Schulranch. Aber jetzt war sein Einfluss unterbrochen.
Sidney Bighorn konnte sich ohne Bedenken und Befürchtungen in die einsame Gegend hineinwagen. Er fuhr mit der üblichen Geschwindigkeit von sechzig Meilen in der Stunde aus der Agentursiedlung hinaus in die Prärie. Die öde Weite, ferne steile Hänge, das erste Grün auf den von der Sonne ausgedörrten, vom Schnee zerdrückten, schon wieder nach Wasser schmachtenden Wiesen beschäftigten Sidney nicht. Er musste sich schlüssig werden, wo er zuerst Station machte.
Er rechnete – Meilen, Zeit, bekannte Gewohnheiten der Schulrätin Mrs Hamilton –, er überschlug seine eigenen Fähigkeiten, einen Wagen auf schlechter Straße schnell zu fahren, und bog an der nächsten Kreuzung aus der zuerst eingeschlagenen Richtung ab, um noch vor einem Besuch der Schulranch, deren Besichtigung ihm aufgetragen worden war, seinen Vater aufzusuchen.
Sidney hatte wie jeder Prärie-Indianer früh lernen müssen, auf unbefestigten, von Fahrrinnen tief durchfurchten Wegen voranzukommen. Er besaß das natürliche Maß allgemeiner Fähigkeiten in dieser Beziehung und kam nach einer halben Stunde zu dem für sich allein gelegenen kleinen Holzhaus des Vaters. Schon im Heranfahren erkannte er zwei seiner neun Geschwister, einen Jungen von fünf und ein Mädchen von vier Jahren, die dem Dienstauto entgegensahen. Schulpflichtige Geschwister konnten jetzt nicht zu Hause sein. Von den bereits schulentlassenen sah er nur einen, seinen Bruder Tom, der arbeitslos herumstand. Sidney selbst musste längst erkannt worden sein.
Aus der Tür des Hauses trat der Vater, unter den Schultern die Krücken. Er war Kriegsinvalide.
Sidney ließ den Wagen ohne Bedenken auf dem Weg stehen. In diese Gegend kam vielleicht alle paar Monate einmal ein Auto und das parkende störte niemanden.
Der Vater beantwortete Sidneys Gruß, ohne Überraschung, Freude oder Respekt angesichts des Dienstwagens zu zeigen, und ging mit dem Sohn in das Haus. In dem ersten kahlen Raum standen ein Tisch und wenige abgenutzte Sitzgelegenheiten. Der Vater setzte sich, und so nahm auch Sidney Platz.
»Ja, nun bist du also wieder einmal hier.«
Es hätte sich für Sidney nicht geziemt, nach dieser Feststellung des Vaters gleich in neugierige Fragen auszubrechen. Er war es aber seiner amtlichen Eigenschaft schuldig, die Gründe seines Auftauchens zu erklären, und er bat den Vater daher um die Erlaubnis zu sprechen.
Patrick Bighorn erteilte sie.
»Es war nicht meine Absicht, Vater, euch zu besuchen, denn ich bin von der Distriktverwaltung beauftragt, Ökonomie und Kriminalität auf der Reservation zu überprüfen. Da ich auf dem Weg zur Schulranch zufällig hier vorbeikomme«– Sidney senkte bei dieser Unwahrheit die Augen –»und dich antreffe, ist meine Freude groß.«
»So auch meine Freude, Sohn, dich als Beamten zu sehen.«
Die Mutter kam herein und brachte etwas zu essen. Es war noch nicht Mittagszeit, und sie brachte Essen nur für Vater und Sohn. Es hätte sich für sie nicht gehört, sich dazuzusetzen.
Während des kleinen Imbisses sprachen Vater und Sohn nicht miteinander. Erst als die Mutter wieder abgeräumt hatte, berichtete der Vater dem Sohn, was diesem das Wichtigste zu sein schien. »Die Schulranch, sagst du, Sohn, die Schulranch. Es wird wohl alles drunter und drüber gehen, da Joe King nicht wiederkommt.«
Sidney richtete sich innerlich auf wie ein Halm, wenn der Sturzregen, der ihn gebeugt hat, plötzlich aufhört und nur noch die erquickende Feuchtigkeit übrigbleibt.
»Was sagst du da, Vater? Überhaupt nicht wiederkommt?«
»Nein, Sohn, er ist ein Krüppel geworden und liegt noch immer in der Klinik. King kommt nicht wieder, und die Schulranch muss weg. King ist ein Kojote und der Sohn eines Kojoten; er hat dich, meinen Sohn Sidney, verleumdet. Er hat unseren Häuptling Jimmy White Horse einen Säufer genannt. Er kommt nicht wieder. So steht es. Er ist ein Krüppel, aber nicht vom Krieg wie ich.«
»Wie ist er zum Krüppel geworden, Vater?«
»Hast du schon je gewusst, was mit Joe King geschehen ist? Er geht in die Nacht hinein, und aus der Dunkelheit kommt er wieder, und niemand weiß, was geschehen ist. Aber seine Pistolen sind immer geladen.«
Sidney dachte nach und kombinierte.
