bleiben, bis er sich objektive Unterlagen verschafft hatte. Er schaltete den Fernsehapparat an. Das Ballett war albern, der Ansager aufgesetzt, die Musik ohne Elan. Sligh stellte ihn wieder ab. Er legte sich zu Bett. Die Matratze war zu weich, das Keilkissen überflüssig.
Das Keilkissen war nicht überflüssig, die Matratze war hart. Sligh schaltete die Wandlampe ein und las.
Es interessierte ihn jedoch nicht im geringsten, ob Vater Adam mit seinen beiden merkwürdigen Söhnen zurechtkam oder nicht. Sligh schlug das Buch wieder zu.
Er schrieb eine Überweisung über achttausend Dollar an das übliche Konto aus. Es blieb ihm selbst überlassen, ob er sie zur Bank geben würde oder nicht.
Der Schlaflose hatte sieben Stunden vor sich, ehe er mit Vernunft und seinen selbstgesetzten Regeln entsprechend aufstehen konnte: Länge eines Ozeanfluges, weiter nichts.
Es musste irgendwelche Schriftproben von Joe King geben. Jetzt konnte dieser Indianer nicht mehr schreiben. Vielleicht vermochte er es nie mehr. Der Erfolg der Operation musste abgewartet werden. Zwei Jahre, drei Jahre stationäre Behandlung und orthopädische Übungen in einem Sanatorium. Wenn Joe King selbst der Erpresser war, hatte Sligh ihn vorläufig nicht mehr zu fürchten. Bis zur Entlassung, wenn sie je stattfinden konnte, war die Sache mit dem Zettel aufgeklärt.
Okay.
Roger Sligh, M. D., schlief endlich ein. Er erwachte am nächsten Morgen zehn Minuten später als sonst und musste seine Zeitungslektüre dementsprechend kürzen. Im Krankenhaus erfuhr er, dass der Patient King die Augen offen hatte, der Unterkiefer aber unbeweglich blieb. »Als King betäubt war, hing der Kiefer schlaff. Seit wann ist er wieder starr, Landis?«
»Seit dem Erwachen.«
»Also simuliert der Patient.«
»Vielleicht auch Schockwirkung.«
»Neuer Schock? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Was hat er zuerst gesehen, als er wach wurde?«
»Scheinbar eine Alptraumerscheinung.«
»Hm.« Während der Arzt brummte, dachte er: Psychopath oder ausgekochter Gauner oder beides.
Er ordnete an, dass man noch einen Tag abwarten und den Patienten dann künstlich ernähren sollte. Da die Wirbelsäule nach der Operation nicht bewegt werden durfte, war die künstliche Ernährung kein einfaches Problem. Sligh wusste nicht, was er im eigenen Interesse wünschen sollte. Er unterdrückte daher seine Gedanken und wünschte gar nichts. Er hatte auch nicht die Absicht, den mysteriösen Zettel mit seinem Namen der Polizei zu übergeben. Wenn überhaupt, dann war es für ihn nur zweckmäßig, selbst nachzuforschen. Er hatte Zeit. Aber irgendwann und irgendwie wollte er zu einer Schriftprobe dieses verdächtigen Indianers kommen.
Er hatte einen Einfall.
Eines Morgens wandte er sich an Mrs Crazy Eagle und erkundigte sich, ob sie ihm von irgendwoher, auf irgendeinem Wege eine Schriftprobe des Patienten King bringen könne, der durch sein undurchsichtiges Verhalten der Behandlung Schwierigkeiten mache. Schriften gäben Aufschluss über Charaktereigenschaften, es sei viel davon zu halten.
Der Wunsch wurde erfüllt. Ein gewisser Russell, Verkäufer von Wildwestzubehör in New City, stellte einen Brief über eine Viehverkaufsangelegenheit zur Verfügung. Es war auf den ersten Blick klar, dass die Schrift des Linkshänders Joe King mit derjenigen auf dem Zettel nicht identisch sein konnte.
Also kam King nur als ein Zwischenträger in Frage. Einmal würde ihm das Simulieren wohl leid werden. Dann wollte Sligh ihn fragen, wie er zu dem Namen und der Adresse gekommen war und warum er das Papier verschluckt hatte. Der Bursche war zu einer unerhörten Konsequenz in seinem Verhalten fähig. Insofern schien er gefährlich.
