Reiner Möckelmann

Hannah von Bredow


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nach Wien kommen, wo sie in einem Sanatorium war und kleidete mich ein. Aufgalopp: Weekend-Party bei Auerspergs in Goldegg, bei Rohans in Albrechtsberg, Aufenthalt in Sooß, …“

      Das Leben der 18-jährigen Hannah nahm dann weiter an Fahrt auf: „Winter 1911 in Berlin, Gasthörer auf der Universität, Hörer bei Wölfflin, Harnack, Erich Schmidt, massenhaft Gelehrte im Haus, Tanzstunde und als Abschluss schwere Masern. Ich verlor meine Haare, die in unerhörten Mengen vorhanden gewesen waren, und damit wohl, wie Samson, meine Energie.2 Denn ich versuchte noch einmal mit Mama das Abitur zu erreichen und sie erklärte mir, dass ich sie und die ganze Familie unglücklich machen würde, wenn ich nicht zu O’mama nach Wien ginge und die Spring Season mitmachte. Ich gab also nach und tanzte Nacht für Nacht in Wien, mit Hochgenuss, mit Vergnügen, mit einer immer steigenden Liebe zu sehr alten Männern, oh sehr, sehr alt, so 70 oder mehr, und ich wurde zu allen Dîners der Botschaften eingeladen, verließ alle ‚Comtessenfeste‘, lebte auf den Botschaften aller Länder, vergaß Abiturwünsche, las, las, las wie ein Narr alles Historische, alles Politische, alles was ich bekommen konnte und kam in ein wahres Feuer der Begeisterung. Als ich im Juli heimkehrte, war ich mir über eines klar, dass ich noch mehr Menschen kennen lernen und vor allem nach England fahren müsse.“

      Hannah nutzte ihr Startkapital der drei Vater- bzw. Mutterländer Deutschland, Österreich und England bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 bei vielen Reisen und Verwandtschaftsbesuchen: „Das Leben wurde wirklich besser und besser, ich hatte das absolute Gefühl, dass es nur nette Leute gäbe, darunter amüsante und langweilige, aber im Grunde nur nette.“ Im Winter 1913 erlebte sie, 19-jährig in Berlin, „was man einen atemberaubenden Winter nennt, das kam durch das ‚double life‘. Denn ich machte alle Bälle für die Jugend und alle Dîners und Lunches für die Würdigen mit …“

      Die ersten „Heiratsredereien“ kamen auf, „aber keine Verlobung, nur ein erpichter älterer Witwer, den ich sehr unterhaltend fand, und der für Tante Polly so reizend war. Dann 1914 im Sommer nach Kiel das letzte Fest in Friedrichsruh mit drei Männern, die Mama eligible fand, und die mich langweilten und mit dem Witwer, der so besonders gut tanzte und der mir so leidtat, wegen des mir unbekannten Kindes.“ Der gute Tänzer war Leopold von Bredow, den Hannah am 15. März 1915 heiratete.

      Die Monate zuvor, besonders der Sommer 1914 in Kiel, bildeten zweifellos Höhepunkte im jungen Erwachsenenleben der Hannah von Bredow, einen unternehmungsreichen Ausklang der Jahre einer Junggesellin. Hannahs Tagebuch vom 14. März bis 21. Juni 1914 gibt auf über 100 engbeschriebenen Seiten erschöpfend Auskunft über diese bewegte Zeit mit nahezu täglichen Ortswechseln: „Berlin – Friedrichsruh – Nehmten – Friedrichsruh – Wien – Friedrichsruh – Victoria-Louise (Kiel) – Friedrichsruh – Marutendorff – Friedrichsruh – Schönhausen – Berlin – Friedrichsruh – Brandenburg und wieder Friedrichsruh – Heidelberg.“

      Die turbulenten Monate begannen mit einer Einladung der preußischen Kronprinzessin Cecilie ins Russische Ballett im Berliner Kronprinzenpalais. Hannah fühlte sich „wohl und ganz hoheitlich“. Minutiös beschreibt sie die Garderobe, das Gebaren und die Eigenheiten einzelner Hofadeliger. Weniger hoheitlich erschien ihr indessen das Pausenbuffet in Gestalt von „Esswaren, bei denen roher Lachs und Sardellen, sowie Heringe und Salzgurken prädominierten; sie gaben einen penetranten Geruch von sich, der durch einige Käsebrote noch vermehrt wurde.“

      Akribisch vermerkt Hannah ihre „sämtlichen Engagements“ bei den insgesamt 28 Bällen im Winter 1914, beginnend mit einem Ball im Hause des Diplomaten Carl von Schubert am 25. Januar und endend mit dem Kronprinzen-Ball am 18. März. Ebenso detailliert listet sie mit Namen die „ausgehenden Mädeln im Winter 1914“ ebenso auf wie die „jungen Frauen und jungen tanzenden Herren“, angefangen bei denen des Gardes du Corps über die Brandenburger Kürassiere bis zu den Diplomaten und Referendaren. Schließlich finden sich in ihrer Liste auch „untätige, wenig anziehende Leute, die manchmal auftauchten“.

