Sabine Müller

Das Mal der Burgherrin


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Knappen verließen eilig den Saal.

      „Walther, ich möchte dich nur darauf hinweisen, dass die Einstellung von Mägden nicht zu deinen Aufgaben gehört. Die beiden können zwar bleiben, weil wir wirklich jemanden brauchen, aber das nächste Mal überlässt du diese Dinge Philipp und mir. Ich hoffe, du hast die beiden aus purer Menschenliebe eingestellt und nicht aus dem Grund, den ich vermute. Ich möchte keine Beschwerden hören.“

      „Aber werte Tante, Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass ich sie nur eingestellt habe, weil sie mir im Gasthaus so leid getan haben. Das nächste Mal werde ich Euch vorher fragen. Darauf könnt Ihr Euch verlassen“, entgegnete Walther und verneigte sich vor der Gräfin. Er hatte gewusst, dass dieser Schritt nicht leicht sein würde, aber innerlich kochte er vor Wut über die Rüge. Als Margareta gegangen war, hieb er wütend gegen die Wand, was er sogleich bereute, denn zu seinem lahmen Bein konnte er keine schmerzende Hand gebrauchen.

      Margareta wusste nicht so recht, was sie nun tun sollte. Sie beschloss, hinauf in den Bergfried zu gehen. Dort saß sie gerne und betrachtete die Landschaft, wenn sie traurig war. Sie setzte sich ans Fenster und schaute über die Burgmauer auf den verschneiten Weg und hing ihren Gedanken nach. Auf einmal erblickte sie eine Gestalt am Horizont. Wer mochte sich mitten im Winter alleine auf den Weg zur Burg machen? Sie schaute genauer hin und erkannte bei seinem Näherkommen einen groß gewachsenen Mann mit einem langen Bart, der sich auf einen großen Stab stützte, an welchem ein Beutel hing. Der Mann trug einen braunen zerschlissenen Mantel mit Kapuze, der fast bis zum Boden reichte. Über der Kapuze hatte er einen braunen Hut, an dem etwas Helles befestigt war. In Kürze würde er bei den Wachen um Einlass bitten. Sollte sie hinunter gehen, um zu sehen, was der Fremde wollte oder sollte sie lieber abwarten, bis man sie rief. Margareta spürte ein Kribbeln im Bauch. Die Neugier trieb sie die Treppen hinunter. Der Fremde hatte bereits um Einlass gebeten und passierte das Burgtor.

      „Guten Tag Fremder, was wollt Ihr hier?“, fragte Margareta.

      „Seid gegrüßt, Burgherrin! Ich bin ein Pilger und komme aus Santiago di Compostela und bin auf dem Heimweg nach Mainz. Ich wollte fragen, ob man mir für die Nacht Unterkunft gewährt.“

      Margareta erkannte nun, dass es sich bei dem Hellen, was seinen Hut zierte, um eine weiße Muschel handelte. Sie hatte schon davon gehört, dass diese Muscheln das Zeichen derer waren, die sich auf den Weg zu den Gebeinen des Heiligen Jakobus gemacht hatten.

      „Seid gegrüßt Pilger, ich heiße Euch herzlich auf unserer Burg willkommen.“

      Zu einem Knecht gewandt, der den Fremden neugierig betrachtete, sagte Margareta: „Rufe Bertram her, er soll dem Pilger eine Kammer zuweisen und ihm zeigen, wo er sich frisch machen kann. Wie heißt Ihr, Fremder?“

      „Mein Name ist Cornelius von Stein und Ihr seid wohl Margareta von Homburg, nehme ich an. Es ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen.“

      Der Pilger verneigte sich tief vor Margareta.

      „Heute Abend, beim Essen werdet Ihr uns hoffentlich viele spannende Geschichten über Eure Reise erzählen! Da werdet Ihr auch meinen Mann, Graf Philipp, kennenlernen. Ich freue mich darauf.“

      Margareta ging frohen Mutes von dannen. Von den Pilgerreisen erzählte man sich viele abenteuerliche Geschichten. Der Pilger würde heute Abend für genügend Zerstreuung sorgen, sodass sie nicht wieder über ihre Probleme nachgrübeln musste. Zuerst ging sie zu Philipp und bereitete ihn auf den Gast vor. Dann begab sie sich in die Küche und trug Berta auf, einen besonderen Braten zuzubereiten.

      Als endlich die Zeit des Abendmahls gekommen war, war Margareta fast die Erste, die den Rittersaal betrat und am Herrentisch Platz nahm. Nach und nach füllte sich der Saal. Als der Pilger erschien, winkte sie ihn herbei.

      „Nehmt hier bei uns Platz, damit wir Euren Erzählungen lauschen können.“

      Walther, der von allem, was mit Kirche zu tun hatte, nichts wissen wollte, bog noch rechtzeitig ab, als er den Pilger bei Margareta erblickte und nahm bei den Knappen Platz.

