Markus Kleinknecht

Sturmgepeitscht


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trug er eine graue Weste und ein senffarbenes Jackett. Ein Bart umrahmte den unteren Teil seines Gesichtes, jedes Haar schien einzeln gelegt, doch besonders auffällig war sein klarer Blick.

      »Der Smutje«, sagte Eggestein, noch bevor der Mann den Tisch erreicht hatte. Jan nickte kurz. Schon war der Namensgeber des Lokals bei ihnen und streckte Jan die Hand entgegen.

      »Sie vergeben mir hoffentlich, dass ich Herrn Eggestein von Ihrem gestrigen Besuch hier berichtet habe. Aber Gäste haben mir von dem toten Mädchen am Strand erzählt, und meine Mitarbeiter hatten mir von dem Foto erzählt, das Sie allen gezeigt haben.«

      Er sagte tatsächlich Mitarbeiter statt Angestellte. Automatisch fragte Jan sich, ob der Mann ein so guter Chef war, wie er tat. Trotzdem nickte er und sagte, dass das kein Problem sei. »Aber woher wussten Sie, wo ich zu finden bin?«

      Der Smutje öffnete vielsagend die Hände. »Wir leben auf einer Insel.«

      »Und auf der entgeht Ihnen offenbar nichts.«

      Erneut zeigte der Wirt die geöffneten Hände.

      »Ist der Vermieter vom Campingplatz ein Freund von Ihnen?«

      »Natürlich. Und Nils hier ist es auch.« Der Smutje legte eine Hand auf Eggesteins Schulter, der im Sitzen noch genauso groß war wie der neben ihm stehende Mann. »Ich würde mich gerne dazusetzen. Hast du was dagegen, Nils?«

      Eggestein zuckte mit den Schultern. Deshalb sah der Smutje Jan an.

      »Wenn Sie sowieso alles erfahren, was auf der Insel läuft …«

      »So ist es«, erwiderte der Smutje mit einem Lächeln, zog einen Stuhl heran und setzte sich an das Kopfende des Tisches. Dann durfte Jan mit seiner Geschichte beginnen.

      Wer war das Mädchen? Was wusste er über sie? Als er erzählt hatte, wie sich seine Recherchen in den letzten paar Tagen abgespielt hatten, und er mit dem Besuch im Studentenwohnheim bei Maria Fernandez endete, sahen Eggestein und der Smutje sich gegenseitig an.

      »Das ist alles.«

      Eggestein rümpfte die Nase. »Zwei Männer also. Und mit denen soll diese Anna-Lena nach Sylt gekommen sein.«

      »So hat es Maria Fernandez erzählt.«

      »Wissen Sie, wie die beiden Männer heißen?«

      »Nein.«

      »Wo wohnen sie?«

      »Keine Ahnung. Wenn ich das wüsste, wäre ich bestimmt nicht mit dem Bild in der Gegend herumgelaufen und hätte nach Anna-Lena gesucht.«

      »Nein«, stimmte Eggestein zu. »Aber vielleicht haben Sie sie ja irgendwann gefunden. Das könnte doch sein.«

      »Glauben Sie das etwa?«

      »Was glauben Sie, hat sie da am Strand gemacht?«, fragte Eggestein.

      »Na, geklettert«, mischte der Smutje sich ein. »Die Gäste haben gesagt, sie würde genau vor der Steilwand liegen. Also entweder ist sie von oben abgestürzt oder sie ist geklettert.«

      »Das Mädchen ist fast nackt«, meinte Eggestein dazu. »Knappe Hose und BH, sonst nichts. Barfuß. Wer klettert denn so ins Kliff?«

      Der Smutje runzelte kurz die Stirn. »Was die Leute eben so machen, wenn sie Langeweile haben.«

      »Geben Sie mir noch mal Ihr Handy«, bat der Polizist. Jan reichte es ihm. Eine Weile sah Eggestein das Foto an. »Und das da am Stirnband ist eine Kamera, sagen Sie?«

      »Eine Actioncam«, stimmte Jan zu. »Benutzen Sportler, um spektakuläre Bilder zu produzieren. Die hat man zuerst hauptsächlich im Profibereich eingesetzt, also Wellenreiter, Fallschirmspringer, Motocrosser. Zur Sponsorensuche und für die Werbung. Doch mittlerweile sind die Kameras in Massen auf dem Markt. Und billig. Also hat heute fast jeder Mountainbiker so ein Ding am Kopf.«

      Eggestein wusste, was Jan meinte. »Habe ich schon gesehen. Und solche Filme auch. Machen Spaß.«

      Jan stimmte zu.

