Elke Boretzki

Der Tote unterm Weihnachtsbaum


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Blutlache führte eine Schleifspur ein kurzes Stück in Richtung Tür und hörte dann spontan auf, so als hätte jemand einen schweren Gegenstand vom Tatort weggeschleift und dann aufgehoben und fortgetragen.

      „Womöglich die Tatwaffe“, antwortete der Mediziner und wies noch einmal auf die Kopfwunde. „Diese Wunde wurde offenbar durch mehrere Schläge mit einem harten und vermutlich auch schweren Gegenstand herbeigeführt. Dann wurde dieser Gegenstand fallen gelassen. Sehen Sie?“ Er wies auf eine Stelle am Boden, auf der der Gegenstand aufgeschlagen sein könnte. „Dann, vielleicht unmittelbar danach oder auch etwas später, wurde dieser Gegenstand ein Stück auf dem Boden entlanggezogen, aufgenommen und entsorgt.“ Zufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust.

      „Da könnten Sie recht haben, lieber Freund.“ Der Kommissar und der Arzt waren alte Bekannte. „Nur, wo befindet sich dieses Ding, die sogenannte Mordwaffe?“

      „Nicht meine Sache.“ Damit packte der Mediziner seine Tasche.

      „Doch eins ist nun sicher. Es handelt sich um Mord.“ Höflich hatte die letzte Bemerkung des Mediziners freundlich überhört. Seinem Assistenten gönnte er keinen Blick, als er fortfuhr: „Wie ich bereits längst vermutet hatte.“

      „Nun“, wandte er sich plötzlich an Rosenkranz, „was wäre denn nun der nächste Schritt, hm?“ Listig belauerte er ihn. Doch Rosenkranz ließ sich nicht verunsichern.

      „Nun, der nächste Schritt wäre die Identifikation des Toten und dann die Vernehmung der Zeugen.“

      „Hm.“

      Es stellte sich heraus, das es sich bei dem Toten um den einflussreichen Geschäftsmann, Anatol Maus, handelte, der neben anderen Unternehmungen der Inhaber des stadtbekannten Gourmetrestaurants „Die Taube“ war. Er war vierundfünfzig Jahre alt, verheiratet und hatte zwei bereits erwachsene Kinder, eine zweiundzwanzigjährige Tochter und einen neunzehnjährigen Sohn.

      Von Kirschkern erfuhren sie, dass der Verstorbene, so wie er da lag, von seiner Sekretärin gefunden worden war, die dann umgehend die Polizei benachrichtigt hatte. Sie hätte sehr verstört gewirkt, gaben die beiden Polizisten an, die zuerst am Tatort erschienen waren.

      Ebenso wie die besagte Dame wären noch die Ehefrau des Toten und die Köchin im Haus. Sie würden sich alle drei in der Küche befinden. Außerdem gäbe es noch einen Gärtner, der gebeten wurde, sich ebenfalls zur Verfügung zu halten.

      Indes wurde die Umgebung des Tatortes weiter nach möglichen Spuren untersucht.

      Höflich begab sich, gefolgt von seinem Assistenten, in die Küche. Dort fand er drei Frauen vor. Eine der Frauen, eine kräftige Dame mittleren Alters machte sich mit den Küchengeräten zu schaffen und schien, obwohl es bereits früher Nachmittag war, das Mittagessen vorzubereiten.

      Sie hatte ihr blondiertes Haar zu einem Knoten zusammengesteckt und strahlte mit ihrem runden, rotwangigen Gesicht Gesundheit und Lebenslust aus. Sie wirkte wie eine Frau vom Lande, die es gewohnt war, mit anzupacken.

      Das musste die Köchin sein.

      Sie war genau die Art von Frau, die ihm gefiel. Bei so einer gab es kein Rätselraten, fand er. Da wusste man immer, woran man war. Höflich bedachte sie mit einem wohlwollenden Blick.

      Die Küche war groß und geräumig und ebenfalls hier und da weihnachtlich geschmückt.

      In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, an dem eine junge Frau saß und leise weinend ihren Kaffee trank. Sie war modisch gekleidet und ihr ebenfalls blondiertes Haar fiel ihr glatt und lang über den Rücken.

      Die dritte Frau verhielt sich am unauffälligsten. Eine Aura der Unnahbarkeit umgab sie.

