Markus Kleinknecht

Sturmgepeitscht


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Sie daran, dass der Ausweis echt ist?«

      »Nein.«

      Eggestein atmete tief durch. »Zeigen Sie mir mal das Foto von der Frau, nach der Sie suchen!«

      Jan tastete nach seinem Smartphone, dann fiel ihm ein, dass er es auf die Arbeitsfläche neben der Spüle gelegt hatte. Er entsperrte den Bildschirm, wählte die Fotogalerie und hielt seinem Besucher das Bild entgegen. Es zeigte eine junge Asiatin. Ihre Lippen waren dunkelrot geschminkt, die Augen durch Kajal und Wimperntusche fast schwarz.

      »Haben Sie Anna-Lena irgendwo gesehen?«

      Eggestein erwiderte mit einer Gegenfrage. »Anna-Lena? Soso. Warum suchen Sie das Mädchen?«

      »Für Freunde.«

      Eggestein nickte langsam. »Sie hat ja kaum was an.«

      »Die Aufnahme ist aus dem Sommer.«

      »Und Sie suchen sie für Freunde?«

      Jan wusste, dass er dabei war, in eine Falle zu tappen. Nun wurde ihm zum Verhängnis, dass er seine Geschichte während der Suche nach Anna-Lena geändert hatte. In einer Bäckerei und im Fischrestaurant Smutje hatte er etwas anderes erzählt als dem Taxifahrer am Bahnhof.

      »Freunde der Familie«, versuchte er, es zurechtzubiegen.

      »Freunde der Familie?«

      Jan nickte.

      »Hübsches Mädchen.«

      »Ja.«

      »Nicht ganz aus der Gegend.«

      »Stimmt«, erwiderte Jan. »Sie kommt aus Hamburg.«

      Natürlich wusste Jan, dass sich die Worte seines Gegenübers auf die asiatischen Gesichtszüge des Mädchens bezogen, doch er hatte keine Lust, darauf einzugehen.

      Hauptkommissar Eggestein reichte das Smartphone zurück. Noch während Jan die Hand danach ausstreckte, meinte der Polizist: »Ich bin gekommen, weil wir unten am Strand ein totes Mädchen gefunden haben. Sie soll asiatisch aussehen. Thai, Japanerin, Vietnamesin. Irgend so was.«

      Für einen Moment verharrte Jan in der Bewegung, und es wurde sehr still in dem engen Wohnwagen. Langsam steckte Jan das Smartphone in die Hosentasche. Er hatte das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben, ohne zu wissen, was. Eggestein beobachtete Jans Reaktion ganz genau.

      »Ehrlich gesagt, frage ich mich, Herr Fischer, wieso Sie sich hier auf diesem einsamen Campingplatz verstecken, obwohl das Wetter kein bisschen zum Campen geeignet ist. Warum nehmen Sie sich für Ihre Suche nicht ein schönes Hotel?«

      »Ärztekongress«, antworte Jan knapp. »Kein Zimmer mehr frei.«

      »Und wieso haben Sie keine Anmeldung ausgefüllt und bezahlen in bar?«

      Vielleicht bluffte Eggestein, schoss einfach ins Blaue. Dass er das Anmeldebuch gesehen hatte, stand noch gar nicht fest. Martens war um diese Zeit vielleicht noch gar nicht da. Trotzdem ließ Jan sich darauf ein.

      »Das … hat sich einfach so ergeben.«

      »Verstehe«, meinte Eggestein. Dann deutete er mit dem Kopf zur schmalen Garderobe. »Schicke Jacke. Sieht teuer aus. Und neu. Mit Geld scheinen Sie also keine Probleme zu haben.«

      Da kein Preisschild an der Jacke hing, vermutete Jan, dass Eggestein die Tragetasche entdeckt hatte, die ihm beim Kauf mitgegeben worden war.

      »Schlussverkauf«, rechtfertigte Jan sich ungewollt. »Die war gar nicht so teuer. Und im Laden habe ich mit Karte bezahlt. Ich verwische keine Spuren. Darf ich Ihnen was zeigen?«

      »Klar.«

      »Es ist in der Jacke.«

      »Ich bin gespannt.«

      Jan trat zur Garderobe, während Eggestein ganz harmlos sagte: »Frage mich, was ein Drogenspürhund vom Zoll hier so anstellen würde. Ob er seinen Spaß in diesem Wohnwagen hätte?«

      »Garantiert nicht«, erwiderte Jan, während er sein Portemonnaie aus der Innentasche der neuen Jacke holte, und seinen Presseausweis herauszog. »Ich suche das Mädchen für eine Story, an der ich dran bin.«