      Dann meinte Eggestein: »Aber das Mädchen da unten am Strand hatte kein Stirnband mit einer Actioncam. Oder haben Sie eine Kamera gesehen?«

      Jan schüttelte den Kopf.

      »Hier auf dem Foto hat sie eine.«

      Der Smutje beugte sich vor und sah über Eggesteins Schulter auf das Display von Jans Telefon.

      »Für mich sieht es aus«, sprach der Polizist weiter, »als hätte sie auf dem Foto hier dieselben Klamotten an wie heute auch. Also diesen Sport-BH – man sieht auf dem Foto zwar nicht viel davon, doch ich glaube, es ist genauso ein BH. Stellt sich also die Frage, wo das Stirnband mit der Kamera ist.«

      »Da müsst ihr wohl alles noch mal ordentlich absuchen«, empfahl der Smutje. »Denn wenn ihr die Kamera findet, wisst ihr, wie alles passiert ist. Das wäre ziemlich praktisch, würde ich sagen.«

      Eggestein nickte. »Es sei denn, jemand hat sie ihr weggenommen.«

      »Das wäre dann weniger praktisch«, meinte Jan. Der Polizist und der Smutje sahen sich wieder gegenseitig an, dann drehte Eggestein seinen Blick zurück zu Jan und ließ ihn dort ruhen.

      »Ich möchte, dass Sie die Insel nicht verlassen, ohne mir vorher Bescheid zu geben«, sagte der Polizist schließlich. »Lässt sich das einrichten?«

      Es klang wie eine Frage. Doch auch diesmal war es keine.

      5

      Das Angebot, mit einem Streifenwagen zurück zum Campingplatz gefahren zu werden, lehnte Jan ab. So weit war es zu Fuß nicht, und er konnte den Spaziergang gut gebrauchen, um seine Gedanken zu ordnen. Der Wind, der ihm um die Nase wehte, holte ihn ein Stück in die Wirklichkeit zurück. Das Gespräch mit Eggestein und viel mehr noch der Anblick der toten Anna-Lena am Strand hatten ihn heftiger mitgenommen, als er es sich zunächst eingestehen wollte.

      Anna-Lena Thumsen war nicht die erste Tote, die er gesehen hatte. Für einen Lokalreporter gehörten Blaulichtgeschichten zum Geschäft. Nicht selten war Jan für das Harburger Tageblatt an Unfallstellen und Orten von Verbrechen gewesen. Manchmal schon, bevor es zum Abtransport der Toten gekommen war. Er hatte Erschossene, Erstochene und Ertrunkene gesehen. Und trotzdem hatte ihn das Bild der toten Anna-Lena mehr erschüttert als alle anderen Toten bisher.

      Jan wusste auch, warum. Er kannte ihren Namen, ihr Gesicht und einen Teil ihrer Lebensgeschichte, schon bevor Anna-Lena gestorben war. Bei allen anderen Toten, über die er in der Zeitung berichtet hatte, war es andersherum gewesen.

      Er dachte daran, dass Anna-Lena noch gelebt hatte, als er auf der Insel ankam. Wenn er mit seinen Nachforschungen schneller gewesen wäre, wenn er sie wirklich gefunden hätte, würde sie dann vielleicht noch leben?

      Was, wenn er doch in ihr Wohnheimzimmer gekommen wäre? Vielleicht eine hingekritzelte Notiz gefunden hätte? Vielleicht einen Name oder eine Adresse auf Sylt. Er hätte Maria Fernandez weiter bearbeiten müssen. Vielleicht sogar bestechen. Jan war überzeugt davon, dass sie einen Ersatzschlüssel für Anna-Lenas Zimmer hatte. Stattdessen hatte er seine eigene Spürnase überschätzt und war ohne direkte Spur nach Sylt gefahren. Hatte er deshalb Mitschuld an Anna-Lenas Tod? Der Gedanke war irrational, trotzdem fühlte es sich so an, als würde er stimmen.

      Langsam ging Jan an der Anmeldung vom Campingplatz vorbei. Als er den alten Martens in der Nähe des Flachbaus mit den Sanitäranlagen sah, hob dieser grüßend den Arm. Zuerst wollte Jan wortlos weitergehen, dann entschied er sich anders. Er war plötzlich ärgerlich auf den Verwalter, hatte der ihn doch quasi verraten. Wen ging es etwas an, dass Jan auf dem Campingplatz wohnte? Warum erzählte Martens dies in der Gegend herum?

      6

      Der Mann, dem Sonne und Wind das Gesicht seit gut 70 Jahren gegerbt hatten, steckte in einer Arbeitshose und einem an den Ärmeln zerschlissenen Wollpullover.

      »Wie ich höre, sind Sie und der Smutje vom Kliff gute Freunde«,