Sligh zog da und dort Erkundigungen ein. Joe King, auch genannt Stonehorn, wurde als Nachkomme einer heruntergekommenen, aber um so arroganteren Häuptlingsfamilie und Schüler eines Medizinmannes geschildert, als ein aufsässiger Charakter, verwegen und geneigt, stets Aufsehen zu erregen; dabei hielt er sich selbst im Dunkeln und blieb undurchsichtig. Er war vor Jahren aus Hass auf Verwaltung und Gericht ein Gangster geworden. Später hatte er versucht, sich von den Gangs loszusagen. Aber aus einer Gang wieder herauszukommen galt allgemein als ein hoffnungsloses Unterfangen. Es hatte Tumulte und Schießereien gegeben. King war zu aller Erstaunen auf die Reservation zurückgekehrt, hatte eine schöne junge Indianerin geheiratet und war ein erfolgreicher Rancher und Rodeo-Sieger geworden. Er hatte Feinde und Verächter, Anhänger und Bewunderer. Die Urteile über ihn unterschieden sich wie Schwarz und Weiß. Es erschien nicht unmöglich, dass ein solcher Mensch noch Verbindungen zu einem Erpresser aufrechterhielt oder von neuem angeknüpft hatte.
Sligh gab den Scheck zur Bank und schlief wieder schlecht.
Er konnte den Burschen einfach sterben lassen. Aber das widerstrebte ihm. Er war Arzt. Nur keine neue Affäre.
Eine Krise im eigentlichen Sinne brach in dem labil gewordenen Gemütszustand von Roger Sligh, M. D., erst zwei Wochen später an einem hellen Novembervormittag aus. Er machte als Chefarzt seine Visite bei dem Patienten, der noch isoliert lag.
Joe King hatte die Augen offen. Bis dahin hatte er sie stets nur zu schmalen Schlitzen geöffnet. An diesem Morgen aber sah er dem Arzt entgegen, mit vollem, den anderen festhaltendem Blick. Die Augen waren groß, im Dunkel eine für Sligh fremdartige Trauer, das Leuchten schwer zu ergründen, da es aus einer nicht mit Instrumenten auszulotenden Tiefe kam. Der Blick war unerklärlich. Sligh fühlte sich einen Augenblick versucht, den Indianer für geisteskrank erklären zu lassen. Dann konnten etwaige Aussagen dieses Burschen nie Gewicht gewinnen.
Es war ein überhasteter, aus einer irrationalen Angst geborener Gedanke. Sligh streifte ihn ab, ordnete eine weitere Röntgenaufnahme an und legte das Resultat dahin aus, dass er für den Patienten Antrag auf Aufnahme in eine erstklassige orthopädische Spezialheilstätte stellen werde. Diese Entscheidung erschien ebenso medizinisch einwandfrei wie gewissenberuhigend, nervenberuhigend.
Mrs King, die ihren Mann regelmäßig besucht hatte, ließ sich bei dem Chefarzt anmelden.
Roger Sligh entzog sich der Sprechstunde, in der er die junge Frau hätte empfangen müssen, und schob seinen Assistenzarzt Landis vor. Landis versicherte Mrs King wahrheits- und auftragsgemäß, dass die Spezialklinik außerhalb der Reservation die relativ beste Aussicht auf wirkliche Heilung verbürge. Mrs King unterschrieb ohne weiteres Wort die finanziellen Verpflichtungen, die sich daraus ergaben. Sligh machte keine Visite mehr bei Joe King. Er überließ den Patienten der Verantwortung seines Assistenten.
Des Nachts im Traum aber wurde der Arzt von den Augen verfolgt.
Augen eines Wahnsinnigen?
Augen eines Rauschgiftsüchtigen?
Augen eines urwüchsigen Hypnotiseurs?
Augen eines gefährlichen Verbrechers?
Woher kannte dieser Bursche den Erpresser?
Roger Sligh studierte an vielen Abenden den Zettel mit seiner eigenen Adresse und dem Vermerk 8 000,-.
Es gab keinen Zweifel, das war die Handschrift des Erpressers. Sligh kannte diese Handschrift aus eigenen eingehenden Studien. Wo lebte der Unbekannte jetzt? War er Sligh nachgekommen? Lohnte sich das für den Verbrecher? Sligh war reich, aber er war kein Milliardär. Warum verfolgte der Erpresser ihn? Konnten mäßige Summen allein die Ursache dieser Zähigkeit über hunderte von Meilen hinweg sein? Kannte Joe King Slighs Verfolger? Er musste ihn kennen. Wie war er sonst zu dem Adressenvermerk gekommen? Sligh würde den Indianer nicht aus den Augen verlieren. Mit dem Leiter der orthopädischen Klinik war der Arzt bekannt. Er konnte jederzeit die Verbindung zu einem von ihm operierten Patienten aufrechterhalten oder wiederherstellen, wenn er sie einmal unterbrochen hatte. Das würde niemanden wundernehmen. Im Gegenteil, es war üblich und von Sligh zu erwarten.
Nachdem Joe King trotz aller Vorsorge bei dem Transport mit einem neuen gefährlichen Schaden in der Klinik Dr. Miller angekommen war, brauchte Roger Sligh die Augen des Indianers nicht mehr zu sehen. Er brauchte sie nicht mehr in natura zu sehen. Im Traum sah er sie noch immer. Es gab