Elke Boretzki

Der Tote unterm Weihnachtsbaum


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Küche und auch der Gefrierschrank sind für jeden zugänglich!“ Wehrte sich schluchzend die Köchin.

      „Und wenn wir schon dabei sind, im Gefrierschrank befinden sich auch noch ein gefrostetes Kaninchen, sowie die Lende einer Ziege. Weshalb also die Gans!“ Sie konnte ihrerseits auch aufbrausend sein.

      „Weil keines dieser Viecher über fünf Kilo wiegt! Deshalb!!“ Höflich hatte es geschrien.

      „Naja“, jetzt wurde er ruhiger, „vielleicht wird das nächste Opfer ja mit einer Ziege erschlagen. Wer weiß das schon in diesem Irrenhaus.“

      Im nächsten Moment ging die Tür auf und herein kam Rosenkranz, der von seiner Zeugenbefragung zurückgekehrt war. Seine Mitteilung für den Kommissar lautete: Frau Grünspan arbeitete tatsächlich als Köchin in der Villa „Agatha“ in der Nummer 45. Und sie hatte den ganzen Vormittag dort gearbeitet, um das Menü für den Abend vorzubereiten. Die Familie kann es bezeugen.

      Damit hatte die Dame ein Alibi.

      „Nichts für ungut Madame.“ Höflich deutete eine leichte Verbeugung an. Er war etwas erschöpft.

      Nun ja. Auch Hercule Poiroit, der, mit Hilfe seiner grauen Zellen, jeden seiner Mordfälle aufzuklären imstande war, traf nicht gleich beim ersten Versuch ins Schwarze.

      Dazu muss gesagt werden, dass Höflich ein heimliches Vorbild verehrte, und das war niemand Geringerer als der berühmte Detektiv aus den Werken der Kriminalautorin Agatha Christie.

      Lulu war noch immer betroffen. Doch allmählich begriff sie, dass sie nun des Verdachtes ledig war. „Ich, ehm ich …“ Höflich setzte sich ihr gegenüber. „Ich war wohl etwas grob. Ich …“

      „Nein. Ich verstehe das“, sprach sie mit einem koketten Augenaufschlag. „Sie müssen sicherlich so vorgehen. Ich glaube, Sie sind ein sehr guter Polizist.“

      „Oh …“ Höflich fühlte sich geschmeichelt und glättete sich etwas verlegen die Frisur, in der Hoffnung, dass die kahle Stelle nicht zu sehen war.

      „Danke. Gestatten Sie mir daher noch einige wenige Fragen.“ Er wurde wieder ernst und nickte seinem Assistenten wohlwollend zu.

      Dieser hätte beinahe nicht begriffen, was sein Chef von ihm wollte. So sehr war er von dem Bild, das die beiden boten, gefesselt. Oho, dachte er.

      Dann fiel es ihm noch rechtzeitig ein, und er zückte sein Notizbuch.

      „Wie kamen Sie mit Herrn Maus, als Ihrem Chef, aus? Gab es auch mal Ärger?“

      „Oh, eher selten. Wir kamen meist gut miteinander aus. Er hat gesagt was er wollte, und ich habe es getan.“

      „Er war Inhaber eines Gourmetrestaurants. Als ein Kenner der guten Küche hatte er da nicht hin und wieder etwas auszusetzen?“

      „Kleinigkeiten. Ansonsten hat er immer gern gegessen, was ich gekocht habe. Ich kann ziemlich gut kochen, wissen Sie.“

      „Das glaube ich gern“, sagte Höflich und lächelte, während er sich wünschte, auch einmal in diesen Genuss zu kommen.

      „Doch sagen Sie, warum ist Frau Maus ausgezogen?“

      „Oh, naja, ich denke, ihre Ehe war am Ende. Herr Maus war viel geschäftlich unterwegs. Ninuschka kümmerte sich sehr gut um die Kinder und das Haus und alles.“

      „Sie meinen Frau Maus?“

      „Ja.“

      „Gab es Streit?“

      „Ja, natürlich!“

      „Wieso natürlich?“

      „Nun frage ich Sie: Ist es etwa richtig, dass ein Ehemann und Familienvater sich kaum um Heim und Familie kümmert, weil er viel zu beschäftigt damit ist, den Frauen zu gefallen, ausgenommen der einen, mit der er verheiratet ist?“

