Einschränkungen und Verrenkungen in Kauf zu nehmen. Oftmals lässt sich da kaum noch zwischen Realität und Realsatire unterscheiden. Neben den Bildungsökonomen, die glauben, alles in Zahlen und Kennziffern punktgenau darstellen zu können, treten aber noch diverse andere Köche auf: aus den verschiedenen reformpädagogischen Küchen. Im Zuge des unkontrollierten Reformeifers sehen sie ihre Chance gekommen, um endlich ihre pädagogischen Glaubensvorstellungen realisieren zu können.
Nun wäre dieses Buch immer noch überflüssig, wenn denn die versprochenen Verbesserungen im deutschen Bildungswesen im Laufe der letzten 15 Jahre tatsächlich nachweisbare Bildungserfolgen gezeitigt hätten. Statt dessen kann heute eigentlich niemand mehr ernsthaft bestreiten, dass die von der Politik bejubelte wundersame Vermehrung aller möglichen Bildungsabschlüsse mit immer besseren Noten keinesfalls durch gestiegene Bildungsstandards oder die eingeführte Kompetenzorientierung eingetreten ist, sondern sich vielmehr einer teils drastischen Absenkung der Anforderungen verdankt. Der vorliegende Band legt dazu viele Beispiele vor. Bildungspolitiker und ihre Berater bestreiten dies nach wie vor vehement, auch wenn ihnen die Gefolgschaft nicht nur in der Presse mittlerweile in weiten Teilen abhanden gekommen ist.
Dass das Schulwesen mit dem Hochschulwesen unmittelbar zusammenhängt, müssen die Hochschulen derzeit leidvoll erfahren, die sich noch bis zur Jahrtausendwende gar nicht um Schule gekümmert hatten und jetzt feststellen müssen, dass die von ihnen bisher verlangten Grundlagen der Studierfähigkeit bei immer mehr Studierenden in immer größerem Ausmaß anscheinend abhanden gekommen sind. Die von den Hochschulen neuerdings vehement eingeforderte Kompetenzorientierung mit zumindest teilweisem Verzicht auf grundlegende und vertiefende Wissensbestände lässt nichts Gutes erwarten und könnte insbesondere die Universitäten im internationalen Wettbewerb schwer beschädigen. Auch hier droht Qualität durch Quantität ersetzt zu werden, Hauptsache, die vorgegebenen Kennziffern stimmen.
Das vorliegende Buch »Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen – das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel« ist der erste von insgesamt drei geplanten Bänden, der sich mit den Ursachen dieser Entwicklung befasst, die an Hand zahlreicher Beispiele erläutert wird. Der zweite und der dritte Band werden sich in erster Linie den Neuerungen und Absurditäten an den Hochschulen seit Bologna widmen.
Dieses Buch ist vor allem jenen gewidmet, die nicht auf jeder neuen Reformwelle mitschwimmen, die sich ihren Eigensinn bewahrt haben und sich weigern, den zweifelhaften bildungspolitischen Vorgaben zu folgen. Ihnen gebührt der besondere Dank des Verfassers. Ohne zahlreiche Insider-Informationen aus den Schulaufsichten, den Abteilungen für Qualitätsmanagement und den Ministerien selbst wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Von den mir in Hunderten von E-Mails und persönlichen Briefen mitgeteilten Absurditäten sind zumindest einige in diesen Band eingearbeitet. Es stimmt mehr als traurig, dass Stellungnahmen von Lehrern, Schulleitern, Fachdezernenten und Hochschulprofessoren zu ihnen abwegig erscheinenden Vorkommnissen nur anonym erscheinen können. Die vielen durch ausführliche Recherchen im Buch dargelegten Fakten sollen dem interessierten Leser zu einem eigenen Urteil verhelfen, das durchaus von dem des Autors abweichen darf, ja soll.
Insbesondere möchte ich mich bei den vielen Fachkollegen aus der Mathematik und der »Stoffdidaktik« der Mathematik bedanken, die nunmehr seit einigen Jahren ohne jegliche »Drittmittel« aus innerer Überzeugung die Analysen des fachlichen Schwierigkeitsgrades von Zentralabituraufgaben und neuerdings auch von Lehrplänen unterschiedlicher Bundesländer durchführen.
Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang bei dem Kultus- und Wissenschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, der jeder Anfrage unsererseits nach Überlassung von Zentralabiturarbeiten, Lehrerhandreichungen oder gültigen Lehrplänen zeitnah und unbürokratisch nachgekommen ist. Mein Dank gilt auch Harald Martenstein für die Überlassung seines Artikels »Don’t say it in German. Say it in Broken English« aus seinen pointierten Kolumnen in der Wochenzeitschrift »Die Zeit«. Dank auch meinem Frankfurter Kollegen und Pädagogischen Psychologen Hans-Peter Langfeldt für die Überlassung des Artikels von August Gloi-Hänsle »Was bringt uns der Kompetenzbegriff« zum Abdruck in diesem Band. Dem Autor dieser Zeilen ist kein anderer Artikel zum Thema Kompetenzorientierung bekannt, der das Absurde dieses Begriffes und seiner ubiquitären Anwendung derart pointiert und für jeden nachvollziehbar festhält. Bei Christian Rickens bedanke ich mich, der mir freundlicherweise den Titel zu diesem Buch aus seiner entsprechend lautenden Kolumne im »Manager Magazin« zur Nutzung überlassen hat.