»Was wird aus der Schulranch, Vater?«
»Sohn, ist es nicht eine Schande, dass sie Jungen und Mädchen auf die fruchtbaren feuchten Wiesen setzen, und ich, ein Kriegsinvalide, mit meinen zehn Kindern und der Frau, ich sitze auf dürrem Land und kann mir nicht Vieh halten, um alle satt zu machen? Joe King und Mary Booth, seine Hure, haben auch dafür gesorgt, dass der Stammesrat die Pachtgelder der weißen Rancher nicht mehr verteilt. Sie stecken sie in die Schulranch, damit dein alter Vater, Sidney, und deine Mutter und deine Brüder und Schwestern noch mehr hungern müssen. So steht es.«
»Es ist eine Schande, Vater.«
»Ja, das ist es.«
Sidney verabschiedete sich und fuhr eilends den schlechten Weg zurück bis zu der nächsten Straße, hieß den bescheidenen Dienstwagen sich anstrengen und kam am frühen Nachmittag in das Tal der weißen Felsen, in dem die King-Ranch, die Booth-Ranch und die Schulranch zu finden waren.
Er trachtete, zuerst Mary Booth aufzusuchen, doch fand er sie nicht zu Hause. Ein kleiner Junge, der zwischen den Pferden gespielt hatte, musterte Sidney Bighorn feindselig und gab kurz die Auskunft, dass Mary zum Stammesrat in die Agentursiedlung gefahren sei. Mit dem letzten Wort lief er auch schon weg. Im Hause schrie ein Säugling. Vielleicht musste der kleine Junge das Kindermädchen spielen. Er verschwand jedenfalls im Haus. Sidney schaute ringsum. Er befand sich im Zentrum einer Ranch, auf der mit Erfolg gearbeitet wurde. Die Schweine schnüffelten im Auslauf, ein paar Büffel weideten in der Entfernung zu Füßen der weißen Felsen. Kartoffel- und Getreidefeld waren zur Bestellung vorbereitet. Es ließ sich hier nichts herausfinden, was Sidneys Zwecken dienlich sein konnte. Er fuhr auf der Straße ein Stück zurück und lenkte seinen Wagen den Feldweg auf der anderen Talseite hinauf in das Gelände der King-Ranch, der die Schulranch benachbart lag. Das Frühlingsgras war hier frischer und kräftiger grün als anderswo, denn von der Höhe sickerte das Wasser des Brunnens, den Joe King sich hatte einrichten lassen. Die Sorte des Grases war besser, und Hecken schützten gegen den Wind. In den Boxen und im Korral rührten sich die Pferde, kräftige, elastische Tiere, eine Zucht der wertvollen bucking horses.
Zwei Häuser standen am Hang, die alte Blockhütte, welche die Kings schon seit der Einrichtung der Reservation bewohnten, und ein neues Holzhaus, wie es die Wohlfahrts- und Wohnungsverwaltung der Reservation zahlreicher werdenden Familien kostenlos zur Verfügung zu stellen pflegte. Die Häuser waren beide geschlossen, und rings ließ sich kein Mensch sehen. Wiesen und Felder lagen wie ausgestorben. Auch auf der Schulranch war keine Menschenseele zu entdecken. Es schien hier niemanden zu geben, der Sidney Bighorn zu empfangen die Absicht hatte. Man hätte ihn ohne Mühe schon von weither kommen sehen können. Die Häuser lagen am Hang und gaben Überblick über das ganze Tal.
Sidney konnte sich mit Pferden und Hunden unterhalten, wenn es ihn danach gelüstete. Es gelüstete ihn nicht danach. Wenn er auf der Agentur bei Mr Brown meldete, dass er niemanden angetroffen habe, weder auf der Booth- noch auf der King- noch auf der Schulranch, konnte dies bei dem Dezernenten nur den erwünschten schlechten Eindruck hervorrufen und Mr Brown in der Meinung bestätigen, dass der Schulranch nicht mehr genügend Aufmerksamkeit gewidmet werde.
Sidney wollte sich schon zu seinem Wagen zurückziehen, als er noch eine unerwartete Begegnung hatte. Über dem Hügelkamm tauchte ein Reiter auf, Reiter sattellos, barfuß, nur mit einer Hose bekleidet. Es war ein Indianer, ein junger Bursche, ein kräftig gebauter Bursche. Der Indian-Cowboy lenkte sein Tier den Hang hinab, und da er Sidneys ansichtig geworden war, lenkte er geradewegs auf diesen zu.
»Hallo!«
»Hallo!«
Der Reiter hielt, stieg aber nicht ab, sondern schaute vom Pferd auf Sidney hinunter.
»Was willst denn du hier?« fragte er in der Stammessprache.
Sidney stellte die Gegenfrage auf