Robert Lever

Die Kunst und Philosophie der Osteopathie


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einer Serie von Überweisungen, was an sich bereits destabilisierend ist (besonders wenn Trennung oder emotionale Zurückweisung in der Geschichte des Patienten eine Rolle spielt).

      Die osteopathischen Prinzipien und ihr darauf beruhendes Modell bleiben der Schlüssel, denn nur mit ihm können wir darauf hoffen, einen Zugang und Stimulus zur Konstitution des Patienten zu erlangen, die inneren Ressourcen eines jeden Individuums hervorzulocken und zu verbessern und ihr Potential und ihre Möglichkeiten in der Wiedergewinnung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu unterstützen.

      FIGUR 1: OSTEOPATHISCHES SCHEMA

      Als Lehrer war ich immer ein Anhänger von Aufsätzen im Examen, und auch während des Aufstiegs des Multiple-Choice-Wahns hielt ich weiterhin an der Aufsatzform meiner Prüfungen fest. Ich hatte das Gefühl, dass Aufsätze die Gedankenprozesse der Studenten besser widerspiegelten, da sie bei dieser Prüfungsform einzelne Aspekte miteinander verbinden mussten, wohingegen Multiple Choice diese einfach vorgibt. Ich stellte also bisweilen sehr wortreiche Fragen und trieb meinen Schabernack mit den Studenten, z. B. wenn ich zu ihnen sagte, dass sie lediglich die Wörter neu arrangieren müssten und vielleicht käme so die richtige Antwort dabei heraus.

      Ein sehr provokativ ausgedrücktes Beispiel bestand in der Verwendung von Stills Aussage: „Osteopathie ist das Gesetz von Mentalem, Materie und Bewegung.“ Die Aufgabe lautete: „Stelle dar, warum wir uns so viele Gedanken über die Bedeutung von Bewegung machen?“73,74 Natürlich war ich interessiert an der Interpretation der Studenten bezüglich der Bedeutung der Bewegung im osteopathischen Kontext. Auch wenn einige von ihnen hervorragende Antworten zu Papier brachten, möchte ich im Folgenden meinen eigenen Versuch unternehmen, die Frage zu beantworten:

      Es ist wohl richtig zu sagen, dass selbst in der turbulenten Welt der Osteopathie, einer Welt geplagt von Mutmaßungen, Debatten und, seien wir ehrlich, Meinungsverschiedenheiten, immer noch ein Gebiet existiert, in dem wir uns alle einig sind: der wie auch immer gearteten Bedeutung von Mobilität. Und auch wenn es abgedroschen klingen mag, es geht um Mobilität in einer Art, seine Qualität, Ausmaß, Verbreitung, gemeinsam mit unterschiedlichen häufig subtilen Formen der Gewebebeschaffenheit und des physiologischen Ausdrucks, die uns die essenziellen diagnostischen Indikatoren in unserer Praxis liefern.

      Nun, diese Idee ist nicht gerade revolutionär. Wissenschaftler, von Zellbiologen bis hin zu Nuklearwissenschaftlern, wissen alle um die Bedeutung der Bewegung. Im Reich der Biowissenschaften jedoch wird Bewegung als Grundvoraussetzung für Leben gesehen. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Lebens, da es letztlich die Bewegung unterschiedlichster Proteine ist, die daran teilhaben, Leben hervorzubringen und zu erhalten – mit all ihren lebenserhaltenden Funktionen. Durch Bewegung bringen lebendige Dinge Leben zum Ausdruck. Und durch eine spezialisierte Form viszeraler Bewegung ist unsere Physiologie in der Lage uns zu versorgen, so dass wir fortfahren können Leben auszudrücken.

      Ich denke man kann sagen, dass die unterschiedlichen Arten, in denen das osteopathische Konzept interpretiert wurde und zu einer Vielzahl von Auseinandersetzungen führte, zum einen Teil daraus resultiert, dass die verschiedensten Bewegungsqualitäten als bedeutsam, palpierbar und zugänglich betrachtet wurden. Im Folgenden schauen wir uns daher einmal jene Arten von Bewegung an, die von Osteopathen in Betracht gezogen werden.

