Michael Borgolte

Weltgeschichte als Stiftungsgeschichte


Скачать книгу

der 4. Dynastie ab, wurde in der Forschung betont. Die privatrechtliche Situation habe also während des Alten Reiches geschwankt.53

      Charakteristisch für die Epoche dürften deshalb eher zwei Stiftungen Pepis I. und Pepis II. gewesen sein. Der eine engagierte sich für die Pyramidenstadt (-städte) seines fernen Vorgängers aus der 4. Dynastie, Snofru, in Dahschur. In einem Edikt wies er einen unbekannten Beamten an, die Pyramidenstadt durch ewige Befreiung von Steuern und anderen Lasten sowie die Erträge bestimmter Ländereien zu begünstigen54: „Die Majestät befahl für ihn [Snofru] die Exemtion dieser Pyramidenstadt vom Ausführen irgendwelcher Arbeit des Königshauses, (vom Ausführen) irgendwelcher Steuer für irgendeine Verwaltung der Residenz, (vom Ausführen) irgendeiner Verpflichtung (zur Arbeit) aufgrund der Anordnung irgendwelcher Leute und (vom Ausführen) verpflichtungsgleicher (Arbeit) aufgrund der Anordnung irgendwelcher Leute in alle Ewigkeit (…). Die Majestät befahl die Verteilung jeglicher Ackeranteile dieser Pyramidenstädte entsprechend der Verteilungsbestimmung für diese Pyramidenstädte. (…) Nicht aber sollst du geben irgendwelches Land, Priestereinkommen oder Eigentum an irgendwelche Leute, die in einer anderen Pyramidenstadt ansässig sind (…).“55 Als Zweck seiner Maßnahmen benannte Pepi I. ausdrücklich Opfer für den toten Snofru, der hier offenkundig selbst als Gottheit gedacht ist: „Die Majestät tat dies für den Schutz der Pyramidenstädte von diesen Angelegenheiten, so dass Priesterdienst, Monatsopfer und Gottesopfer verrichtet werden in diesen Pyramidenstädten [für] den König von Ober- und Unterägypten Snofru in den (beiden) Pyramiden ew-Snfrw auf Befehl [zugunsten von] Leben, [Wohlergehen und Gesundheit des] Königs von Ober- [und Unterägypten Mrjre,], er lebe [ewiglich].“56 Die Stiftung Pepis für seinen ferngerückten Vorgänger sollte also auch ihm selbst zugutekommen.57

      Kompliziert ist eine Pepi II. alias Neferkaree zugewiesene Doppelstiftung im Min-Heiligtum von Koptus. Der Pharao der späten 6. Dynastie hat hier eine Statue seiner selbst „aus asiatischem Kupfer, Farbpasten und Gold“ aufstellen lassen, der er den Namen verlieh „triumphierend ist der König von Ober- und Unterägypten Neferkaree“ und die er mit einem Königs- beziehungsweise Gottesopfer ausstattete. Bereits zu Lebzeiten hat Pepi demnach eine Stiftung für sich als Gott errichtet. Außerdem gab er „drei Aruren Ackerland im Zwei-Falken-Gau (…), das jährlich überschwemmt wird“, für eine Stiftung namens „Min bestärkt Neferkaree“; dieses Ackerland sollte „als festes Opfer für alle Tage zusätzlich [zu] den Riten für die Feste“ dienen.58

      Während in Ägypten die Totenstiftungen überwiegen, lassen sich in China gut Ahnenstiftungen im engeren Sinne beobachten. Als Schlüsselbegriff für ‚stiften‘ gilt hier gongyang – wörtlich übersetzt: „Nahrung darbringen“ –, der sich „im ursprünglichen chinesischen Kontext auf die Versorgung der Eltern im Alter bezog, im weiteren Sinn aber auch Speiseopfer an Ahnen und Gottheiten bedeutet“.59 Zum chinesischen Staatskult gehörte dementsprechend neben der Verehrung himmlischer und chthonischer Mächte durch den Herrscher oder seine Beauftragten der Ahnenkult des jeweiligen Herrscherhauses.60 Seine klassische Ausprägung hat der chinesische Ahnenkult in der Zeit der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 1050–771 v. u. Z.) erfahren und als solcher Modellcharakter bis in die Gegenwart bewahrt.61 Den Praktiken der Zhou-Periode lag die Annahme zugrunde, dass „die Geister verstorbener Vorfahren über außergewöhnliche Kräfte verfügen. Man glaubte, dass die Ahnen ihren Kindern und Kindeskindern prinzipiell wohlgesonnen seien, ja ihnen zu Wohlstand und Ansehen verhelfen konnten; jene wiederum mussten sich die Gunst der Ahnen durch korrekte und pünktliche Verrichtung der Opferriten immer wieder von Neuem verdienen. Vorfahren und Nachkommen lebten somit in einer Symbiose miteinander, in der die Lebenden ihre Ahnen durch Speiseopfer, und jene ihre Nachkommen durch Einwirken auf die Naturkräfte am Leben erhielten.“62 Die Opfer wurden durch rituelle Mahlzeiten vollzogen, bei denen sich ein Familienmitglied im Ahnentempel aufstellte und die Ahnengeister ein menschliches Wesen als Medium benutzten. Der Familienälteste hatte in ritualisierter Sprache den Ahnen vom Wohlbefinden sowie von der Tugendhaftigkeit ihrer Nachfahren zu berichten. „Durch ein Orakel erfuhr man die Antwort der Himmlischen; ihr Segen und Beistand war die zu erwartende Belohnung für das Festhalten an den überkommenen Sitten und Riten.“63 Bronzene Speisegeräte, die wohlhabenden oder gar aus Herrscherdynastien stammenden Toten mit ins Grab gegeben wurden, waren mit Inschriften ausgestattet, die diese Wechselbeziehung von Toten und Lebenden dokumentieren. Als Aufenthaltsort der Ahnen, von dem sie temporär in die Welt der Lebenden zurückkehren konnten, ist durch Inschriften die Umgebung des höchsten Himmelsgottes bezeugt,64 andere Quellen verweisen auf ein Totenreich oder eine „Dunkle Stadt“, möglicherweise wurde aber auch das Grab selbst als letztmöglicher Wohnort der Toten verstanden.65 Jedenfalls bildeten die Sphären von Lebenden und Verstorbenen eine Einheit, die beiden Zonen waren durchlässig und der Pflicht zum Erinnerungskult hier entsprach die Aufgabe der Memoria dort.66 Mit Stiftungen konnte der Mechanismus von Gabe und Gegengabe bekräftigt werden.

