dort sind explodiert, es gab auch eine verworrene Begebenheit mit einer von den großen Ölgesellschaften unabhängigen Raffinerie, es war von versuchter Erpressung die Rede, Pieri soll darin verwickelt gewesen sein, alles ziemlich vage.«
Sobald Grimbert sein Büro verlassen hat, greift Micchelozzi zum Telefon. Die Bullen interessieren sich für die Somar. Diese Information muss man in Umlauf bringen und die entsprechenden Vorkehrungen treffen.
Grimbert hat schnell Bilanz gezogen. Fos, wahrscheinlich eine falsche Fährte, um mich abzuwimmeln. Aber Pieri sagte am Ende des Artikels: »Erdöl, die Zukunft, eine andere Geschichte«. Das verdient jedenfalls eine kurze Untersuchung. Micchelozzi gibt vor, sich für die Somar nicht zu interessieren, aber er ist bestens informiert über die Steuerprüfungen bei der Firma. Das ist eine glaubwürdige Information, denn auf seinem Posten beim Finanzamt ist er ein Knotenpunkt für sämtliche Finanzmauscheleien von Marseille. Vielversprechend.
Dienstagnachmittag, Nizza
Inspecteur Bonino wurde Daquins Kommen angekündigt. Er erwartet ihn im SRPJ im Zentralkommissariat von Nizza. Er empfindet seine Situation als ausgesprochen misslich. Der Direktor der Kriminalpolizei hat ihn beauftragt, an dem beschleunigten Verfahren im Mordfall Pieri mitzuwirken, jedoch unter Leitung und Verantwortung von Daquin und seinem Marseiller Team. Was nicht gerade stimulierend ist. Und unter dem wachsamen Blick von Staatsanwalt Coulon, dem er keineswegs blind vertrauen kann. Kurz, er befindet sich in einer heiklen Lage in einem zum Himmel stinkenden Fall. Er wird seinen Job machen, ohne übertriebenen Eifer. Mit der Priorität, den Schlägen auszuweichen, die es von allen Seiten zu hageln droht.
Die Niçoiser Polizei hat die Somar von Pieris Tod in Kenntnis gesetzt. Offensichtlich gibt es keine Familie zu benachrichtigen. Auf der Suche nach einer großzylindrigen Ducati klappern zwei Polizisten die Kfz-Werkstätten der Region ab, ohne viel Hoffnung. Alle gehen von einer Bande italienischer Killer aus, die längst wieder über die Grenze sind. Bonino hat Erkundigungen über das Ehepaar Frickx eingeholt. Die Frau ist die Enkelin eines südafrikanischen Bergbaumagnaten. Der Mann ist ein wichtiger Trader, Europa-Repräsentant der Firma Co Trade, Weltmarktführerin im Erzhandel. Er weiß nicht genau, was das bedeutet, aber Grund zum Argwohn. Der Ehemann ist derzeit auf Geschäftsreise in Südafrika, wo es Bonino gelungen ist, ihn zu erreichen, um ihn über die Missgeschicke seiner Gattin zu informieren, die immer noch mit schwerem Schock im Krankenhaus liegt. Der Ehemann hat versprochen, morgen Abend vor Ort zu sein. Gute Nachricht, da man ihm durchaus ein paar Fragen stellen muss, denn seine Frau behauptet, dass er mit Pieri geschäftlich zu tun hatte.
Unterdessen haben zwei Inspektoren Emilys Zeugenaussage überprüft. Der Besitzer der Kunstgalerie in Villefranche, der Emily sehr gut kennt – sie besucht regelmäßig seine Galerie –, hat bestätigt, dass sie Pieri am Vorabend in seinem Beisein getroffen hat, und offenkundig rein zufällig. Die Casinomitarbeiter kannten Pieri gut, er war Stammgast. Er hatte in den vergangenen drei Monaten mehrfach dort zu Abend gegessen, er spielte ein bisschen, ohne Leidenschaft, immer allein, außer am Abend seiner Ermordung. Emily Frickx dagegen war vorher noch nie dort gewesen. Bonino schließt daraus, dass Pieris Ermordung im Voraus geplant gewesen sein kann, da er im Casino Stammgast war, und Emilys Zeugenaussage somit bestätigt ist. Eigentlich eine gute Nachricht.
Daquin ist immer noch nicht da. Mehr aus Langeweile denn in der Hoffnung, Informationen zu finden, schaut Bonino in die Polizeiakten. Emily Frickx. Überraschung, im Zentralkommissariat von Nizza existiert tatsächlich eine Akte über sie.
