sein Onkel bei einem bekannten Schreiner Mengen an Holz, woraus sie unermüdlich die ganze Nacht spitze Pfähle schnitzten. Sahin Hodscha erklärte Mehmet, dass man Dracula nur mit einem Pfahl, den man ihm in das Herz rammen musste – am besten mit Silber – töten konnte, sowie durch das Sonnenlicht. Dracula hasse zudem Knoblauch, weil er in der türkischen Gefangenschaft dazu gezwungen wurde, ihn als Strafe für seine Aufmüpfigkeit zu essen.
VLAD DRACULAS KINDHEIT UND JUGEND
Vlad III. wurde im Jahr 1431 als zweiter Sohn des Königs Vlad II. und der Prinzessin Angelica aus dem Fürstentum Moldau geboren. Er hatte einen älteren Bruder namens Mircea und einen jüngeren, Radu, der Schöne, der Liebling der Eltern. Der junge Vlad war eher zurückhaltend und in sich gekehrt, entpuppte sich als ein Sadist, der Tiere quälte und gerne dabei zusah, wie das Leben erlosch. Er wirkte bereits als Kind unheimlich, verfügte aber auch über hohe Intelligenz und Mut. Er war Gleichaltrigen um Jahre voraus. Eines Tages ließ König Vlad II. einen Verurteilten hinrichten. Nach der Vollstreckung betrachtete der junge Vlad stundenlang die Leiche und war fasziniert von dem Tod.
Die Lage in Rumänien änderte sich dramatisch. Sowohl das Königreich Ungarn als auch der osmanische Sultan Murad II. übten beträchtlichen Druck auf Vlad II. aus. Seit den 1430er Jahren waren die Grenzregionen Ungarns und der halbautonomen Walachei von türkischer Invasion bedroht. Der junge Vlad unterwarf sich schließlich dem Sultan als Vasall und überließ ihm seine beiden jüngeren Söhne Vlad und Radu als Faustpfand, die unter anderem im Palast und in der Festung Egrigöz festgehalten wurden. Hier begegneten sie der osmanischen Kultur und dem Islam.
Die Jahre als türkische Geisel formte die Persönlichkeit des jungen Vlads. So soll er während der Geiselhaft des Öfteren wegen seines dickköpfigen und störrischen Verhaltens ausgepeitscht worden sein und eine extreme Abneigung gegen seinen Halbbruder Radu und den späteren Sultan Mehmed II. entwickelt haben. Das Verhältnis zu seinem Vater blieb gestört, da dieser ihn als Faustpfand benutzt hatte. Durch sein Handeln hatte der Vater außerdem den Eid auf den Drachenorden gebrochen, der ihn verpflichtete, Widerstand gegen die Türken zu leisten.
Nach sechs Jahren Gefangenschaft kehrten sie 1445 nach Hause zurück. Der junge Vlad war mittlerweile vierzehn und stand voller Hass seiner Familie gegenüber; außer seiner Mutter, die er über alles liebte, förmlich vergötterte. Nur drei Monate nach der Heimkehr verstarben die Mutter und der ältere Bruder Mirecia an der Pest. Der junge Vlad wurde immer zorniger und rachsüchtiger, widmete sich der schwarzen Magie. Er experimentierte im obersten Turm der Burg gemeinsam mit dem Hexenmeister Xaviardu, ein Heiler und Schamane, der sich ebenfalls der Schwarzen Kunst verschrieben hatte. Der König setzte ihn ein, damit er die Türken und ihre Armee verfluchte. Der junge Vlad ließ sich unterdessen von dem Magier anlernen. Den Vater kümmerte es wenig, was sein ältester Sohn machte, er sorgte sich mehr um Radu, der die beste Ausbildung sowohl militärisch als auch schulisch genoss, und der recht bald als Nachfolger des Königs feststand. Der junge Vlad lernte auch inzwischen die Kampfkunst kennen und man sagte ihm nach, dass er ein äußerst talentierter Schwertkämpfer war. Im gleichen Maße, wie Vlad immer mehr zu einem Mann heran reifte, wuchs seine Faszination für die schwarze Magie und den Tod. Der Hass, den er seinem Vater und seinem Bruder entgegenbrachte, blieb unverändert. Im Winter 1451 starb der König plötzlich eines scheinbar natürlichen Todes. Die Ärzte diagnostizierten einen Herztod, aber jedermann wusste, dass der König von seinem ältesten Sohn Vlad vergiftet worden war. Man konnte es allerdings nicht beweisen oder aussprechen. Einen Tag später stürzte Radu von den Klippen und verunglückte tödlich. Man vermutete wieder, dass Vlad dahinter steckte.
