anderer Typ als der bauernschlaue, etwas behäbige Portier. Er war ein Genussmensch und, obwohl er nicht ganz schlank war, sehr beweglich.
Aber er saß auch gern bei einem Glaserl Wein und interessierte sich für Literatur und Sprachen. Ein Fable, um das ihn viele beneideten: Er las englische Krimis im Original.
Inzwischen hatte er längst aufgegeben, sich gegen „Schimek“ zu wehren. Denn ihn kannte jedes Kind, und er war durch diese Rolle zu einer wirklich sagenhaften Popularität gekommen.
Jetzt machte er, sonst ziemlich geduldig, seinem Herzen Luft. „Do hob i amoi an Außendrah! Amoi darf i aus meina Portierslosch auße – und da schütts aus Schaffen!“
Wieder verstand Bingo kein Wort. Er sah sich suchend nach Charly Schilling um. Das war eine flotte Person aus Gmunden, die für den Film die Komparsen vermittelte. Nebenbei bemühte sie sich, dem Team, aus vielen Regionen Österreichs und Deutschlands zusammengesetzt, als eine Art Dolmetscherin behilflich zu sein. Aber Charly war heute nicht anwesend, weil keine Komparsen gebraucht wurden.
Bingo, nun um eine halbwegs verständliche Aussprache bemüht, stöhnte. „Der jrößte Unterschied zwischen die Österreicher und die Deutschen is de jemeinsame Sprache!“
Schimek sah ihn erstaunt an. „Ist aber nicht auf deinem Mist gewachsen, der Spruch“, sagte er ganz und gar dialektfrei und schmunzelte.
Bingo lachte. „Hat ma irjend een oller Dichter abjelassen. Könnte aber ooch jenausogut von mir sein!“ Dann trat er wieder den Kampf gegen den Regenschirm zum Schutz der Kamera an. Das Ding bog sich mit allen Streben nach außen und lief sofort voll Wasser. Bingo schüttete es in den See und hatte Mühe, dem Wind irgendwie Paroli zu bieten.
Schimek überlegte, von wem der Spruch stammen könnte. Es fiel ihm nicht ein, und so begann er wieder, sich über diese Art von „Sommer“ aufzuregen.
„Was wetterst du denn ständig vor dich hin?“, fragte Mariella Lagl, die Darstellerin der Küchenchefin Anna und seine Partnerin in der Serie.
„Ich wetter’ schlecht!“, grinste Schimek. Dann lief er plötzlich los und zerrte Mariella entschlossen mit sich.
Sie rannten über den völlig durchnässten roten Teppich, der auf der Holzbrücke jedes Mal zu den Dreharbeiten ausgerollt wurde, vorbei am Standbild des Heiligen Nepomuk, der mit dem Regen zu heulen schien, Richtung Schlosstor.
„De kennan do net einfach do geh, ohne das’s frong!“, stöhnte der Aufnahmeleiter. Er kam aus dem Burgenland und hatte es ebenfalls schwer, verstanden zu werden. Denn dort spricht man in einigen Gegenden einen ziemlich besonderen Slang. Der Mann wurde kurz nur der Burger genannt, ein bisschen englisch, was mehr an Fastfood als ans schöne Burgenland erinnerte. Nebenbei war er übrigens Hobbypilot und Mitbesitzer eines kleinen, knallroten Flugzeuges.
Gerade kam der Regisseur zurück, der beim Catering in der Einfahrt einen heißen Tee getrunken hatte. „Wir wärmen uns a bissel auf!“, murmelte Schimek und stürzte mit Mariella vorbei.
Der Regisseur nickte nur und zog den Regenhut ein wenig tiefer ins Gesicht. Man sagte Chef zu ihm. Seine österreichische Herkunft war an der Sprache kaum noch auszumachen Allerdings legte er auch wenig Wert darauf. Er fühlte sich als Europäer und konnte eine beachtliche Anzahl von Arbeiten im Ausland nachweisen. So hatte er unter anderem lange in Frankreich an verschiedenen Theatern gewirkt. Das erwähnte er bei jeder passenden und nichtpassenden Gelegenheit. Dann lobte er die französische Küche und die französischen Schauspieler, was bei den hiesigen nicht besonders gut ankam. Bis irgendjemand herausfand, dass es ziemlich kleine Theater in der Provence waren, in denen der Chef zu tun hatte. (Bingo würde sie „Provinzklitschen“ nennen …)
Von da an jedenfalls nahm man die Sache nicht mehr so ernst.
Nach dem Theater in Frankreich zog es den Mann zum Film. Und nun war er also beim Fernsehen gelandet. Der Chef war ein ganz schneller Denker und konnte seine Gedanken ebenso schnell umsetzen. Leider war er völlig humorlos und ziemlich eitel. Aber ansonsten ein netter Kerl, mit dem man auskommen konnte. Kopfschüttelnd betrachtete er nun die Hosenbeine seines Maßanzugs, die unter dem Regenmantel kein erfreuliches Bild boten, und ging zu den anderen. Gerade riss der Wind Bingo den Schirm aus der Hand und fegte ihn in den Traunsee, der heute dunkel und undurchsichtig war.