      Cornelius von Stein begrüßte Philipp und die anderen Anwesenden und verbeugte sich vor ihnen, bevor er Platz nahm. Er hatte gebadet und wirkte nicht mehr so staubig.

      „Ihr kommt also gerade aus Santiago di Compostela?“, fragte Bruder Hubertus neugierig, während er gierig in einen Hahnenschlegel biss.

      „Ja, ich bin dort vor drei Monaten aufgebrochen, nachdem ich an dem Grab des heiligen Jakobus betete und erhört wurde.“

      „Um was habt Ihr denn bei dem Heiligen vorgesprochen?“, wollte Philipp wissen.

      „Ich litt monatelang unter schrecklichen Schmerzen am Bein. Die Schmerzen fingen im großen Zeh an und zogen durch den Fuß, bis ich mein ganzes Bein vor Schmerzen kaum noch bewegen konnte. Ich konnte nur noch an Krücken gehen. Kein Bader und kein Doktor konnten meine Beschwerden lindern. Deshalb beschloss ich, mich auf diese Pilgerreise zu begeben und hoffte, dass Gott mir helfen würde, wie er schon viele vor mir mit den unterschiedlichsten Gebrechen geheilt hatte. Ich schloss mich einem Pilgerzug an, wo ich anfangs hinten auf einem Wagen aufsitzen konnte. Die Reise war sehr beschwerlich und mein Bein schmerzte, doch als ich in Santiago di Compostela ankam, konnte ich schon fast ohne Krücken zu dem Grab pilgern. Als ich meine Bitten und Gebete gesprochen und meine Opfergaben dargebracht hatte, spürte ich keine Schmerzen mehr! Ich konnte mein Bein bewegen, als wäre nie etwas gewesen! Nie werde ich diesen Moment vergessen!“

      „Das ist ja unfassbar!“, rief Margareta aus.

      „Für den Laien mag das unfassbar klingen, ist es aber nicht“, entgegnete Bruder Hubertus. „Solche Wunder geschehen immer wieder bei den Pilgerreisenden. Ein Mönch aus Reichenau zum Beispiel, erlangte in Santiago di Compostela sogar sein Augenlicht wieder und ich habe schon von vielen gehört, die dort von ihren Gebrechen durch Gotteshilfe geheilt wurden. Sogar ein Aussätziger wurde vom Aussatz befreit. Doch Gott heilt nicht nur Krankheiten, er hilft auch denen, die andere Hilfe benötigen. So wurden manche ihre Geldsorgen los, als sie von der Pilgerreise zurückkamen, weil ihr Land wieder fruchtbar geworden war und eine Mutter fand ihr lang vermisstes Kind wieder, das man schon für tot gehalten hatte.“

      Margareta hörte diesen Erzählungen mit voller Begeisterung zu. Wenn Gott das alles bewirken konnte, konnte er auch dafür sorgen, dass sie noch ein Kind bekäme! So begann sie gleich, Cornelius einige Fragen zu stellen.

      „Welches ist denn die beste Zeit für eine solche Pilgerreise?“

      „Am besten bricht man auf, wenn der Schnee geschmolzen ist und das ganze Tauwasser schon weggeflossen ist. Also im Monat April.“

      „Wie lange ist man dann unterwegs?“

      „Es kommt darauf an, ob man zu Fuß oder mit dem Pferd reist, oder ob man ein Gespann dabei hat. Zu Fuß kann man je nach Konstitution zwei bis vier Meilen am Tag zurücklegen. Auf dem Rückweg war ich nur zu Fuß unterwegs, habe aber selten über drei Meilen am Tag geschafft. Eine Reise dieser Länge zehrt an den Kräften und man braucht öfters eine längere Ruhepause. In den Sommermonaten ist es für uns dort unvorstellbar heiß. Man reist dann am besten in den frühen Morgenstunden und am Abend, wenn die Sonne tiefer steht. Tagsüber, vor allem in der Mittagshitze, rastet man besser an einer schattigen Stelle. Eine solche Reise kann zwischen drei und zwölf Monaten dauern.“

      „Ist man als Pilger überall willkommen und gibt es auch Gefahren, mit denen man rechnen muss?“

      „Man ist zwar überall willkommen, muss aber in vielen Gasthäusern auch aufpassen, dass man nicht übers Ohr gehauen oder sogar im Schlaf ausgeraubt wird. Ich hatte sogar von jemandem gehört, der vom Betreiber eines Gasthauses selbst ausgeraubt wurde!“

      „Wirklich? Das ist ja unerhört! Da denkt man, als Pilger hätte man einen besonderen Stand und dann muss man sich noch vor solchen Halunken in acht nehmen!“, warf Bruder Hubertus empört ein.

      „Am besten kommt man in den Klöstern am Wegesrand unter. Dort ist man vor solchen Spitzbuben sicher. Reisen sollte man immer in einer größeren Gruppe.