      Wie in anderen Stiftungskulturen der Alten Welt bildeten Götter- und Ahnenstiftungen auch in Griechenland und Rom die Urtypen von Stiftungen. Werke dieser Art zugunsten des Götterkultes begegnen in Griechenland seit dem frühen 4. Jahrhundert. Ein Zeuge seiner eigenen Stiftung für das Artemisheiligtum in Ephesos war der Historiker Xenophon, bezogen auf den Ort Skillus bei Olympia um 400 v. u. Z.: „Scholle der Artemis geweiht! Wer sie innehat und bebaut, soll den Zehnten jedes Jahr als Opfer darbringen; aus dem Überschuss ist das Heiligtum in Stand zu halten; richtet jemand dies nicht aus, wird er der [Rache der] Göttin anheimfallen.“67 Stiftungen für die Toten erscheinen seit dem 3. Jahrhundert v. u. Z. Nach einer inschriftlich überlieferten Urkunde hatten etwa Agasikles und Nikagora der Bürgerschaft von Kalaureia Geld und ein Stück Ackerland für eine Stiftung zugunsten der Götter und ihrer selbst vermacht. Nachdem die Verwalter „den Zins von dem Geld und die Pacht von dem Grundstück eingetrieben“ hatten, sollten „sie hiervon dem Poseidon ein ausgewachsenes Opfer und Zeus, dem Erretter, ein ebensolches darbringen“; ferner sollten sie noch „einen Altar (…) errichten vor den am Rathause stehenden Statuen der Stifter; das Opfer soll jährlich veranstaltet werden, wie es auf der Säule geschrieben steht; auch alles andere sollen sie möglichst schön besorgen.“68 Noch ausführlichere Bestimmungen bietet das Testament eines römischen Bürgers aus Langres (in Gallien), der dem Völkerstamm der Lingonen angehörte.69 Laut dem um 100 u. Z. datierenden Dokument hat der Testator einen Grabbau (cella memoriae) errichtet und Anweisungen zur Ausstattung, zur Stiftungsverwaltung und zum Totengedenken gegeben. Die cella sollte durch einen Anbau (exedra) ergänzt werden, in dem eine Sitzstatue des Initianten aus Marmor oder Bronze aufzustellen war; vor dem Denkmal sollte ein Bett errichtet werden, an den beiden Seiten des Grabes waren Steinbänke vorgesehen. Für die Tage, an denen das Gebäude geöffnet sein würde, sollten Decken und Kopfkissen, aber auch Mäntel und Unterkleider bereitliegen, damit sich die Besucher zum Totenmahl lagern könnten. Vor der cella musste nach der Vorschrift des namentlich unbekannten Testators ein hervorragend gemeißelter Altar für seine Gebeine aufgestellt werden. Die Aufsicht über die Grabstätte, zu der auch Seen und Obstgärten gehörten, war zwei Freigelassenen anvertraut, denen auch finanzielle Mittel zur Instandhaltung der Anlage überlassen wurden. Zu ihrer Unterstützung sah der Stifter drei Kunstgärtner mit Lehrlingen vor; falls einer von diesen stürbe, sollte ein Nachfolger bestimmt werden. Zum Lohn waren für jeden Gärtner 60 Scheffel Weizen im Jahr eingeplant, die der Erbe des Testators namens Aquila und dessen eigene Erben auszahlen sollten. Die Grabanlage selbst war ausschließlich für den römischen Bürger selbst bestimmt; nachdrücklich wendet er sich gegen jede Zweckentfremdung durch eine weitere Bestattung. Aquila und den Nacherben werden empfindliche Geldstrafen zugunsten der civitas Lingonum angedroht, falls sie diese Vorschrift nicht einhalten sollten. Schließlich regelt der Testator genau den ihm zu widmenden Totenkult. Mit der Ausrichtung des Begräbnisses und der Leichenfeiern betraute er neben seinem Neffen Aquila drei andere Männer, unter ihnen einen weiteren Freigelassenen. Für die Zeit nach der Bestattung legte er regelmäßige Feiern am Grabe fest. Seine Freigelassenen insgesamt, aber auch Aquila, sollten alljährlich bestimmte Geldzahlungen zum Erwerb von Esswaren und Getränken leisten. Diese Lebensmittel waren für die periodischen Opfer vor der cella memoriae bestimmt und sollten an der Grabstätte verzehrt werden. Die Freigelassenen hatten ferner jährlich wechselnde „Kuratoren“ für den Totenkult zu wählen, die sechsmal im Jahr die sacra