      Der Presseausweis schien in Eggesteins Hand zu verschwinden. »Hm … hat sich was mit der Suche für Freunde, wie?« Eggestein grinste zufrieden. »Dann erzählen Sie mir mal von Ihrer Story.«

      Jan nickte. »Das könnte ich. Aber erst, wenn ich die Tote selbst gesehen habe.«

      »Sie wollen die Tote sehen?«

      »Ganz genau.«

      »Warum?«

      »Weil es vielleicht gar nicht Anna-Lena ist. Und dann ergibt es keinen Sinn, dass wir über sie reden.«

      »Hm …«, machte Eggestein noch einmal.

      2

      Hauptkommissar Eggestein fuhr die Hauptstraße entlang, vorbei an einem italienischen Restaurant und vorbei am Kultursaal, einem zweigeschossigen Gebäude mit vielen Sprossenfenstern, das zwischen den Gemeinden Wenningstedt-Braderup und Kampen lag. Hinter einer Bäckerei, bei der Jan am Vortag Anna-Lenas Foto gezeigt hatte, bog der Polizist rechts ab. Unweit von einem Abgang, der hinunter zum Meer führte, standen weitere Polizeiautos und ein Rettungswagen. Eggestein hielt neben den verlassenen Fahrzeugen. Eine ordentliche Brise schlug ihnen entgegen, als sie aus dem Auto stiegen.

      Der Polizist nickte Richtung Strandabgang.

      Der Weg war erheblich kürzer als der Holzbohlensteg, der vom Campingplatz zum Wasser führte. Statt erst durch ein Stück Heidelandschaft zu führen, schnitt er sich mitten durch den südlichsten Teil eines kilometerlangen Kliffs. Teils mit Holzstufen versehen, wurde ein Höhenunterschied von mehr als 20 Metern überwunden.

      Am Treppenende wandte sich Eggestein nach rechts. Jan sah bereits, wohin der Polizist wollte. 200 Meter Richtung Nordspitze der Insel standen einige Polizisten und Rettungssanitäter neben einem Geländewagen der Strandwache. Unmittelbar neben ihnen stieg eine rot schimmernde Wand auf. Das Fahrzeug parkte am Fuße des Roten Kliffs.

      Der Geschiebelehm des Kliffs war das Werk einer über 100.000 Jahre zurückliegenden Eiszeit. Schuttmassen aus Gesteinsbrocken, Kalkstein, Lehm und Ton bildeten am Ende eines gewaltigen Gletschers den Kern der heutigen Insel. Ein steigender Meeresspiegel und die unermüdlichen Kräfte aus Wind und Wasser hatten an der Formation eine riesige Abbruchkante geschaffen. Zum Teil stieg diese Kante flach wie ein Sandberg auf einer Baustelle an, dann wieder stand man einer fast senkrecht aufstrebenden Wand gegenüber. Eisenhaltige Bestandteile ließen das Kliff buchstäblich rosten und machten es seit Jahrhunderten zu einer unfehlbaren roten Orientierungshilfe für Schiffsbesatzungen.

      Das Wolkenloch, durch das vor einer halben Stunde noch die Sonne schien, hatte sich wieder geschlossen. Ein eisiger Wind zog über den Strand.

      Die Herumstehenden sahen Jan und Eggestein kurz entgegen, dann wandten sich die Gesichter wieder ab. Jan folgte dem Kommissar an den Sanitätern vorbei. Plötzlich sah er den am Boden liegenden Körper.

      Es war eine halbnackte Frau. Verdrehte Gliedmaßen ließen nur einen Schluss zu. Jan blickte an der Steilwand hinauf.

      Er sah wieder zu der Frau. Sie war jung. Die Haare schwarz. Ihr Gesicht war scharf geschnitten wie bei einer Skulptur. Sie trug einen Sport-BH und eine kurze Sporthose. Auch wenn Jan sie nie persönlich getroffen hatte, war die Sache für ihn klar: Er hatte Anna-Lena gefunden.

      3

      Neben all den Uniformierten, die im Halbkreis um die tote Frau standen, waren Jan und Eggestein die einzigen in Zivil. Jan sah den verdrehten Körper an und dann wieder zum Polizisten.

      »Ihre Füße sind blutig.«

      »Könnte auch nur so aussehen und vom roten Lehm kommen«, erwiderte Eggestein.

      »Nein. Die Füße sind aufgeschnitten. Das ist getrocknetes Blut.«