Bei Konrad Liessmann, Andreas Gruschka, Julian Nida-Rümelin, Matthias Burchardt, Jochen Krautz, Ralf Lankau und meinen Kollegen vor allem aus dem Umfeld der Gesellschaft für Bildung und Wissen möchte ich mich an dieser Stelle für die anregenden Gespräche und Hinweise bedanken, von denen zahlreiche in diesem Buch Beachtung gefunden haben.
Last, but not least danke ich meinem langjährigen Weggefährten Gerd Kohler, ohne den die Streifenhörnchen niemals zu einem derartigen Bekanntheitsgrad aufgestiegen wären.
Im August 2016
Hans Peter Klein
Die lustige Welt der Streifenhörnchen
Streifenhörnchen sind vor allem in Nordamerika weit verbreitet. Sie kommen dort in bis zu 25 verschiedenen Arten vor. In den Nationalparks im Osten der USA begegnet man meist dem Streifenbackenhörnchen, während seine nächsten Verwandten vornehmlich den Westen der USA besiedeln. Gemeinsam ist allen eine charakteristische Streifung, von der sie auch ihren Namen haben. Fünf schwarze Streifen verlaufen in Längsrichtung auf grau- bis rotbraunem Untergrund und werden durch weiße oder graue Streifen unterbrochen. Sie gehören zur Familie der Hörnchen und zur Ordnung der Nagetiere und ernähren sich von Früchten, Samen und Nüssen. Die tagaktiven Tiere werden je nach Art bis zu 25 Zentimeter groß, der buschige Schwanz inbegriffen. Obwohl sie gut klettern können, findet man sie meistens am Boden. Sie leben in unterirdischen Bauen und halten in den nördlichen Gebieten der USA Winterruhe, die sie in milderen Gegenden auch unterbrechen können. Streifenhörnchen sind Einzelgänger und kommen nur zur Paarung zusammen. Die kleinen putzigen und flinken Tiere erfreuen sich beim Menschen großer Beliebtheit. In vielen der großen Nationalparks der USA fressen sie Nüsse oder andere Nahrungsmittel aus der Hand der Besucher. Im Amerikanischen heißen sie chipmunks.
In der Filmwelt wurden die beiden von Walt Disney geschaffenen Comic-Streifenhörnchen in dem oscarnominierten Kurzfilm »Chip an’ Dale« bereits Ende der vierziger Jahre weltweit berühmt, als sie sich dort mit keinem Geringeren als Donald Duck anlegten. Ahörnchen (Chip) war der klügere und clevere von beiden, während Behörnchen (Dale) für Aufgedrehtheit und Tollpatschigkeit stand. Später wurden ihnen eigene Serien gewidmet. In Deutschland wurden sie Anfang der neunziger Jahre als Chip und Chap einem breiten Publikum in der US-amerikanischen Trickfilm-Reihe »Chip und Chap – die Ritter des Rechts« bekannt.
Wahrscheinlich aufgrund ihrer Popularität sind sie 2009 sogar in den wissenschaftlichen Olymp einer kompetenzorientierten Zentralabiturarbeit im Leistungskurs Biologie in Nordrhein-Westfalen aufgestiegen. Dies berücksichtigt eine der grundlegenden Forderungen der neuen Bildungskonzepte, nach denen der Unterricht – und in der Folge natürlich auch die Prüfungen – einen Alltagsbezug zum Leben der Schüler1 haben soll und die Inhalte unter Berücksichtigung ihrer Nützlichkeit ausgewählt werden. Man verspricht sich davon höhere Lernerfolge und deren Anwendung im praktischen Leben. Nun haben die meisten Bundesländer erst im Laufe des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends nach und nach Zentralabiturarbeiten eingeführt, die gegenüber den bisherigen dezentralen Verfahren gleich mehrere Vorteile garantieren sollten. Die bis dahin von den Lehrern für ihre Schüler selbst erstellten Aufgaben sollten der Vergangenheit angehören, eine mögliche intensive Vorbereitung der Schüler auf die den Lehrern bekannten Themen sollte unmöglich gemacht werden und eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse aller Abitur vergebenden Schulen garantiert sein. Gleichzeitig ging man davon aus, dass kompetenzorientierte Aufgabenformate ein gleichbleibend hohes Qualitätsniveau und eine gerechtere Zuordnung von Studierenden zu gewünschten Studiengängen an den Hochschulen gewährleisten. All dies sollte letztlich auch zu einer besseren Vergleichbarkeit der Zentralabiture der Bundesländer führen. Diese Ankündigungen stießen in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung, während so mancher Lehrer zu Anfang teilweise erhebliche