Detlef Mix

Manuka-Honig


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ausgesprochen sauer. Das Enzym Glucose-Oxidase löst eine Reaktion zwischen Traubenzucker, Sauerstoff und Wasser aus. Daraus entsteht neben Gluconsäure Wasserstoffperoxid (H2O2), welches für seine antiseptischen Eigenschaften hinreichend bekannt ist. H2O2 ist jedoch auch potenziell zelltoxisch; so ist es sehr hilfreich, dass ein paar Sicherheitselemente gleich mitgeliefert werden. Zum einen gibt es so etwas wie eine Retardwirkung. Das Gewebe wird nicht mit H2O2 überschüttet, sondern dieses Bleichmittel wird kontinuierlich in kleinen Mengen freigesetzt. Freies Wasserstoffperoxid kommt lediglich in unreifem Honig vor und beugt darin der Ansiedelung und Vermehrung von pathologischen Keimen vor, die in dem sauren Milieu nicht gedeihen können. In reifem Honig, das heißt in Honig, der weniger als circa 20 Prozent Wasseranteil aufweist, schlummert diese antibakterielle Kettenreaktion, bis sie durch den Trigger Wasser, zum Beispiel aus Speichel oder Wundsekret, am medizinischen Einsatzort des Honigs erneut ausgelöst wird. Ein ebenfalls im Honig sowie im Gewebe vorkommendes Enzym, die Katalase, neutralisiert das Wasserstoffperoxid in tieferen Wundregionen, was einerseits eine Gewebeschädigung verhindert, andererseits jedoch auch die antimikrobielle Wirkung beendet. Dies trifft zumindest auf die meisten Honige zu. Deutlich anders verhält sich hier der neuseeländische Manuka-Honig. Entfernt man mittels Katalasebeimengung seine ohnehin sehr geringe peroxide Aktivität, so erweisen sich einige Chargen dieses Honigs als außerordentlich aktiv gegen diverse Keime, insbesondere auch solche, bei denen sich viele Antibiotika mittlerweile die Zähne ausbeißen.

      Etwa zwanzig Jahre lang konnte man den verantwortlichen Wirkstoff weder benennen noch isolieren. Man einigte sich darauf, ihn als »Unique Manuka Factor« (einzigartiger Manuka-Faktor), kurz UMF, zu bezeichnen. Seine individuelle Stärke fand man jeweils in Labortests heraus, bei denen seine Wirksamkeit gegenüber verschiedenen Bakterien mit der antibakteriellen Effektivität einer Phenollösung (Karbolsäure) verglichen wurde. Erwies sich der Honig als genauso wirksam wie etwa eine 10-prozentige Phenollösung, so stufte man ihn als UMF10 ein. Ein Pluszeichen hinter der Zahl, etwa 10+ beziehungsweise 20+, besagt dabei, dass der ermittelte Faktor nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen wird. Diese Klassifizierung erwies sich in mancher Hinsicht als unbefriedigend. Einerseits sind die Testverfahren nicht einwandfrei reproduzierbar und vor allem nicht quantifizierbar, das heißt, eine eindeutige Aussage über die genaue Wirkstoffmenge ist nicht möglich. Andererseits war es wissenschaftlich äußerst ungenau, es mit einem »Unknown Mystery Factor« zu tun zu haben, von dem man zwar weiß, dass er vorhanden ist, ihn aber nicht beim Namen nennen kann. Die letale (tödliche) Dosis von Phenol ist bei unterschiedlichen Bakterien durchaus variabel, und das trifft dann auch auf die vergleichbare Honigwirkung zu.

      Die Situation hat sich grundlegend verändert, nachdem ein Team von Lebensmittelchemikern an der TU Dresden den verantwortlichen Stoff enttarnen konnte. Darauf werde ich an anderer Stelle noch gebührend eingehen. In unserer wissenschaftsgläubigen Welt, in der Ursache und Wirkung gern als simple mechanische Vorgänge gedeutet werden, verspricht man sich rasch von der Isolierung und möglichen Synthetisierung eines Einzelwirkstoffes die gleiche Wirkung, wie sie zuvor in einem komplexen natürlichen Wirkstoffcocktail beobachtet wurde. Anhänger einer ganzheitlichen Betrachtungsweise zitieren in diesem Zusammenhang gern den griechischen Denker Aristoteles, der bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. bemerkte: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!« Heutzutage fasst man diesen sinnigen Ausspruch in einem Wort zusammen: Synergie. Sie beschreibt die überragende Wirkung eines Zusammenspiels aus Einzelkomponenten, bei denen zwar jede für sich recht beachtliche Erfolge verzeichnen kann, die jedoch nur gemeinsam unschlagbar sind. Auch wenn Methylglyoxal nun beim Orchester Manuka-Honig die erste Geige spielt, so wird nur durch das harmonische Arrangement aller Instrumente eine Symphonie daraus.

      Der Säurefaktor wird auch deutlich, wenn man den niedrigen pH-Wert vieler Honige betrachtet. Er liegt häufig zwischen 3 und 4. Bei Kastanien- oder Waldhonig beispielsweise jedoch auch schon mal zwischen 5 und 6. Die antibakterielle Wirkung mancher Honige ist zudem noch bei sehr hoher Verdünnung vorhanden, während sie bei anderen stark eingeschränkt ist. Ein starker, aktiver Manuka-Honig wirkt selbst dann noch sicher, wenn eine wässrige Lösung nur zwei Prozent Manuka-Honig enthält.