      „Wollen Sie damit sagen, Frau Grünspan, dass der Verstorbene seine Frau betrogen und seine Familie vernachlässigt hatte?“

      „Ja. Das hatte er. Doch weiter möchte ich dazu nichts mehr sagen.“

      „Aha. So. Verstehe.“ Das warf ein neues Licht auf den Fall. Höflich musste sich vorerst damit zufrieden geben. „Eine andere Frage: Wissen Sie etwas darüber, ob Herr Maus Feinde hatte? Ich meine Personen, die ihn nicht mochten.“

      „Möglich, dass es sie gibt. Doch Genaues weiß ich nicht.“

      Langsam wurde die Köchin ungeduldig. Das konnte Höflich spüren. Es drängte sie wieder danach, etwas Handfestes zu tun.

      „Der Gärtner. Kennen Sie ihn näher?“ Höflich sah ihr in die Augen.

      „Igor? Er arbeitet genau wie ich nur nach Bedarf hier.“ Lulu runzelte die Stirn. „Doch wenn Sie ihn befragen, seien Sie nachsichtig mit ihm.“

      „Warum?“ Höflich verlor sich in dem Blau ihrer Augen.

      „Nun, er ist … ein scheuer Mensch.“ Beide sahen sich sekundenlang an. Schließlich räusperte sich Höflich. „Ehm, danke. Das war vorerst alles.“

      Er beobachtete, wie sie, froh es überstanden zu haben, dem Ausgang zu strebte. Als sie an der Tür angekommen war, fiel ihm ein, was er sie schon die ganze Zeit über fragen wollte.

      „Hat Herr Maus auch einmal selbst gekocht?“ Sie drehte sich zu ihm um und lächelte.

      „Nein. Er hat nie etwas selbst getan. Das taten immer andere für ihn.“ Dann ging sie mit wogenden Hüften hinaus.

      Höflich starrte lange auf die geschlossene Tür. Ihm schien es so, als hätte sich an dieser Stelle ein seltenes Feenwesen entmaterialisiert und wurde durch den umgekehrten Vorgang wieder zurückerwartet. Wirklich. Sie war ihm eine Augenweide.

      „Hm, Hm …“ Rosenkranz räusperte sich leise. „Eine attraktive Frau?“

      „Oh ja … Ehm, wie bitte?“ Kommissar Höflich sah seinen Assistenten an, als wundere er sich, dass dieser immer noch da war.

      „Sagten Sie etwas?“ Er tat plötzlich sehr geschäftig. „Es gibt noch viel zu tun. Also halten Sie mich nicht auf.“

      „Ehm, ich sagte nur …“

      „Wirklich Rosenkranz“, unterbrach er seinen Assistenten, „ich kann mich vor Arbeit kaum retten. Stehen Sie nicht hier herum. Sehen Sie nach, wo der Gärtner steckt und bringen Sie ihn in die Bibliothek!“

      Er selbst begab sich auf die Suche nach Kirschkern. Er durchquerte die Eingangshalle und trat durch eine Glastür in den Garten.

      Die Fundstelle der Tatwaffe war markiert und abgesperrt worden. Die Tatwaffe selbst, die gefrorene Weihnachtsgans, befand sich auf dem Weg ins Labor. Im Garten war niemand mehr.

      Kommissar Höflich hörte Stimmen, doch das Team der Spurensicherung hatte sich offenbar wieder ins Haus zurückgezogen.

      Nachdenklich ließ er seinen Blick über die verschneite Gartenlandschaft schweifen. Links und rechts des Weges, hinter den Hecken standen Rosenstöcke, die, als Schutz gegen die Kälte, je nach Empfindlichkeit der Sorte, eingepackt waren.

      Die Hecken sowie einzelne Bäume waren beschnitten worden und zeugten ebenfalls von der pflegenden Hand eines Gärtners.

      Obstbäume zogen sich linker Hand über die verschneite Fläche. Dazwischen stand auf einem Stamm ein selbstgezimmertes Vogelhäuschen.

      Zwei Nebelkrähen verscheuchten eine Schar gieriger Spatzen, um die Reste der Mahlzeit unter sich aufzuteilen. Höflich zollte ihnen widerwillig Respekt. Kopfschüttelnd wandte er sich ab.

      Etwas weiter entfernt ging der Garten in eine Parklandschaft mit üppigen Stauden und hohen alten Bäumen über.

      Höflich fiel auf, dass es dort, im Gegensatz zu den Vorgärten, keine Zäune gab.