Marcel Zischg

Der verlassene Rummelplatz


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verstehe das nicht. Lassen Sie mich bitte raus, Herr G.«

      »Stefan …«

      Herr G. setzte sich auf das Sofa vor den Käfig. Er blickte Stefan ruhig und fest an.

      »Ich war auch mal so alt wie du. Du bist ein so schöner Junge, Stefan. Ich würde alles dafür geben, wieder so jung zu sein wie du.«

      »Herr G.«, meinte Stefan lächelnd, »Sie können nicht wieder jünger werden. Das geht gar nicht. Das kann niemand.«

      »Vielleicht. Aber ich kann die Jugend einfangen.«

      »Einfangen? Ist der Käfig dann dafür, Herr G.?«

      »Nein, eigentlich nicht«, gab Herr G. zu, »für etwas anderes. Warte. Warte.«

      Er zog ein Foto aus der Hemdtasche und sah lange darauf, wobei sein Blick sich zu verändern schien. Schließlich schob er Stefan das Foto durch die Gitterstäbe zu. Stefan nahm es und sah es an. Es war ein altes Schwarzweißbild. Zwei Schuljungen waren darauf zu sehen, die einander die Arme auf die Schultern legten. Einer der Jungen sah Stefan ähnlich, der andere mochte Herr G. als Junge gewesen sein. Stefan nickte und schob es Herrn G. wieder zurück durch die Gitterstäbe.

      »Danke«, sagte Herr G., ergriff das Foto ungeschickt und ließ es zu Boden fallen, dabei wischte er sich etwas aus dem Augenwinkel. Schließlich bückte er sich und hob es wieder auf.

      »Es ist ein altes Foto, aus einer vergangenen Zeit«, erklärte er. »Alte Freunde – mehr nicht.«

      »Das glaube ich nicht, Herr G.«

      »Egal. Ganz egal. Stefan, versprich mir, dass der Käfig unser Geheimnis bleibt.«

      »Natürlich, Herr G. Wenn Sie das so wollen.«

      Herr G. öffnete die Käfigtür wieder, und Stefan sprang heraus und wollte davonlaufen.

      »Halt, Stefan! Vergiss deine frische Milch nicht!«

      »Papa, Mama, Herr G. hat mich in einen riesigen Käfig gesperrt!«

      Die Eltern lachten, und Stefans Mutter meinte: »Hör auf zu scherzen, Stefan! Herr G. ist ein netter alleinstehender alter Herr. Wo hast du die Milch?«

      »Wirst du bald wieder zu Hause sein?«, fragte die Mutter ihren fünfzehnjährigen Sohn.

      »Ja, Mama!«, versicherte er. »In zwei oder drei Stunden! Ich spaziere nur ein Stück den Berg hinauf.«

      »Pass gut auf dich auf!«

      Er verließ das Haus.

      Sie ging ins Wohnzimmer, legte sich auf die Couch und machte den Fernseher an.

      Plötzlich sah sie ihren Sohn. Auf einem schmalen Pfad spazierte er den Berg hinter ihrem Haus hinauf, zwischen Bäumen und Sträuchern. Sie lächelte.

      Ganz hell, sonnig und warm war es im Wald. Die ersten Frühlingsblumen erblühten. Der Junge genoss den Spaziergang und atmete durch.

      Doch er war ganz allein auf seinem Weg. Er wurde steiler und steiniger, und der Junge musste tiefer und stärker Atem holen. Es fiel ihm schwerer, zu gehen. Er wurde immer langsamer, bis er sich an einen kräftigen Baum stützte, um auszuruhen.

      Hinter dem Baum lauerte ein großer schwarzer Hund.

      Der große schwarze Hund sprang aus dem Fernseher und stand vor der Mutter im Wohnzimmer.

      Die Mutter erwachte vor Schreck. Der Fernseher lief, eine italienische Serie, die sie nicht verstand. Nur ein Traum, dachte die Mutter, Gott sei Dank.

      Es klingelte an der Haustür. Die Mutter öffnete. Draußen stand ihr Sohn.

      »Mama«, sagte er liebevoll, »ich bin auf meinem Weg einem Schäferhund begegnet. Ich möchte ihn gern behalten. Sei doch so lieb und erlaub es!«

      Der Hund stand neben dem Jungen und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.

      »Kommt gar nicht in Frage!«, sagte die Mutter. Der Hund knurrte sie an. Er sah zwar nicht aus wie der große schwarze Hund aus ihrem Traum, aber sie mochte keine Hunde und befahl: »Bring ihn sofort zurück zu seinem Besitzer!« Dann schlug sie ihrem Sohn wütend die Tür vor der Nase zu.

      Am Abend kam der Vater nach Hause und fragte nach dem Sohn.

      »Er ist weggegangen«, erklärte die Mutter und blickte besorgt auf die Wanduhr in der Küche. Drei Stunden waren vergangen, seit der Junge mit dem Schäferhund vor der Tür gestanden hatte. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Die Mutter hatte bereits vergeblich nach ihrem Sohn gesucht.

      »Er ist in den Wald gegangen«, sagte die Mutter dem Vater, »er … er …«

      Endlich klingelte es an der Haustür. Die Mutter ging hin und öffnete.

      Der Junge stand mit einem Rotkehlchen vor der Tür, das neben ihm auf dem Boden herumtanzte.

      »Ich habe jetzt endlich den Besitzer des Schäferhundes gefunden«, sagte er. »Der Hund ist in guten Händen. Und hier ist mir ein Rotkehlchen bis zu dir gefolgt, Mama – einfach so!«

      »Wunderbar!«, rief die Mutter begeistert und umarmte den Sohn. »Komm jetzt!«

      Als der Sohn ins Haus gehen wollte, flog das Rotkehlchen davon.

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