      Der einzigartige Manuka-Faktor wurde von einem Team von Lebensmittelchemikern um Prof. Thomas Henle an der Technischen Universität Dresden eindeutig als das Zuckerabbauprodukt Methylglyoxal (MGO) identifiziert. Die entsprechenden Forschungsergebnisse wurden auch im Rahmen der Doktorarbeit von Elvira Mavric dokumentiert und veröffentlicht sowie in einer weiteren Studie von Christopher J. Adams und Kollegen an der Waikato Universität in Neuseeland, Abteilung Chemie, bestätigt. An dieser Universität wird überdies schon mehr als zwei Jahrzehnte über Manuka-Honig geforscht, vor allem durch Prof. Peter Molan, der sicher so etwas wie der Honigpapst ist. Molan hat wohl wie kein anderer die Honigforschung und den medizinischen Einsatz von Honig in der Neuzeit vorangetrieben, und niemand, der sich heute ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzt, kommt an diesem Namen vorbei. Trotzdem war nicht er es, der das lange Mysterium um den nicht-peroxiden Wirkmechanismus in aktivem Manuka-Honig entschleierte. Er entwickelte zwar eine Methode, mit der eine annähernde Quantifizierung des Wirkstoffgehalts möglich ist, die aber nicht vollständig reproduzierbar ist und deren Ergebnis nicht absolut und nur in Relation zur antibakteriellen Effektivität einer Phenollösung wiedergegeben werden kann. UMF10+ entspricht mindestens der Wirkung einer 10-prozentigen Karbolsäure. Die Bestimmung des Methylglyoxalgehaltes dagegen erfolgt mengenmäßig absolut, das heißt, man kann den tatsächlichen Anteil an einer Menge Honig genau bestimmen, zum Beispiel 100 Milligramm MGO auf ein Kilogramm Honig.

       Professor Thomas Henle, TU Dresden, identifizierte den einzigartigen Manuka-Faktor UMF

      Bei anderen Honigen ist der MGO-Gehalt mit ein bis zwei Milligramm und manchmal vielleicht bis zu 20 Milligramm meist sehr gering. Auch in anderen Lebensmitteln einschließlich Bier und Wein, ja sogar in Tabakrauch lässt sich MGO nachweisen. In Brot oder Röstkaffee erscheint ein gewisser Gehalt an Methylglyoxal einleuchtend, da dies bei der Maillard-Reaktion entsteht. Bei der Zubereitung von Speisen ist diese oft beabsichtigt, weil dabei durch Karamellisierung der gewünschte Brat- oder Röstgeschmack sowie der typische Geruch und die braune Farbe entstehen.

      Dass nun der Methylglyoxalgehalt im Honig durch eine unsachgemäße Handhabung bei Lagerung und Transport entstehen könnte, zum Beispiel durch Abstellen der Behälter in praller Sonne oder durch anderweitiges starkes Erhitzen des Honigs, ist in aller Regel auszuschließen, da dies einen gleichzeitigen Anstieg des HMF-Wertes bewirken würde. HMF steht für Hydroxymethylfurfural. Kalt geschleuderter Honig darf gemäß der Honigverordnung keinen höheren HMF-Gehalt aufweisen als 40 mg / kg. Jeder erhöhte Wert würde auf eine zu hohe Erhitzung hindeuten, durch die wertvolle Honigenzyme zerstört worden wären. Das bedeutet im Fall von Manuka-Honig, dass ein hoher MGO-Aktivitätsnachweis, bei gleichzeitig niedrigem HMF, auf den pflanzlichen Ursprung des Methylglyoxals hinweist.

      Die Methylglyoxal-Stoffwechselwege werden offensichtlich durch Stressfaktoren in den Zellen eingeleitet. Denkbare Auslöser beim Manukastrauch sind salzhaltige Böden, Hitze, Kälte und anhaltende Trockenheit. Typischerweise wächst Manuka dort, wo Landwirtschaft nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Die stressinduzierten, hohen Methylglyoxalgehalte finden ihren Weg über den Blütennektar direkt in den Honig, und zwar ohne jegliche Enzym-beimengung seitens der Bienen. Es gibt anscheinend auch Hinweise darauf, dass es sich bei Manuka-Honig, ähnlich wie beim Lindenhonig, nicht um einen reinen Blütenhonig handelt. Vielmehr könnte es auch ein Gemisch aus Honigtau und Nektar sein. Honigtau- oder Waldhonig stellen die Bienen aus den klebrig-süßen Ausscheidungen von Blatt- oder Schildläusen her. Manukapflanzen werden von verschieden Vertretern der Gattung Schildläuse, vor allem Eriococcus orariensis und Coelostomidia sp., heimgesucht und ausgesaugt. Bienen lassen sich normalerweise nicht lange bitten, wenn ihnen solches Naschwerk geboten wird. Als weitere mögliche Quelle für das Methylglyoxal wurden Mikroorganismen gehandelt. Doch die aktuelle Forschung bietet eine recht plausible Erklärung, die mit einer Vorstufe zum MGO zusammenhängt.