Ort am anderen Ende des glücklichen Sees, quasi gegenüber von Gmunden. Also ein echter Einheimischer. Er zog Bella hinter die halbgeöffnete Tür und flüsterte: „Dem Baumgoatna haums olle Schokotoaten stoin!“
Charly würde übersetzen: „Dem Baumgartner haben sie alle Schokoladentorten geklaut!“ Bella sah Franzl an und griff sich an den Kopf. „Wir wollen drehen, du Depp. Mir ist jetzt nicht nach blöden Witzen!“, fauchte sie. Der Fahrer schluckte. „Bella, das ist kein Witz! Die sind alle fix und fertig in der Konditorei!“ Auch sei das nicht zum ersten Mal passiert. Aber ausgerechnete heute, wo sie für die Fernsehserie liefern sollten, die doch alle so liebten …
„Tür zu!“, brüllte der Tonmeister. „Man versteht ja sein eigenes Wort nicht! Mir ist sowieso schleierhaft, wie ich das hier hinkriegen soll mit dem Regen und diesem Scheißgeräusch!“ Der Tonmann stammte übrigens, genau wie sein Assistent, aus Bayern. Die beiden waren schon so angeeckt wegen ihrer Sprache, dass sie sich das Bayerische ganz und gar verkniffen. Sie hatten nämlich ernsthaft geglaubt, den Österreichern sprachlich nahe zu sein. Was die natürlich geradezu unverschämt fanden.
Im Hintergrund erschienen nun der Chef, also der Regisseur, seine Assistentin und der Kameramann. Sie gingen herum und besprachen den Ablauf der Szene, die gleich geprobt und dann gedreht werden sollte. Der Blick der Assistentin fiel auf die große Tafel. „Warum sind denn die Torten noch nicht da?“, flüsterte sie entsetzt.
Bella schloss die Tür von draußen. Franzl versicherte ihr gerade, dass die beim Baumgartner schon dabei waren, neue Torten zu backen. Und sie wollten auch versuchen, welche aus den anderen Konditoreien der Stadt zu beschaffen. Was natürlich ärgerlich war, bei diesem großen Auftrag und … Bella unterbrach ihn wütend: „In zehn Minuten sind die Torten da – egal, woher die kommen! Sonst passiert was!“
Das Handy des Fahrers klingelte. Franzl meldete sich und hörte zu. Dann sagte er zu Bella – gleich in Charlys Übersetzung: „Das ist der Baumgartner. Müssen es unbedingt Schokoladentorten sein?“
4. Geschichten nach der Tortenschlacht
„Schokoladentorten sind die Besten!“ seufzte Kranawitha und wischte sich den Mund sauber. Dann kratzte sie die letzten Reste des köstlichen Gebäcks von ihrem bekleckerten Kleid und leckte sich die Finger ab. Auch die Geisterdamen nickten satt und zufrieden. Es war kein Krümelchen von der Tortenschlacht übriggeblieben. Miss Molly war nicht mehr sauer. Und die Gastgeberin hatte ihre gute Laune wiedergefunden. So drehte sie an ihrem Zauberring und wurde wieder eine ansehnliche Dame, diesmal in goldglitzerndem Gewand. Sie ging zur Hausbar und griff nach einer Flasche Zwetschgengeist, der sich wunderbar zur Verdauung eignete. Nicht ganz ohne Hintergedanken. Denn die echten Geister vertrugen die alkoholischen Geister eigentlich nicht. Sie bekamen eine leicht bläuliche Färbung und sahen ziemlich irre aus, wenn sie zu viel hatten.
Und das nun wieder amüsierte die Alte köstlich …
Kranawitha war übrigens eine Hexe, die überhaupt nicht so aussah, wie die hölzernen Abbilder, die in diversen Souvenirläden verscherbelt wurden. Sie zierten weder eine krumme Nase, noch stechende Augen. Ohne Zauber war sie eine verblichene Schönheit mit feuerrotem Haar, bernsteinfarbenen, wachen Augen und unzähligen Falten im Gesicht. Sie hatte sich ihr jugendliches Temperament erhalten und war eine großzügige Gastgeberin. Außer ihrer Vorliebe für absolut verkitschte Glitzerkleider, sagte man ihr einen ganz guten Geschmack nach. Ihre Höhle war wirklich gemütlich und unzählige brennende Fackeln und Kerzen schmückten sie.
In diesem Licht sah Kranawitha nun wieder wesentlich jünger aus. Sie schenkte die Gläser voll und verteilte sie. Die Damen rückten mit ihren Stühlen ein Stückchen weiter auf dem Kamin zu. Durch die Kraft des Feuers erschienen sie alle ein wenig undurchsichtiger. Strahlend schauten sie sich an und prosteten sich zu. In diesem Moment wurde das grausige Geräusch von draußen erneut unerträglich laut.
