völlig kalt?“ Vorwurfsvoll sah er sie an. Auch Rosenkranz, der sich mittlerweile auf seine Aufgabe zu besinnen schien, betrachtete sie aufmerksam.
Doch die Dame erhob sich. „Falls Sie mich nicht mehr brauchen, würde ich gern wieder nach Hause fahren. Heute ist schließlich Heiligabend.“
„Das ist es für uns alle.“ Höflich war empört. Höchstwahrscheinlich ihretwegen hatte er das hier auf dem Hals.
„Was wollten Sie eigentlich von Ihrem Mann?“
Sie zögerte etwas, sagte dann aber: „Das, was ich schon seit Monaten versuche mit ihm zu klären. Finanzielle Angelegenheiten.“
„Womöglich Unterhaltszahlungen?“
„Unter anderem. Schließlich haben wir zwei Kinder.“
„Und wo sind diese Kinder?“ Höflich ließ sich seinen Abscheu anmerken. Doch die Frau blieb ruhig, klang jedoch weniger kühl. Das fand zumindest Rosenkranz.
„Mein Sohn studiert in Amerika und verbringt das Weihnachtsfest bei Freunden. Meine Tochter studiert ebenfalls in Amerika. Sie ist jedoch seit Kurzem zurück und wohnt vorübergehend bei mir. Zur Zeit besucht sie eine Schulfreundin.“
„Gut. Es kann sein, dass ich Ihre Tochter ebenfalls vernehmen muss.“
Höflich fühlte sich einerseits abgestoßen von der Kälte dieser Frau, andererseits war er verunsichert. Er schlug ein Bein über das andere und wedelte mit der Hand. „Ich muss Sie beide bitten, die Stadt nicht zu verlassen. Für eventuell weitere Fragen warten Sie bitte …“ Dabei entfiel ihm die Zigarette, landete auf dem weißen, flauschigen Teppich, kullerte ein kleines Stück weiter, wobei sie eine Spur zeichnete, blieb dann liegen und brannte ein Loch hinein.
„ … noch im Haus“, beendete er den Satz, während er erschrocken auf seine Zigarette starrte, die sich eben noch zwischen seinen Fingern befunden hatte.
Dann versuchte er Augenkontakt zu seinem Assistenten aufzunehmen, um ihn mit beschwörenden Blicken zu bedeuten, das Malheur schnell zu beseitigen. Doch Rosenkranz notierte gerade etwas in sein Notizbuch. Auch mehrmaliges Räuspern half nichts.
Höflich fühlte den Blick seiner Gastgeberin auf sich gerichtet. Wenn Blicke töten könnten, kam ihm in den Sinn.
„Sie haben ein Loch in meinen Teppich gebrannt“, hörte er sie sagen.
Schließlich wandte er sich ihr zu. „Das ist mir wirklich …“ Mit diesen Worten sprang er auf, um die Zigarette aufzuheben. Dabei redete er unaufhörlich: „Das war sehr ungeschickt von mir. Tut mir wirklich leid … sehr unangenehm.“
Er hörte eine Tür. Als er sich umwandte, war sie gegangen.
Verärgert sah er seinen Assistenten an, der sich erhoben hatte. „Also Sie …“ Vor Wut wurde er rot. „Wenn ich Ihnen Zeichen gebe, dann reagieren Sie gefälligst!“
„Aber …“
Er ließ Rosenkranz keine Zeit. „Die nächste Zeugin …“ Etwas anderes beschäftigte ihn jetzt. Was hatte sie gesagt? „Sie haben ein Loch in MEINEN Teppich gebrannt.“
Höflich kniff ein Auge zu … „AHA!“
Anita Klingbeil saß steif in einem gemütlichen Sessel der Bibliothek und sah Höflich erwartungsvoll an. Sie hatte gerade ein wenig über sich erzählt. Sie war alleinerziehende Mutter von einer sechsjährigen Tochter. Sie wohnte seit fast zwei Jahren in der Stadt, hatte jedoch noch keine Freunde gefunden.
Ihre Eltern lebten über 100 Kilometer weit entfernt von hier, was sie sehr bedauerte.
Rosenkranz hatte eine Ewigkeit gebraucht, Frau Klingbeil in die Bibliothek zu führen. Auch jetzt noch versuchte er immer wieder ihren Blick einzufangen. Nanu, was geht denn hier vor, dachte der Kommissar. Das konnte ja sogar ein Blinder sehen.
