Liselotte Welskopf-Henrich

Stein mit Hörnern


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Glauben schenken könne, habe er nur Zwischenhandel mit Unbekannt getrieben.

      »Ungeschminkt ausgedrückt, Mr Krause, würde das heißen: O’Connor hat seine Kunden nicht verraten. Gangstermoral.«

      »Weniger Moral, Doc, als Angst vor seiner Schwester Esma. Dem Weib ist er hörig gewesen.«

      »War die Reservation mit verwickelt?«

      »Nur mit Brandy.«

      »Das lässt sich wohl bei den Indsmen nicht ausrotten.«

      Krause lächelte verzeihend über den unangebrachten Hochmut. »Bei uns hat sich die Prohibition ja auch totgelaufen, Doc. – Aber etwas anderes: Wie geht es Joe? Geben Sie noch Hoffnung, Doc?«

      »Ja. – King war doch am letzten Tag vor seinem Zusammenbruch bei Ihnen, Krause. Fühlte er sich nicht wohl?«

      »Es war nichts zu merken.« Krause drehte dem Arzt den Rücken, während er antwortete, und hängte ein altes Gewehr wieder an seinen Platz an der Wand. »Aber was wollen Sie bei einem solchen Mann sagen? Joe hat noch indianische Erziehung. Der Vater war Traditionalist, und Joe ist schon als ein Junge von zehn Jahren bei einem uralten Medizinmann in die Lehre gegangen. Bei dem alten Blinden – der ist nun schon tot.«

      »Schade. Aber mir als Arzt hätte er seine Kunst doch nicht verraten. Sein Schüler Joe kann sich auf geradezu wunderbare Weise beherrschen. Das ist, wie ich schon bemerkt habe, auch unter Indianern heute eine Seltenheit geworden.«

      »Bleibt die teure Klinik unvermeidlich, Doc? Können Sie Joe nicht wieder ins Indian Hospital nehmen?«

      Slighs Gesicht wurde hart. »Kann ich. Aber ich habe dort nicht die gleichen Möglichkeiten für die Heilung. Ich selbst besitze nicht die orthopädischen Spezialerfahrungen von Doktor Miller. Hat die Frau finanzielle Schwierigkeiten?«

      »Noch nicht. Aber wenn das jahrelang weitergehen soll … Nun, ich bin ja auch noch da.«

      Sligh verabschiedete sich und schlenderte zu der ehemaligen Kneipe Black and White O’Connor, um ein Bier zu trinken. Er traf nur Publikum, das ihm unverdächtig schien, doch beschäftigte ihn die Vorstellung, dass von dieser Gastwirtschaft aus Rauschgiftschmuggel für oder zumindest über New City betrieben worden war, stärker, als er sich selbst eingestehen wollte.

      Die Augen waren wieder da, groß, dunkel, wie sie Roger Sligh in Urwäldern, Dschungeln, Malariagebieten schon gesehen hatte – tiefer, mit einem schwerer fassbaren Licht, als Roger Sligh sie je gesehen zu haben glaubte.

      Er fuhr nach Hause, gab sich eine Spritze und verfiel in einen Betäubungsschlaf. In der folgenden Nacht schlief er spät ein und wurde gegen Morgen von Angstträumen verfolgt. Da innere Unruhe seinem Charakter, seiner Lebensauffassung und seinen Lebensansprüchen zuwiderlief, geriet Sligh von neuem in jene Mischung von Zynismus, Angst, Spleen und Übellaunigkeit, die er bei seiner Übersiedlung in die Einsamkeit der Prärie hatte hinter sich lassen wollen. Er wurde nur äußerlich und nur mit mehr Spritzen, als er selbst für gut hielt, darüber Herr. In seinem Gemütszustand machte sich ein neues Moment geltend. Vor seiner Begegnung mit dem merkwürdigen Patienten Joe King hatte seine Furcht nur Anonymes und Abstraktes als Anlass und Gegenstand gehabt. Jetzt klammerte sich seine aufgerührte Phantasie an einen Menschen, den er gesehen hatte. Seine Vorstellungen konnten etwas packen. Er hatte endlich einen Gegner von Fleisch und Blut. War ihm zuvor zumute gewesen wie in dem Texas-Duell seines sagenumwobenen Vorfahren, der im Dunkel auf einen nicht erkennbaren Feind hatte schießen müssen, so wühlte er nun in sich selbst den Hass von Mann zu Mann, Auge in Auge auf. Mit Wollust stürzte er sich in die Möglichkeit, den andern auf persönliche Weise zu verfluchen. Die Feindschaft bekam Hand und Fuß. Ein Sendbote des gespenstischen Feindes war unter Menschen aufgetaucht.

      Die Lage war primitiver, einfacher, natürlicher geworden. Bis auf diese Augen.

      Roger Sligh, M. D., segnete bei alldem seinen Entschluss, kraft dessen er den Patienten J. King in andere Hände abgeschoben hatte. Er konnte nicht in die Versuchung kommen, irgendeine ärztliche Pflicht zu versäumen. Aber er spielte Schach mit dem Gedanken, wie er Joe King zum Reden bringen könnte. Er sah ihn jeden Morgen und jeden Abend vor sich, obgleich er niemals mehr zu jener Klinik fuhr.