      Der Physiologe Irvin Korr, der Jahrzehnte der Forschung der Erkundung der Grundlagen der Osteopathie widmete, war in seinen vielen erleuchtenden Schriften bezüglich dieses Themas von bemerkenswerter Deutlichkeit. Er sprach von der Bedeutung der Körperstruktur – dem muskuloskelettalem System – als die primäre Lebensmaschine, durch die das Leben gelebt oder ausgedrückt würde.76 In diesem Sinne stärkte er die vorrangige Stellung der Körperstruktur und seine klinische Bedeutung für Osteopathen (und andere in ähnlichen Gebieten arbeitende Therapeuten, wie etwa Chiropraktiker etc.). Wie vorher schon beschrieben, ist das muskuloskelettale System der größte Energieverbraucher im Körper. Daher und weil es sich in permanentem Zusammenspiel mit dem gesamten Metabolismus innerhalb des Organismus befindet, kann man es nicht isoliert betrachten.

      Nun beginnt es osteopathisch zu werden, denn wir werfen einen Blick darauf, warum die Qualität der Bewegung innerhalb des Körpers – bleiben wir momentan ruhig einmal beim muskuloskelettalem System – einen Einfluss auf irgendetwas haben sollte. Ganz unverblümt, warum sind Osteopathen der Meinung, sie könnten irgendetwas Sinnvolles im klinischen Gebiet ausrichten, allein dadurch, dass sie eine gute, ausgeglichene Bewegung der Körperstrukturen wiederherstellen? Mit anderen Worten, warum sind Struktur und Funktion für einander innerhalb des Organismus so wichtig?

      Für mich ist es unvorstellbar, dass jemand da anderer Meinung sein sollte, aber das liegt vielleicht daran, dass ich schon so viele Jahre mit der Osteopathie vertraut bin. Wenn die Art und Weise, wie sich der Körper bewegt – von seiner zellulären Oszillation bis hin zu seiner Fähigkeit große Bewegungen auszuführen –, ohne bedeutenden Einfluss auf die gesamte Physiologie wäre, hielte ich das wohl für äußerst sonderbar.

      Bleiben wir rein muskuloskelettal, ohne zu sehr ins Detail zu gehen: gut abgestimmte, integrierte und relativ anomale Bewegungen der Wirbelsäule und der restlichen Strukturen reflektieren und beeinflussen viele vitale Prozesse. Dazu gehören der Kreislauf, neurale Reflexe und fluktuierende Flüssigkeitsdynamiken, die so wichtig für die Gewebs- und Zellgesundheit sind, bis hin zu den Feinheiten der bioelektrischen Signale, die vom Bindegewebe in die Zelle ausgehen via der Zellmembran und ihren transmembranösen Proteinen.

      Im ersten Kapitel haben wir uns einige von Osteopathen unterstützte Konzepte bezüglich des Struktur-Funktions-Dialogs angesehen. Warum, trotz des geringeren Wissens im Vergleich zu heute, haben Osteopathen erfolgreich Funktion (Physiologie) mittels Struktur behandelt, während zugleich Struktur durch Struktur behandelt wurde? Letzteres passt dabei wesentlich besser zum stereotypen Bild des Osteopathen, und selbst Skeptikern fällt es geringfügig leichter, ihnen dies zuzugestehen (d. h. den Bereich der Rücken-, Nacken- und Extremitätenschmerzen etc.)

      Aber nun sehen wir uns die unterschiedlichen Aspekte von Bewegung, zu denen wir Zugang haben und die wir in der Praxis beurteilen, einmal etwas genauer an. Wie wir sehen werden, ist es die Integration der Bewegung, die den Mechanismus von Gesundheit reflektiert bzw. unterhält und weniger die lokalen und diskreten Bewegungen in bestimmten Gebieten. Oder holistisch betrachtet, jedes begrenzte Gebiet einer dysfunktionalen Beweglichkeit ist beides: eine Spiegelung der Bewegungsmuster des Körpers als Ganzem und zugleich die eigene Widerspiegelung in selbigem. Relative Bewegung ist der Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung von Beweglichkeit für die Gesundheit des Organismus. Ohne diese Betrachtungsweise reduzieren wir uns auf eine eher lineare Sicht und somit auf einen limitierten therapeutischen Einfluss.

      Anomale strukturelle Funktion wird somit im Großen wie im Kleinen durch ein verändertes Bewegungsmuster ausgedrückt. Traditionellerweise wurden solche Phänomene osteopathische Läsion genannt. Und da das Wort Läsion eine gewisse Assoziation zur herkömmlichen Medizin hat, wurde der Ausdruck weitestgehend durch den etwas sperrigen Begriff somatische Dysfunktion ersetzt. (Einige von uns bevorzugen noch immer die alte Terminologie.)

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