Am anderen Ende der Brücke kam ein Wagen vorgefahren. Zwei Männer in Wetterjacken stiegen aus und hasteten auf die Wartenden zu. Alle atmeten auf. Das waren der Herstellungsleiter und der Produktionsleiter. Sie sahen beide noch einmal zum Himmel. Aber ringsum konnte man nur schwere Regenwolken erblicken. „Wir brechen hier ab!“, sagte der Herstellungsleiter. „Und drehen drinnen im Schloss weiter!“, ergänzte der Produktionsleiter. Jeder war froh über diese Entscheidung.
Im Filmteam hießen die beiden Chefetage, weil sie sich ein Büro teilten und meist gemeinsam auftauchten. Sie waren dafür zuständig, dass so eine Fernsehserie ganz genau geplant wird und dann auch genauso zustande kommt. Dass alles möglichst nicht mehr kostet, als vorher festgelegt wurde. Oder besser noch ein bisschen weniger. Also Menschen mit eher trockenen und buchhalterischen Filmberufen, die im Hintergrund agierten und mit denen die anderen zwangsläufig öfter einmal in Streit gerieten. Aber bei unserer Chefetage handelte es sich um zwei liebenswürdige Herren aus Wien, die zwar streng, aber nicht unbeliebt waren. Besonders der Produktionsleiter, weil er jeden Montag in der Mittagspause die Spesen verteilte. Die Schauspieler nannten ihn gern „Diätenhansi“, was er freundlich grinsend überhörte.
Jetzt begrüßten sie Schimek und Mariella, die in der Toreinfahrt standen und Tee tranken. Für die beiden Schauspieler war Drehschluss angesagt, denn sie wurden bei den Szenen im Schloss nicht gebraucht.
„Auch gut!“, meinte Schimek. „Trinken wir einen Rotwein, oder besser einen Glühwein, ich lad euch ein!“ Sie gingen zum Restaurant Orther Stub’n hinüber.
Die anderen räumten die Brücke. Jeder griff zu, damit das Equipment so schnell wie möglich ins Trockene kam. Bepackt eilten die Filmleute auf den Eingang des Schlosses zu, da erschütterte ein wahnsinniges Geräusch die Szenerie. Es wurde immer lauter und lauter, zum Gänsehautkriegen. Viele blieben stehen, sahen sich um. Woher kam das? Das Geräusch schien von oben, vom Gipfel des mächtigen Berges herunter zu schallen. Aber was sollte dort oben sein?
Es gibt zwei Schutzhütten und das größte Gipfelkreuz der Alpen. Der Traunstein ist 1691 Meter hoch. Wie konnte man sich da die Lautstärke dieses Geräusches erklären? Es wurde immer unerträglicher, klang wie ein dumpfes Heulen und schwoll an zu einem jammernden Dauerton. Und plötzlich wurde auch der Regen immer stärker. Der Tonassistent ließ seinen Klappstuhl fallen und setzte die Kopfhörer als Ohrenschützer auf. Wer eine Hand frei hatte, hielt sich wenigstens ein Ohr zu und rannte, so schnell er konnte, ins Schloss.
2. Kaffeeklatsch bei einer Hexe
Auch die durchsichtigen Damen, die sich zum monatlichen Kaffeeklatsch vor dem Kamin in der gemütlichen Höhle von Kranawitha, versammelt hatten, pressten die durchsichtigen Hände auf die durchsichtigen Ohren. Kranawitha war eine hier sehr bekannte Hexe und lebte im Inneren eines anderen gewaltigen Berges dieser Gegend, dem Feuerkogel.
Vor langer Zeit einmal feierte sie einsam und verlassen, nur von Haustieren umgeben, ihren nicht näher bekannten soundsovielten Geburtstag. Außer einer entfernten Verwandten in Deutschland hatte sie keine Angehörigen mehr. Und so richtige Freunde auch nicht. Zu ihrer deutschen Hexengroßtantenschwägerin pflegte sie seit Ewigkeiten wenig Kontakt. Und zu den nichtrichtigen Freunden schon gar keinen.
Nachdem sie sich also auf ihrer eigenen Party fast zu Tode langweilte, fasste sie einen Entschluss: Wenigstens einmal im Monat musste sie unter Leute. Natürlich waren damit nicht etwa gewöhnliche Menschen gemeint. Kranawitha ging in ihren Keller und ließ kleine blaue Flaschengeister aus einem halbvollen größeren Schnapsbehälter heraus. Die schickte sie nachts als Briefträger mit Zetteln in die umliegenden Schlösser und lud zum Kaffeeklatsch ein.
Die Hexe hatte keine Ahnung, was