28. Mai 1971. Der Bereitschaftspolizist im Zentralkommissariat von Nizza erhält einen anonymen Anruf, in dem eine Prügelei auf der Promenade des Anglais gemeldet wird, auf Höhe des Palais de la Méditerranée, an der mindestens ein Dutzend Personen beteiligt sind. Das Team von Brigadier Kosciusco fährt zum Ort des Geschehens und stellt die folgende Sachlage fest: »Eine Gruppe von etwa zehn Personen, die Männer in Anzug und Melone, die Frauen in langen Kleidern und mit Blumen im Haar, hat auf der Promenade des Anglais ein Klavier aufgestellt. Wir identifizieren sofort die üblichen jungen ›Künstler‹-Störenfriede, die zum Umfeld des Ladens von Ben Vautier gehören. Unter dem Beifall ihrer Begleiterinnen schlagen die Männer mit Hämmern auf das Klavier ein. Das Klavier gongt, knirscht und geht unter Geschrei und Gesängen zu Bruch. Durch den Lärm aufmerksam gewordene Passanten protestieren empört, wollen das Abschlachten des Klaviers verhindern und geraten mit der Gruppe hysterischer Frauen aneinander, die die Zerstörer mit Fausthieben verteidigen. Hier und da kommt es zu Handgreiflichkeiten. Wir beschließen daher, die Unruhestifter festzunehmen, um die Ruhe wiederherzustellen. Die Trümmer des Klaviers werden an Ort und Stelle zurückgelassen und die Stadtreinigung wird informiert.«
Es folgt die Liste der zur Feststellung der Personalien vorübergehend festgenommenen Personen, auf der tatsächlich der Name Emily Frickx aufgeführt ist.
Bonino blättert sofort weiter zur Aussage der jungen Frau.
Emily Frickx gibt zu Protokoll:
»Wir schlugen auf ein Klavier, wir machten Musik. Das war ein Konzert. Die Frau, mit der ich mich geprügelt habe und die ich ansonsten nicht kenne, wollte von meinem Standpunkt, den ich ihr darzulegen versuchte, nichts hören und ging brutal auf einen meiner Freunde los, sie versuchte ihn zu beißen. Ich wollte sie daran hindern und wir sind in eine Schlägerei geraten.«
Nach stundenlanger Kakophonie im Kommissariat hatten die entnervten Polizisten schließlich alle auf freien Fuß gesetzt.
Bonino ist überrascht, er hätte nicht gedacht, dass Emily, die ohnmächtige junge Frau von vergangener Nacht, Ehefrau eines bedeutenden Geschäftsmanns, mit diesen übergeschnappten Niçoiser Künstlern verkehrt. Aber deshalb ist sie noch lange nicht die Komplizin eines Mörders. Man muss Vernunft walten lassen. Diese Akte belegt ihre schon länger gehegte und erwiesene Vorliebe für das, was man gemeinhin zeitgenössische Kunst nennt, und kann insofern die Glaubwürdigkeit ihrer Zeugenaussage untermauern.
Daquin trifft just in diesem Moment ein. Eher kühle Kontaktaufnahme. Bonino ist älter als Daquin und hat kaum Hoffnung, eines Tages Commissaire zu sein. Er ist klein, rundlich, beginnende Glatze, einfallslos in Anzug und Krawatte, und er mag keine großen robusten, eher gutaussehenden Kerle, die ihm seine Ermittlungen wegschnappen, aber Daquin gibt sich geradezu ehrerbietig, er kommt ihm Bericht erstatten. Die Marseiller wollen ihre Nachforschungen auf Pieris Firma lenken. Was hält er davon?
»Was sagt Staatsanwalt Coulon?«
»Keine Ahnung. Ich wollte erst mit Ihnen sprechen. Ich werde ihn aufsuchen, wenn ich hier raus bin.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Selbstverständlich.«
Bonino übergibt Daquin Notizen, die alle ihm verfügbaren Informationen enthalten. Frickx wird morgen Abend da sein, perfekt, es wird vereinbart, dass Daquin übermorgen erneut nach Nizza kommt und sie Frickx gemeinsam treffen. Dann schiebt Bonino Daquin die Polizeiakte über Emily zu. Der liest sie sehr aufmerksam, erbittet eine Kopie, die er in seine Mappe legt. Er schätzt die Arbeit von Boninos Team und sagt es ihm.
Die beiden Männer verabschieden sich ohne Feindseligkeit. Daquin begibt sich zu Staatsanwalt Coulon im Gericht von Nizza. Die erste Begegnung ist wesentlich, er muss konzentriert bleiben. Diese Ermittlung ist eine Aufwärmrunde, hat der Direktor vom SRPJ Marseille gesagt. Eine Aufwärmrunde, die eine Möglichkeit bedeuten kann, die Verantwortung auf den jüngsten Neuzugang abzuwälzen, den Pariser. Oder schlimmer, einen Fallstrick. Ich kann mich leicht darin verfangen.
Der Staatsanwalt hat ihn erwartet. Er empfängt ihn unverzüglich und wirkt überrascht: ein so junger Commissaire!
Nach ein paar einleitenden Sätzen erwähnt Daquin die Möglichkeit einer Hausdurchsuchung in Pieris Firma. Der Staatsanwalt hebt die Brauen, Daquin argumentiert. »Klassisches Vorgehen. Mit Nachforschungen über das Opfer beginnen, um das Tatmotiv zu erhellen.«
»So jung und schon klassisch? Gehen wir es sachte an, Commissaire. Monsieur Pieri ist das Opfer, nicht der Täter, und wir müssen jeden Schritt unterlassen, der das Bild seiner Firma