      Mit dem Rücken zum Fenster am Fensterbrett gelehnt, trank sie ruhig ihren Kaffee. Sie war ebenfalls eher mittleren Alters, schlank und wirkte, trotz einfacher Hose und Pullover, elegant. Würde Höflich es nicht besser wissen, hätte er sie für die Sekretärin gehalten.

      Doch es handelte sich um die Ehefrau des Opfers, Irina Maus.

      Daher wandte er sich als Erstes an sie.

      Höflich konnte tatsächlich auch höflich sein. Mit großem Taktgefühl sprach er sein Beileid aus und bat um eine Unterredung.

      Die Dame des Hauses geleitete ihn und Rosenkranz in die Bibliothek und bot ihnen eine Erfrischung an. Höflich hätte liebend gern einen Weihnachtspunsch angenommen, schon deshalb, weil heute Heiligabend war, doch mit Besserwisser Rosenkranz im Schlepptau und Alkohol während der Arbeit und so, lehnte er dankend und für den Moment betrübt ab.

      „Nun, gnädige Frau, wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen, wohlauf versteht sich?“

      „Vor etwa zwei Wochen“, kam es kühl zurück. Höflich, der sich wenigstens eine Zigarette gönnen wollte und gerade nach ihr suchte, hielt prompt in der Bewegung inne und schaute ungläubig die Frau vor sich an. „Wollen Sie etwa damit sagen, dass sie sich in einem gemeinsamen Leben unter einem Dach nicht öfter sehen?“

      „Ich will damit sagen, dass ich vor etwa zwei Wochen hier war und mit ihm gesprochen hatte, während er sich bester Gesundheit erfreute. Von gemeinsamen Leben kann keine Rede sein“, antwortete sie mit der gleichen kühlen Stimme und schob ihm einen Aschenbecher zu. „Danke“, sagte er geistesabwesend und begann leicht zu frösteln. „Verstehe ich das richtig? Sie wohnen also nicht in diesem Haus?“

      „So ist es. Ich wohne seit sechs Monaten nicht mehr in diesem Haus.“

      „Aha.“ Höflich sah zu seinem Assistenten hinüber und bedeutete ihm mit einer energischen Geste, Notizen zu machen.

      Dieser war allerdings damit beschäftigt, die Titel auf den Buchrücken zu entziffern.

      Grimmig wandte sich Höflich ab und wieder Frau Maus, der ehemaligen Dame des Hauses, zu.

      „Wir benötigen natürlich Ihre neue Adresse. Doch erzählen Sie uns zuerst wann und warum Sie hierher kamen.“

      „Ich kam so gegen 9.30 Uhr und klingelte. Als niemand öffnete, beschloss ich zu warten und es später noch einmal zu probieren.“

      „Haben Sie denn keinen Schlüssel mehr, Frau Maus?“

      „Natürlich habe ich noch einen Schlüssel“, antwortete sie hochmütig. „Doch ich dachte mir, dass ich meinem Mann noch etwas Zeit gebe, denn ich war etwas eher da, als verabredet. So bin ich noch einige Zeit durch den Park gegangen, ganz in der Nähe. So tief verschneit wie jetzt ist er sehr romantisch, wissen Sie.“

      „So, ist er das?“ Höflich tat verschwörerisch und zwinkerte seinem Assistenten unauffällig zu. „Hat Sie denn jemand gesehen?“

      „Möglich. Ich weiß es nicht. Im Park war ich allein. Brauche ich denn ein Alibi?“ Ihre Stimme klang immer frostiger. Höflich zog die Schultern hoch. „Wie kamen Sie dann herein?“

      „Als ich zurückkam, sah ich das Auto der Sekretärin meines Mannes vor dem Gartentor. Ich klingelte noch einmal und wurde von Frau Klingbeil eingelassen. Da war er bereits tot.“

      „Sind Sie sicher?“

      „Ja, ich sah ihn in seinem Blut unter dem Weihnachtsbaum liegen.“

      „War noch jemand im Haus?“

      „Nein.“

      „Die Köchin?“

      „Lulu? Sie kam später, so gegen 12 Uhr, glaube ich. Da war die Polizei bereits da.“

      „Was taten Sie dann?“

      „Ich sagte der Sekretärin, sie solle die Polizei benachrichtigen.“

      „Ah ja, warum taten Sie es nicht selbst?“

      Sie sah ihn kalt an. Nach einer kleinen Ewigkeit, wie es schien, antwortete sie: „Wozu ist schließlich eine Sekretärin da?“

      Höflich