatsächlich ebenso gut sein, dass ein Unbekannter ihr Smartphone an sich genommen hatte und Mathilde mit der gerade gesendeten Nachricht zum Karl-Valentin-Brunnen locken wollte, warum auch immer.

      Auf jeden Fall war Vorsicht geboten.

      »Gehen wir.« Mathilde hakte sich bei ihm unter.

      Den bärtigen Riesen, der 20 Meter hinter ihnen seine Zeitung zusammenklappte und sich daranmachte, ihnen zu folgen, bemerkten sie nicht.

      10

      »Fast 23 Uhr und er ruft einfach nicht mehr an, Annie.« Monika wischte ihre vom Putzen des Tresens feuchten Hände an ihrer Schürze ab. Sie hatte das Lokal wie immer im Frühjahr um 22 Uhr geschlossen und richtete nun zusammen mit Annie alles für den nächsten Tag her.

      »Wer? Max?«

      »Hoffentlich ist ihm nichts passiert.« Monika blickte besorgt drein.

      »Was soll ihm denn passieren?«

      »Keine Ahnung. Ein Autounfall?«

      »Auf dem Viktualienmarkt, wo keine Autos fahren?«

      »Dann halt ein Herzinfarkt wegen dem starken Föhn oder ein durchgedrehter Heckenschütze. Gab es doch alles schon.« Monika zuckte die Achseln. »Er hat mir nur vorhin noch einmal eine Nachricht geschrieben. Es ginge um eine aktuelle Entführung, und ich solle ihm den Abwasch aufheben. Das ist aber auch schon wieder eine Zeitlang her. Ich würde wirklich zu gerne wissen, wie die entführte Person aussieht, nach der er sucht.«

      »Du meinst, blond und blauäugig und mit einer Bombenfigur?« Anneliese grinste anzüglich.

      »Warum nicht. Könnte doch sein.« Monika starrte nachdenklich an die Wand.

      »Doch eifersüchtig?«

      »Nein, Schmarrn. Wirklich nicht. Er gehört mir schließlich nicht alleine.« Sie winkte errötend ab. »Na ja, vielleicht ein bisschen«, gab sie zu.

      »Und wenn er tatsächlich arbeitet?«

      »Dann bin ich ein egoistisches Ekel, weil ich mich ohne Grund über ihn beschwere.« Sie zuckte die Achseln. Natürlich konnte Anneliese recht haben. Es war nicht das erste Mal, dass Max sie wegen seiner Arbeit versetzte. Oft genug war das auch nicht grundlos der Fall. Dabei lag es eindeutig an ihr, Verständnis aufzubringen. Sie konnte ihn ja nicht hier im Lokal anbinden.

      »Kein Ekel, dazu bist du viel zu nett.« Anneliese schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber auf dem falschen Dampfer könntest du wohl sein. Zumindest mit anderen Frauen. Heute Abend, meine ich.«

      »Möglich.« Monika nickte.

      »Sehr gut möglich.« Annie zog die Gummihandschuhe aus, die sie sich zuvor zum Putzen übergestreift hatte. Sie legte sie auf den Tresen und kramte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Schürzentasche. »Du auch eine?« Sie sah Monika fragend an.

      »Okay, ausnahmsweise. Ich hab zwar eigentlich aufgehört, aber ich glaub, ich fang wieder an. Kann ja nächste Woche wieder aufhören.« Monika grinste.

      »Das ist meine alte Moni.« Anneliese grinste ebenfalls. Sie gab Monika und sich selbst Feuer.

      »Ich mach uns einen Prosecco auf. Was meinst du?« Monika eilte hinter den Tresen.

      »Prosecco ist Lebenselixier. Wie könnte ich da Nein sagen.«

      Beide lachten.

      »Weißt du, was heute mit Abstand das Beste war?«, fragte Monika, nachdem sie ihnen eingeschenkt hatte.

      »Sag’s mir.« Anneliese machte ein gespanntes Gesicht.

      »Als die zwei Streifenpolizisten wie in einem Actionfilm aus Hollywood ihre Knarren gezogen haben und …« Monika konnte nicht weiterreden. Sie musste laut lachen.

      »… und?«

      »… und sich fast in die Hosen gemacht haben wegen den zwei depperten Preißn. Dabei konnten die vor lauter Rausch doch