Haha, Blinder und sehen. Guter Witz, schmunzelte Höflich über seinen eigenen einfältigen Scherz in sich hinein.
Sein Assistent, der sonst eher ein mönchisches Dasein führte, hatte sich offenbar in diese blasse Blondine verguckt. Er fuhr sich mit der Hand über das Haar und ordnete es über der kleinen kahlen Stelle an seinem Hinterkopf, die er gern verdeckt hielt.
Nachdenklich betrachtete er die junge Frau. Sie fühlte sich scheinbar nicht wohl in ihrer Haut. Hatte sie etwas zu verbergen?
„Na dann werde ich ihr einmal gründlich auf den Zahn fühlen“, dachte er bei sich.
Gerade wollte er damit beginnen, als ihm sein Assistent zuvorkam. „Kann ich Ihnen vielleicht eine Erfrischung bringen“, wandte er sich mit einem zaghaften Lächeln an die junge Frau.
Was sollte denn das? Höflich warf Rosenkranz einen verärgerten Blick zu. „Später“, sagte er schnell, ehe die Angesprochene antworten konnte. „Das ist hier keine Strandbar oder sowas, wo wir Erfrischungen anbieten“, fuhr er an seinen Assistenten gewandt fort, „sondern …, wir haben einen Mord aufzuklären. Merken Sie sich das Rosenkranz!“
„Wir können doch trotzdem höflich sein“, wehrte sich Rosenkranz, plötzlich sehr rot im Gesicht. Betroffen und verletzt widmete er sich seinen Notizen.
Kommissar Höflich wandte sich erneut seiner Verdächtigen zu. Denn verdächtig ist sie, entschied er. Und so lange sie ihn nicht vom Gegenteil überzeugen konnte, blieb es dabei.
„Nun sagen Sie, seit wann kennen Sie Herrn Maus?“, begann er sein Verhör.
„Ehm, seit fast zwei Jahren etwa. Seitdem ich als seine Sekretärin für ihn arbeite.“
„So. Sie kannten ihn also vorher noch nicht. Richtig?
„Ja“, hauchte sie die Antwort.
„War er ein guter Chef? Waren Sie mit ihm zufrieden?“
„Ja. Doch.“
„Was waren Ihre Aufgaben?“
„Ehm, ich habe seine gesamte Korrespondenz erledigt, war bei Treffen dabei und habe Protokoll geführt, Telefonate und …“
„Aha! War das alles?“
„Ehm, wie meinen Sie das?“
„Persönliches. Hat er Sie aufgefordert, persönliche Angelegenheiten für ihn zu erledigen?“
„Ehm nein. Eh ja. Manchmal. Ich bin … eh, ich meine, ich war ja schließlich seine Sekretärin.“
„Nur?“ Herausfordernd belauerte er sie. Neben sich hörte er seinen Assistenten geräuschvoll Luft holen. „Eh, wie meinen Sie …?“
„Herr Kommissar, vielleicht sollten …“ Weiter kam Rosenkranz nicht. Denn eine schnelle herrische Handbewegung seines Vorgesetzten gebot ihm zu schweigen. Dabei hatte Höflich die junge Frau nicht aus den Augen gelassen.
Unruhig rutschte sie auf der Kante ihres Sessels herum. Ihr Blick flackerte zwischen den beiden Männern hin und her und senkte sich schließlich auf ihren Schoß, wo sie ihre Hände so sehr ineinander verschränkte, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Nun, ich denke, Sie haben mich schon verstanden“, sagte Kommissar Höflich dann.
„Ehm nein. Entschuldigen Sie. Ich glaube, ehm, ich habe Sie nicht verstanden“, flüsterte sie.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich so unklar ausgedrückt habe.“ Höflich wurde ebenso leise. Mit fast geschlossenen Augen belauerte er sie.
„Dann werde ich mich jetzt verständlicher ausdrücken. Hatten Sie ein Verhältnis mit Ihrem Chef?“ Den letzten Satz feuerte er wie einen Pistolenschuss ab. Und um jedem Missverständnis vorzubeugen, fügte er noch hinzu: „Ein intimes Verhältnis, meine ich.“
Seine Verdächtige wurde rot bis an die Haarwurzeln. „Ehm, nein. Hatte ich nicht.“
Daraufhin legte Höflich eine kurze Pause ein. Dann fuhr er fort:
„In