Reiner Möckelmann

Hannah von Bredow


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sie in ihrem Brief in seiner Offenheit als verblüffend bezeichnet: „I hear from your husband that you have actually had seven children! Only niggers breed that way with us!“ Dem Bericht Hannah von Bredows entsprechend schwieg Ehemann Leopold hierzu. Wieder einmal musste sie sich damit trösten, dass sie im Gegensatz zu ihrem Vater über „the thickest skin ever worn by man, woman or child“ verfügte.

      Bereits als Jugendliche hatte Hannah ihre Vorliebe für eine eigene große Familie bekundet. Während sie selbst mit vier Geschwistern aufwuchs, teilte sich Ehemann Leopold das Elternhaus mit sechs Brüdern und Schwestern. Bei einem Besuch der Familie Whitehead in Efford House bei Liverpool erzählte die 18-jährige Hannah im Jahre 1912 der Großmutter von ihrer Liebe für Babys und kleine Kinder und erklärte, dass sie spätestens in drei Jahren heiraten werde. Sie wolle so schnell wie möglich ein Dutzend Kinder haben, ergänzte sie, und endete mit der verblüffenden Bemerkung, dass sie eine große Familie für erforderlich halte, „because a man is only bearable when one has him surrounded by lots and lots of children. That keeps him happy.“

      Ehemann Leopold zeigte sich indessen mit neun Kindern, denen er sich mit viel Zuneigung widmete, vollauf zufrieden. Im Alter von 40 Jahren konnte Hannah dann nicht mehr daran denken, das Dutzend Kinder voll zu machen. Den letzten Sohn Leopold Bill erlebte Leopold von Bredow vor seinem Tod am 1. Oktober 1933 nur noch wenige Monate.

      Das Eheleben von Hannah und Leopold von Bredow war nicht ungetrübt. Ohne die Möglichkeit, seinem Beruf nachgehen zu können, widmete Leopold sich zunehmend dem Besuch von Clubs, Pferderennen, dem Golfspiel und ausgiebigen Jagdreisen. Versuche zu einer Tätigkeit in einer Reitschule sowie in einer Bank scheiterten an seinem unsteten Leben. Er schätzte das gesellige Leben, und sein Charme machte ihn zu einem gern gesehenen Gast. So war er auch mit dem Kunstsammler, Mäzen und Schriftsteller Harry Graf Kessler befreundet und traf sich mit ihm zur Jagd oder zu Opernbesuchen. Hannah von Bredow dagegen bevorzugte das reiche Kulturleben Berlins und die regelmäßigen Besuche von Theater, Konzerten und Vorträgen. Ihre große Kinderzahl hielt sie nicht von Reisen zu Verwandten und Freunden, von Einladungen zu Mittags- und Abendveranstaltungen oder eigenen Einladungen in ihr offenes Haus ab.

      Zurückgekehrt von ihrer Reise in die Neue Welt, feierte die Familie am 31. Oktober 1930 in Potsdam mit einem großen Familienfrühstück den 55. Geburtstag Leopolds. Kurz darauf reiste dieser mit Freunden zur Jagd nach Tamsweg ins Salzburgerland, und Hannah befürchtete am Abreisetag: „Er wird sicher krank zurückkommen.“

      Tatsächlich fand Hannah ihn nach seiner Jagdreise Ende November 1930 „zum Skelett abgemagert, sehr reizbar“ vor. Zudem hatte er sich einen Knochenbruch zugezogen. Sie brachte ihn in eine Klinik, wo er erfolgreich operiert wurde. Im Herbst des Jahres 1931 ereilte Leopold von Bredow dann eine Blinddarmentzündung, die eine schwierige Operation mit Reanimierung zur Folge hatte. Eine längere Kur schloss sich an, zu der Hannah ihn begleitete.

      Mitte Mai 1932 erkrankte Leopold erneut mit hohem Fieber, welches sich über einen Monat hielt und den Ärzten keine klare Diagnose ermöglichte. Als sich im Sommer Hustenanfälle verstärkten, wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Seinen 57. Geburtstag musste Leopold von Bredow dann im Oktober 1932 im Krankenhaus verbringen. Nach einer Phase der Beruhigung stellten sich im Frühjahr 1933 heftige eitrige Blutungen ein, Zeichen eines Lungenödems. Ende April lieferte Hannah ihren dennoch „merkwürdig frischen und aufgeräumten“ Mann in die Klinik Martinsbrunn in Meran ein und blieb zunächst drei Wochen bei ihm.

      Hoffen und Bangen bestimmten die kommenden Monate. Anfang Juli 1933 traf Hannah von Bredow wieder in Meran ein und schrieb, dass sich Leopolds Befinden von Tag zu Tag bessere und er „wirklich Aussicht auf Genesung“ habe. Ende Juli heißt es im Tagebuch: „Leopold wunderbar munter und lustig. Kinder alle so nett. Wie er Billy liebt. Gott wolle doch in Gnaden geben, dass er wirklich gesund wird, denn er ist so froh, und das ergreift mich aufs Tiefste. Und wie er die Nazis hasst.“