      Roger Sligh verurteilte sich selbst, wenn er an die Stunden dachte, in denen er einmal verführt worden war, im eigenen Land etwas ganz Unpassendes zu tun. Er hätte diesen anderen Roger Sligh, den es auch gab und der plötzlich das Haupt erhoben hatte, hassen können. Doch wollte er ihn vergessen. Und er hasste nicht sein anderes Ich, er hasste den anderen, das Du, den Mann aus Fleisch und Blut, der ihn an sein zweites Ich erinnert hatte. Er musste es kennen. Woher? Wilde verschmolzen zwei Menschen in sich in eins, zwei Nervensysteme, das bewusst und das nicht bewusst reagierende. Roger Sligh aber blieb gespalten. Die offene Wunde in ihm stank Träume.

      »Passen Sie auf sich auf, Sligh«, erlaubte sich der Verwaltungsdirektor eines Tages beim Whisky zu sagen. »Sonst bekommen Sie noch einen Koller.«

      Sligh schaute aus dem Fenster. Schnee bedeckte unübersehbares Land, weit, weiß, kalt. Die Straßen waren schwer passierbar. Das Häuflein Beamte und Ärzte, das in der Öde zu hausen hatte, rückte zusammen.

      Walker vermittelte Sligh eine Einladung zu dem Oberarzt der Fürsorge- und Säuglingsstation. Eine zwanglose Geselligkeit, deren Mittelpunkt früher Piter Eivie gewesen war, begann sich dort wieder einzuspielen. Sligh hatte den Oberarzt Roger Barn, der den gleichen Vornamen wie er selbst trug, bisher gemieden, eine Haltung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber da Walker einen größeren Kreis zugesagt hatte, entschloss sich Sligh, nicht etwa Einsiedelei zu demonstrieren, sondern die Einladung anzunehmen.

      Die Reifen drückten Spuren in den Schnee. Es herrschte klirrende Kälte. Das Haus von Roger Barn wurde jedoch gut geheizt. Die Konstruktion der hölzernen einstöckigen Beamten- und Arzthäuser war in allem prinzipiell die gleiche, der Unterschied lag nur in einem Zimmer mehr oder weniger. Wer das Haus des anderen betrat, konnte sich, was Räumlichkeiten und ihre Anordnung anbetraf, immer wie bei sich selbst und ganz zu Hause fühlen. Die Inneneinrichtung bei Barn trug dennoch eine besondere Note, da er Navajo-Wolldecken und Hopi-Maskenpuppen gesammelt hatte. Die Farbenpracht, die sich über Couch und Sessel breitete, an den Wänden aufleuchtete, die fremdartigen Puppen, in denen Hopi-Hände mit ehrfürchtigem Bedacht den Glauben an die Vorfahren und den Glauben der Vorfahren Gestalt und Farbe hatten werden lassen und mit denen sie das Unwissen der weißen Männer ansprangen, ließen jeden Besucher sofort außer sich selbst und in ein fremdes Reich geraten. An einer gegen das Erdrückende der Farben und der Puppen abgeschirmten Wand hing eine Kohlezeichnung für sich allein, überhaupt als einzige ihrer Art in diesen Räumen. Sligh interessierte sich für diese Zeichnung, weil er den Indianerfarben und -masken den Rücken kehren wollte. Das Bild stellte das sehr zarte Antlitz eines Kindes, eines Mädchens, dar; der Ausdruck war schwermütig, abgewandt, ohne altklug zu wirken.

      Sligh dachte sofort an Psychiatrie und wollte den Namen des Künstlers lesen. Er fand nur ein »Qu. K.« und erfuhr von Barn, dass es sich um eine Arbeitsskizze handelte. Das endgültige Bild war, in Öl ausgeführt, ausgestellt worden und unverkäuflich.

      »Und wer ist ›Qu. K.‹?«

      »Queenie King, die begabte Malerin unserer Reservation.«

      Sligh fühlte sich durch diesen Namen verfolgt, wollte das vor sich selbst jedoch nicht zugeben.

      »Queenie King? Doppelte Königin?«

      »In jeder Beziehung, Doc!« Das sagte nicht Barn. Die Worte waren aus dem Klubsessel in der Ecke gekommen, in der Kate Carson, Dezernentin für das Wohlfahrtswesen, saß, eine füllige Vierzigerin, gepudert, nicht ohne Charme. Sligh, dessen gesamte Gefühlsstruktur in Bezug auf Frauen von neuem in Verwirrung geraten war, seit er die immer wieder verschneite, von Stürmen bedrohte Straße nach New City zu fahren sich scheute, ließ sich auf einem freien Stuhl neben Witwe Carson nieder und begann zu rauchen.

      »Vielleicht wird das Ölbild auch noch verkäuflich«, bemerkte die zufriedene Witwe.

      Es gab ein solides Büfett, ohne Phantasie zurechtgemacht. Barn holte für Mrs Carson, was diese sich seiner ärztlichen