      Der Ballsaison in Berlin ließ Hannah einen einmonatigen Aufenthalt in Wien bei ihrer Großmutter Alice Hoyos, geb. Whitehead, folgen. Hier standen Theater- und Konzertbesuche, die Teilnahme an Sportveranstaltungen, Tanz- und Gartenfesten sowie Einladungen zu Frühstück, Mittag- und Abendessen in Gesellschaft von Wiener Prominenz im Mittelpunkt. Schließlich erreichte sie die Einladung zur Schiffstaufe der „Bismarck“ am 20. Juni 1914 in Hamburg.

      Diese Einladung, ausgesprochen gegenüber Marguerite von Bismarck und den vier älteren Kindern, kam nicht von irgendwem, sondern von Kaiser Wilhelm II. persönlich. Hannah wurde nicht nur die Ehre der Einladung zuteil, des Kaisers Wunsch war vielmehr, dass Hannah „die Flasche schwingen und die Taufe vollziehen“ sollte. Nachdem die Flasche bei den Worten „auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers taufe ich dich ‚Bismarck‘“ unversehrt geblieben war, trat seine Majestät persönlich in Aktion. Er ergriff die Magnum von Kupferberg Gold und „schleuderte sie mit solcher Kraft und Geschicklichkeit gegen das Schiff, dass sie in tausend Stücke flog“. Hannahs Verlegenheit dämpfte er mit der Bemerkung: „Herren verstehen sich besser auf Sekt wie Damen, was?“

      Im Anschluss an die Schiffstaufe in Hamburg konnte sich die Taufpatin Hannah gleich einer weiteren kaiserlichen Einladung erfreuen. In ihrem ausführlichen Tagebuch über dies Ereignis vermerkt sie: „Ich habe mir immer gerade das so sehnlich gewünscht, und nun als Kaisergäste auf dem Ballin’schen Schiff Viktoria-Luise, es wird gewiss köstlich.“ Sie und die drei Jahre jüngere Schwester Goedela „bekamen als Kaisergäste wunderbare Kabinen“ und am 26. Juni kamen sie von Hamburg „bei köstlichem Sommerwetter auf der Kieler Förde an“. Am Tag darauf war sie zum Kaiserdiner auf der Staatsyacht Hohenzollern, wo sich der Kaiser ihr mehr als eine halbe Stunde lang widmete: „Er war ganz fabelhaft gut aufgelegt und voller Witze.“

      Am 28. Juni 1914 endete das ungetrübte Vergnügen, als Hannah die Kriegsschiffe in der Förde auf Halbmast geflaggt sah: Erzherzog Franz-Ferdinand von Habsburg war tot. Gerüchte, dass der Thronfolger von Österreich-Ungarn in Sarajewo an einem Herzschlag gestorben sei, bezweifelte Hannah sofort und wurde darin bestätigt, dass er einem Attentat zum Opfer gefallen war. „Selbstverständlich wurden alle Festlichkeiten sofort abgesagt“, erklärt Hannah zur ersten Reaktion. Das Attentat war maßgeblicher Auslöser des Ersten Weltkriegs und bedeutete nicht nur für Hannah eine tiefgreifende Zäsur im Leben.

      Bis zu ihrem 21. Lebensjahr genoss Hannah auf Ausflügen, Ausritten, Tanzabenden, bei Vorträgen, Konzerten und Theaterbesuchen den Umgang mit den Söhnen und Töchtern der alten Familien des Guts- und Militäradels sowie mit den Spitzen des Groß- und Bildungsbürgertums. Auf Bällen bei Hof und in Botschaften, in hochadligen Palais und großen adligen Salons bewegte sie sich in den Kreisen der alten Hof-, Diplomaten- und Regierungseliten. In den besten Hotels und Restaurants Berlins nahm sie an geselligrepräsentativen Essen teil.

      Verbunden mit einer aktiven Besuchspolitik beobachtete Hannah das Gesellschaftsleben in Berlin und dessen Aufstieg zur Kulturmetropole. Ihre Jugend konnte sie im „goldenen Zeitalter der Sicherheit“ (Stefan Zweig) verbringen: Seit ihrer Kindheit herrschte wirtschaftliche Hochkonjunktur, und viele Erfindungen und Entdeckungen wie die Röntgenstrahlen oder das Aspirin wurden gemacht. Das von den Engländern zur Abwehr deutscher Produkte verfügte Kennzeichen „Made in Germany“ wurde zum Gütesiegel. Die Kaiserzeit zeichnete ein nahezu grenzenloser Glaube an die Stärke und glorreiche Zukunft des Deutschen Reiches aus, zumal Literatur, Malerei und Musik in Blüte standen. Der Krieg stellte alles in Frage, und dennoch entschied Hannah im Frühjahr 1915, die Ehe mit Leopold von Bredow einzugehen.

      Ehe in Zeiten des Umbruchs

       „Mein Mann hat mich sehr lieb gehabt, und seine Kinder haben ihm das absoluteste Glück bedeutet, was einem Mann zuteil werden kann.“

      (Hannah von Bredow an Sydney Jessen, Nr. 730 – Potsdam, den 4. April 1938)

      Erstmals näher kennen lernte Hannah ihren zukünftigen Ehemann Leopold Waldemar von Bredow Mitte März 1914 im Berliner Hotel Adlon bei einer Soirée, zu der die Freifrau Ludovika von Stumm das Münchner Marionetten-Theater engagiert hatte: „Ah! Ah! Je später der Abend, desto schöner die Gäste; wie charmant, dass ich Sie hier treffe, meine