      Mitte September wurde Leopold von Bredow in eine Spezialklinik nach Lausanne verlegt, in die Hannah am 30. September eilte, um einen Tag darauf festzuhalten: „Sonntag, 1. Oktober 1933. Es ist Nacht und alles vorbei. Leopold ist in qualvollster, grauenhaftester, fürchterlichster Weise gestorben. Um 9.15 trat der Tod ein. Ich werde nie, nie, nie das Grauen loswerden.“

      Die Ärzte diagnostizierten als Todesursache Encephalitis lethargica, eine besondere Form der Hirnhautentzündung. Voller Empathie schreibt Hannah von Bredow ihrem Briefpartner Sydney Jessen zwei Tage nach Leopolds Tod: „Wenn ich nie Kinder bekommen hätte, hätte ich dies nicht ertragen können, aber auch so – ich kann eben nicht zuschauen, wenn andere leiden.“ Und sie ergänzt: „Er war gerade diesen Sommer mit dem Wunderbaby so selten glücklich, vielleicht so, wie noch nie, und ich hätte ihm ehrlich und herzlich diese Herbstferien, auf die er sich rasend freute, so gegönnt.“

      Ende Oktober 1933 reiste Hannah von Bredow zur Eröffnung von Leopolds Testament in die USA. Unterwegs gedenkt sie am 31. seines Geburtstags: „Heute wäre Leopold 58 Jahre alt geworden. Ich kann und kann es nicht aushalten, bin so allein.“ Jedes Jahr legt sie zu Leopold von Bredows Geburtstag Blumen am Grab im brandenburgischen Sacrow nieder, erinnert in Tagebuch und Briefen an seinen Todestag und schreibt am 15. März 1935: „Vor 20 Jahren Ehe. Die Kinder machen mich ewig glücklich.“ Briefe und Tagebücher lassen aber auch erkennen, dass Leopold von Bredow seiner Frau in den 18 Ehejahren angesichts zunehmend sichtbar werdender unterschiedlicher Interessen und Hannahs selbstbewusster und unangepasster Lebensgestaltung viel abverlangte.

      Leopold von Bredow kritisierte nicht nur unter vier Augen die ausgeprägte Redefreudigkeit seiner Frau und ihren Hang zu hartnäckig und ausdauernd geführten politischen Gesprächen. Besonders auf der Weltreise forderte er sie auch in Gegenwart Dritter zur Eindämmung ihres Redeflusses auf und gab das Stichwort für wenig erfreuliche Kommentare zum Kinderreichtum des Paares. Eifersucht hatte zweifellos einen maßgeblichen Anteil an Leopold von Bredows Verhalten, zumal Hannah in Gesellschaft bevorzugt mit älteren Männern gleichermaßen eloquent in Deutsch, Englisch und Französisch sprach und diskutierte, und ihre Ansichten von diesen so anerkennend wie bewundernd kommentiert wurden.

      Eifersucht spielte auch eine Rolle, als Leopold von Bredow mit Hannah die halbjährige Weltreise unternahm. Es war im sechsten Jahr der Bekanntschaft und ununterbrochenen Brieffreundschaft Hannahs mit Sydney Jessen. Dieser war zwar nur ein gutes Jahr älter als Hannah, bestimmte aber ihr Denken und ihre Gefühlswelt in einem besonderen, für einen Ehemann durchaus beunruhigenden Maße. Die Weltreise sollte Hannah von Bredow Abstand zu Sydney Jessen verschaffen. Hannah indessen, schon an Bord des Passagierschiffes Hamburg, teilte Jessen am 17. Februar 1930 mit, dass sie ihm „von dieser ersten langen Seereise eine Art Tagebuch schreiben“ werde. Sie beließ es nicht bei täglichen Berichten über die lange Seereise, sondern schickte Jessen auch von den Landstationen wöchentlich bis zu 50 handgeschriebene Seiten mit ihren Eindrücken und Urteilen.

      Der Seelenverwandte Sydney Jessen

       „Wenn Sie nur ahnten, was für eine Erleichterung darin liegt, mit Ihnen korrespondieren zu können, wenn’s auch das Reden nimmermehr ersetzt. Was für eine Hilfe es ist, an jemand, der noch denken kann, schreiben zu können, und zwar so schreiben zu können, dass man sich – bis auf gewisse Gestapohemmungen – nicht jedes Wort auf seine Möglichkeit hin, verstanden zu werden, überlegen muss.“

      (Hannah von Bredow an Sydney Jessen, Nr. 377 – Potsdam, den 27. September 1935)

      Die Zahl der Schreiben, die Hannah von Bredow in den Jahren 1925 bis 1965 an Sydney Jessen verfasste und bis zuletzt stets mit „Lieber Herr Jessen“ begann, ist exakt nicht ermittelbar, dürfte aber über 2000 liegen. Der Umfang der von Sydney Jessen an die „Sehr verehrte, gnädige Frau“ verfassten Briefe ist geringer. Von Verlusten durch Kriegseinwirkung sowie durch die willkürliche Vernichtung durch Hannah von Bredows Tochter Marguerite waren Jessens Briefe in höherem Maße betroffen als die von Hannah. Diese begann Anfang des Jahres 1930 damit, ihre Briefe an Jessen zu nummerieren. Postkarten und nicht nummerierte Briefe von bis zu 20 handgeschriebenen Seiten kommen hinzu.

      Der Briefaustausch erfolgte mindestens im Wochentakt, bisweilen alle zwei Tage und selbst bei räumlicher Nähe,