Vlad wurde somit der alleinige Herrscher über Rumänien. Zur Überraschung seiner Zweifler erwies er sich als guter König und als erfolgreicher, wenn auch brutaler, blutrünstiger Anführer der den Namen Vlad Tepes, der Schlächter, bekam. Er kämpfte immer an vorderster Front, aber das Glück, das ihm auf dem Schlachtfeld zuteilwurde, blieb ihm in der Liebe versagt. Seine erste Liebe und erste Frau war Bredica, die Tochter eines Adeligen aus Ungarn. Sie war das Gegenteil von Vlad. Bredica hatte Vlad durch ihre Liebe und ihre Gutherzigkeit von allem Bösen ferngehalten, doch nach nur zwei Jahren Ehe verstarb sie wie zuvor seine Mutter an der Pest. Seine zweite Frau Aurika konnte ihm keine Kinder gebären. Eines Tages hielt sie der Verachtung und der Boshaftigkeit Vlads nicht länger stand und sprang nach sieben Ehejahren von der Burgmauer in die Tiefe, um ihrem kinderlosen Dasein ein Ende zu setzen. Vlad war bereits fünfundvierzig. Er geriet außer sich, war launisch und zerstörte alles, was er in die Finger bekam. Fest davon überzeugt, dass er verflucht sei, schwor er sich, ab jetzt nur noch dem Bösen zu dienen. Das Gute in ihm existierte nicht mehr. Fortan wollte er das Blut der Guten trinken, um ewig zu leben. Dieses Blut erkor er zu seinem Lebenselixier. Darüber, woran und wann er verstarb, gibt es keine Aufzeichnungen. Man sagte ihm nach, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um auf ewig dem Bösen zu dienen. Dann verschwand er spurlos.
15. März. Sahin Hodscha lehrte und Mehmet besuchte die Lesungen an der Universität. Eine seltsame kalte Atmosphäre haftete den Mauern an. Jeder dachte an den kaltblütigen Mord des Schulkameraden. Lehrer, Professoren und Schüler – keiner schien recht bei der Sache zu sein. Sahin Hodscha schaute immer wieder zum Fenster, weil ein Ast wegen des heftigen Windes an die Scheiben schlug. Er erinnerte sich an das Massaker in dem rumänischen Dorf Burvalki. Daran, wie eine Haustür auf- und zuschlug und dazwischen eine verstümmelte Hand steckte.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Professor?«, fragte einer der Schüler besorgt.
»Ja, ja, mir geht es gut! Schlagt die Seite vier auf.« Er fuhr mit seinem Unterricht fort.
Mehmet saß in Gedanken versunken in der Vorlesung, bis die Küchenchefin zum Mittagessen läutete. Selbst hier in der Kantine spürte man die kalte seltsame Atmosphäre. Man hörte nur das leise Tuscheln der Schüler. Sahin Hodscha erschien gar nicht zum Essen, sondern hielt sich in der Bibliothek auf, um weitere Nachforschungen anzustellen. Mehmet traf sich nach der Stärkung mit seinem besten Freund Ali auf dem Pausenhof. Die beiden waren zusammen aufgewachsen. Ali stammte aus gutem Hause, der Vater war ein Abgeordneter des Osmanischen Reiches.
»Die Schüler behaupten, dass dein Onkel vor Jahren in Rumänien verschwunden war, und dass er das Böse nach Istanbul gebracht hat.« Mehmet sprang erbost auf und schrie Ali an: »Wer erzählt so einen Blödsinn? Ihr wisst doch, dass ihr mit dem Tod bestraft werdet, wenn ihr darüber sprecht.« Ali erwiderte: »Ich habe das nicht gesagt. Ich sage dir nur, was die Leute erzählen. Du weißt, ich bin dein bester Freund und stehe immer zu dir, aber irgendetwas ist seit Tagen mit dir los. Was hältst du davon, wenn wir heute Abend mal wieder ausgehen und ein bisschen Tavla spielen und Shisha rauchen in der alten Taverne?« Ein wenig verzögert willigte Mehmet ein: »Wieso nicht?«
Mehmet gab seinem Onkel Bescheid, dass er sich mit Ali treffen wolle und er nicht warten solle, da es spät werden könnte.
»Gute Idee«, meinte Sahin Hodscha, »aber pass auf dich auf, sei immer auf der Hut und erzähle niemandem etwas!«
Gegen Abend trafen sich Mehmet und Ali in ihrer Lieblingstaverne Ali Babas Haus, die hauptsächlich von Veteranen und mittelständischen Kaufleuten besucht wurde. Dort trat auch Beysade Hanim auf, eine bekannte Sängerin jener Zeit. Sie sang von den Kriegszügen der Osmanen und von verliebten Soldaten. Eine willkommene Ablenkung für Mehmet. Er dachte nicht mehr an die Geschehnisse der letzten Tage. Nach einer ausgiebig durchfeierten Nacht verließen sie zufrieden die Taverne und liefen am Ufer des Bosporus entlang. Mehmet schaute auf das Meer hinüber zur Kiz Kulesi. Egal, wo man sich in Istanbul befand, man sah den Mädchenturm. Er hatte eine magische Anziehungskraft.
»Träumst du wieder von der Prinzessin? Wann heiratest du endlich?«, fragte Ali seinen Freund.
Mehmet lachte und erwiderte: »Du hast gut reden, du hast ja schon die richtige Frau gefunden und bist verheiratet. Ich muss der Richtigen erst begegnen.«
»Es kann doch nicht so schwer sein, in dieser großen Stadt ein Mädchen kennenzulernen.«
Mehmet war dieses Thema sichtlich unangenehm. Es war bereits nach Mitternacht, der Himmel zeigte sich sternenklar. Die beiden Freunde redeten noch eine Weile über die alten Zeiten,