Liselotte Welskopf-Henrich

Stein mit Hörnern


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der Gesprächsthemen war begrenzt. Dienstliches wurde nicht berührt. Eve Bilkins, Dezernentin für das Schulwesen, wollte sich einen neuen Wagen kaufen. Kate Carson hatte die jüngste Nummer einer Illustrierten im Hause Barn entdeckt. Mr Brown, Nachfolger des Dezernenten für Ökonomie Haverman, schaltete den Fernsehapparat an und verfolgte Eishockey.

      Sligh holte Whisky für sich und Mrs Carson. Er fühlte sich bei dieser rundlichen, jedoch weder unschön noch dumm erscheinenden Person geborgen. Aus den vorsichtig geführten Unterhaltungen mit ihr und mit Walker erfuhr er, dass Kate Carson schon lange verwitwet, meist guter Laune, aber zurzeit eines geeigneten Gegenstandes ihrer unaufdringlichen, für sie selbst lebensnotwendigen privaten Fürsorge beraubt sei. Sie hatte ihren Kollegen-Gefährten Haverman, der versetzt worden war, verloren.

      »Passen Sie auf, Doc, es wird sich noch mehr tun. Die Figur rückt an den Steinen …«

      »Wen meinen Sie, Mrs Carson? Sidney Bighorn?«

      »Sie sind durch Walker schon orientiert. Ja. Walker ist immer gut unterrichtet.«

      Sligh empfing einen Stich. Walker, der immer gut unterrichtet war, wusste ohne Zweifel auch von dem Zettel mit der Adresse Roger Slighs in der Hand oder richtiger im Magen eines … nun, eines Patienten. Bighorn war in der Distriktverwaltung angestellt. Es kostete ihn nicht mehr als ein Flüstern, um Entscheidungen zu lenken.

      Sligh trank einige Gläser Whisky mehr, als er beabsichtigt hatte. Alles in allem schien ihm der Gewinn der Nachmittagsstunden und des frühen Abends gering. Vielleicht war er selbst es, der die Unterhaltung und eine Vertrautheit, die zwischen den andern bestehen mochte, störte. Auch Mrs Carson wischte mit ihren Bemerkungen immer nur den Staub auf der Oberfläche hin und her. Doch glaubte Sligh, aus ihrem Geruch ihr Wohlwollen für seine Person zu spüren. Roger Sligh, M. D., verschrieb sich Kate Carson als Medizin, um von der wachsenden Zahl der Spritzen loszukommen. Das Heilmittel war zunächst äußerlich anzuwenden.

      Es wirkte, wenn auch nur bis knapp unter die Haut. Je länger sich die Frist aber hinzog, in der Sligh weder von Briefen noch von sonstigen erinnernden Drohungen gestört wurde, desto fester verkapselten sich in ihm alle unangenehmen Vorstellungen. Die Wellen von Angst und Hass liefen seicht und sanft aus am sandigen Strand täglicher Pflichten und Gewohnheiten. Um Roger Sligh, M. D., bildete sich wieder eine Atmosphäre der Gleichmäßigkeit und der Anerkennung. Auch diejenigen, die den Abschied von Piter Eivie lebhaft bedauert hatten, gewöhnten sich an Sligh wie an alles erträgliche Unvermeidliche. Dem Präriewinter blieb, wie einem Winter im allgemeinen, nichts anderes übrig, als allmählich einem wenn auch in diesem Falle sehr kargen Frühling zu weichen. Roger Sligh konnte wieder gefahrlos nach New City fahren und dort jenen Teil seiner Beziehungen zur Frau absolvieren, die aus den Verbindungen zu einer Kollegin ausgeschaltet blieben.

      Sligh ging in diesen Monaten mit dem Gedanken um, mit etwa zweiundvierzig Jahren die Reservation als ein berühmt gewordener Chirurg wieder verlassen zu können. Das Zukunftsbild begann sich nicht nur als Möglichkeit, sondern als eine schon gewisse Wirklichkeit seiner Stimmung einzuverleiben. Es fügte sich in seinen Charakter, seine Lebensauffassung und seine Lebensansprüche auf das beste und durchaus fugenlos ein. Einer, der mit seinen Augen oder mit einem unvorhergesehenen Verlauf seines sehr langwierigen Heilungsprozesses die Gewissheit zur Ungewissheit hätte machen können, befand sich fern von Sligh in bestmöglicher und sicherer Obhut.

      Von den höheren Angestellten auf der Reservation als »Figur im Hintergrund« beobachtet und beargwöhnt, nicht unerfahren, aber auch noch nicht routiniert, lag der dreiundzwanzigjährige Sidney Bighorn auf der Lauer inmitten von Zuständigkeiten, Plänen, Chancen und Hemmnissen der Verwaltungspraxis wie ein junger Jäger im Gebüsch, ungewiss, wann und wie das Wild sich zeigen und er zum Schuss kommen werde.

      Wenn Sidney in jenen Vorfrühlingstagen des Morgens erwachte, genoss er die grundsätzliche Gewissheit, dass er in Zukunft zu einer angenehmen Karriere bestimmt sei, und dies dank seiner eigenen Fähigkeiten. Er verurteilte selbst gewisse Fehler, die er gemacht und deren Folgen seinen geradlinig angesetzten Aufstieg unterbrochen hatten. Doch sah er ihre Auswirkung im Schwinden und war überzeugt, dass sie in wenigen Jahren völlig verschwunden sein würde, wenn es ihm gelang, seinen Gegner Joe King von der Bildfläche zu löschen.