„Er heult wieder!“, rief die Geisterfreifrau Emilia aus. „W-w-...“ – weiter kam Miss Molly nicht, denn Emilia hielt ihr den Finger auf den Mund. Kranawitha kreischte: „Lange halte ich das nicht mehr aus!“ Miss Molly verstand den Trick und sagte: „Ich auch nicht! Und d-d-deshalb g-g-gehe ich jetzt!“ Auch die anderen erhoben sich.
Kranawitha sah sie betroffen an. „Ihr werdet mich doch jetzt nicht schon verlassen, nur weil dieser Vollidiot Erla …“ Zu spät. Es war heraus!
„Erla!“, riefen die Geisterdamen entzückt. Dann sprachen sie alle durcheinander, denn dazu gab es viel zu sagen. Die Jüngste unter ihnen, Geistergräfin Röslein von Bärlauch zu Schloss Ebenzweier, sah die anderen fragend an.
Sie geriet als Letzte mehr oder weniger zufällig in Kranawithas Weiberrunde. Irgendwann einmal hatte Röslein nachts ihr Schloss verlassen, weil ihr stinklangweilig war. Es war Geistern verboten, Kontakt zu normalen Menschen aufzunehmen. Was Röslein sehr bedauerte, denn Ebenzweier war voll davon. Es beherbergte heute eine Berufsschule und die jungen Leute hatten sich im Keller neben einer Weinstube auch ein kleines Theater und eine Disco eingerichtet. Nachdem Röslein jede Nacht die laute Musik von dort hörte, träumte sie immer häufiger, dass es auch irgendwo eine Geisterdisco geben musste. Da machte sie sich halt irgendwann bei Mondschein auf den Weg.
Kranawitha las sie heulend und klappernd vor Kälte kurz vor der Dachstein-Eishöhle auf und brachte sie zu ihrer Bleibe nach Altmünster zurück. Denn Röslein hatte hoffnungslos die Orientierung verloren, keine Geisterdisco gefunden und war ziemlich mit den Nerven runter. Sie tat der Hexe leid, und so bestellte sie Röslein zu ihrem nächsten Weibertreffen. Von da an waren es sieben Geisterdamen. Kranawitha gefiel diese Zahl viel besser. Und die Älteren mochten Röslein von Anfang an.
Als junge Gräfin rein zufällig zu Tode gekommen, weil sie den köstlichen Bärlauch mit den Blättern der giftigen Maiglöckchen verwechselt hatte, war sie als Geisterfräulein erst 200 Jahre alt und noch sehr naiv. So konnten ihr die anderen manche Lebensweisheit aus ihrer Welt nahebringen.
„Wer ist denn Erla?“, frage nun also das Nesthäkchen.
Die sechs übrigen redeten höchst erregt auf das junge Ding ein.
Aber den Erla, den musste man doch kennen! Ein mächtiger Kerl, der nur so vor Kraft strotzte, aber der ganz einsam war …
Kranawitha lief kopfschüttelnd zu ihrem winzigen Bücherschrank, griff nach einem kleinen roten Bändchen und kehrte damit zurück zum Kamin. Mit einer Stimme, um die sie jede Märchenerzählerin beneidet hätte, begann sie zu lesen:
„Träum ich, wach ich? Woher kommen
Meiner Seele all die Bilder,
Die dem wachen Sinn verborgen?
Dunkler Waldsee, Mondesstrahlen,
Nixentreiben, Riesen, Zwerge,
Liebe, Leiden, Leben, Sterben …“
Sie schaute gar nicht mehr ins Buch, konnte den Text auswendig – zu vertraut war ihr das alles. Ein Sommermärchen, wie es kein schöneres gab! Das kennt doch hier in der Gegend jedes Kind. Und plötzlich bekam sie die Stimme eines kleinen Mädchens:
„Durch den nächt’gen Urwald gleitet
Spießbewehrt der Riese Erla.
Leise setzt er seine Sohlen …“
Kranawitha holte tief Luft. Die Geisterdamen nutzten die Gelegenheit und ratterten die Geschichte ohne das Büchlein weiter herunter.
Der Riese, der rannte also immer einsam hier in dieser Gegend herum. Eines Tages, oder besser: Eines nachts, bei Vollmond natürlich, sah er eine Nixe am Laudachsee. Er beobachtete sie eine ganze Weile beim Baden, verliebte sich sofort in sie, nannte sie Blondchen und ließ ihre Träume wahr werden.
„Was denn für Träume?“, fragte Röslein mit glänzenden Augen.
Er brach Felsbrocken aus dem Berg und knallte sie in den Traunsee, eine Insel entstand. Darauf ließ er vom König Rötel und seinen Zwergen ein Schloss für sein Blondchen