      Das Zimmer, das Sidney in der mittelgroßen Stadt bewohnte, war teuer, jedoch nicht teurer als solchem Wohnraum zukam. Es war heller, größer, besser ausgestattet als die Kammer, die er einst auf der Reservation im Hause seines Verwandten, des Chief President Jimmy White Horse, innegehabt hatte. Die Zimmerwirtin hatte Sidney, einen Indianer, ohne Wimpernzucken aufgenommen. Er schmeichelte sich, dass sein ordentliches und stattliches Aussehen und, seine Eigenschaft als Beamter der Distriktverwaltung für Reservationen dazu beigetragen hatten, jedem möglichen Ausdruck von Rassismus von vornherein den Boden zu entziehen.

      Sidney stand immer pünktlich auf, nahm sein Frühstück mit Bedacht ein und ließ das Zimmer in peinlicher Ordnung zurück. Er pflegte sich kurz vor Dienstbeginn an seinem Arbeitsplatz einzufinden, nie zu spät, auch nicht so früh, dass er gegenüber den anderen Beamten und Angestellten hätte auffallen können. Was ihm aufgetragen wurde, führte er aus, und es lag nichts auf oder in seinem Schreibtisch, was nicht erledigt oder in Bearbeitung war. Er erschien seinen Vorgesetzten als jener gute, zuverlässige Durchschnitt, der in kommenden Jahrzehnten durch Computer ersetzt werden konnte.

      Die Hast, mit der manche Beamte sich auf noch unerledigte Vorgänge stürzten, ehe sie eine Reise antraten, musste Sidney seiner gesamten Arbeitsweise nach fern liegen. Er kam am Tage vor seiner Dienstreise, die ihn in die heimatliche Reservation führen sollte, kurz vor acht Uhr in das Büro, wie immer pünktlich, aber nicht zu pünktlich, und er verließ das Büro um vier Uhr, unter dem Arm die Aktentasche mit einer Reihe von Schreiben und Unterlagen. Er hatte die für das Schulwesen verantwortliche Schulrätin auf ihrer Inspektion zu begleiten und zugleich eigene Funktionen wahrzunehmen, speziell auf den Gebieten der Ökonomie und des Kriminalwesens. Um sieben Uhr früh sollte die Fahrt beginnen.

      Sidney hielt den Dienstwagen 6 Uhr 55 bereit. Die Schulrätin war groß und mager, scharfgesichtig und misstrauisch. Sie nahm auf einem Rücksitz Platz, hängte ihren Mantel in einer Cellophanhülle an den Haken zwischen den Fenstern und beobachtete, ob Sidney nicht vergaß, den Türverschluss zu sichern. Auf seine eigene Sicherheit bedacht und des prüfenden Blicks aus dem Rücksitz stets eingedenk, fuhr Sidney überlegt und vorsichtig.

      Beim Mittagessen in einem Selbstbedienungsrestaurant verhielt er sich gemäßigt höflich und ließ sich den Appetit nicht verderben. Abends fuhr er zu genau berechneter Zeit vor einem Motel am Rande der Reservation vor, bezog sein Einzelzimmer und aß allein in der billigeren der beiden gegenüberliegenden Gaststätten.

      Am folgenden Morgen erreichten die beiden verschiedenartigen Inspizienten mit dem Wagen die Agentursiedlung.

      Mr Nick Shaw, stellvertretender Superintendent und zurzeit kommissarischer Superintendent, da Hawley noch immer nicht ersetzt war, empfing die beiden als erste Besucher. Mrs Hamilton und ihr Scharfblick mussten einem in seiner Tätigkeit zu kontrollierenden Beamten von Natur unangenehm sein. Sidney horchte auf jeden richtigen und jeden falschen Ton im Gespräch zwischen Shaw und der Schulrätin; er hörte mehr falsche als richtige Töne und wählte demgemäß seine eigene Taktik. Als sein Entschluss so weit gediehen und innerlich bestätigt war, hörte Bighorn nur noch mit halbem Ohr zu und überlegte schon die Route, die er auf der Reservation einschlagen würde. Vor allem wollte er sich einen eigenen Wagen verschaffen; es beliebte ihm nicht, mit der Schulrätin noch länger gekoppelt zu sein. Sein Vorstoß in dieser Richtung gelang sogleich. Ein Dienstwagen war frei.

      Sidney genoss die Tatsache, dass er in der Agentursiedlung von diesem und jenem gesehen wurde. Er ging nicht, sondern er fuhr wie ein echter Amerikaner vom Bürohaus der Superintendentur zu dem nächsten Haus, dem der Dezernenten, und begab sich zu gleicher Zeit wie Mrs Hamilton, aber aus einem anderen Wagen aussteigend, in das einstöckige Holzgebäude, in dem die Schulrätin ihrem Ressort gemäß Miss Bilkins, Schulwesen, Sidney Bighorn aber als Vertreter des Dezernates Ökonomie Mr Brown aufsuchte.

      Mr Brown schien sich