Ruprecht Günther

Das Bild der Zeit


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lamentiert und im Spaß überlegt, wie es wäre, unsere Leben zu tauschen. Dann saß so ein dünner Schwarzer bei uns am Tisch. Du Vollidiot hast ihn zu einem Glas Wein eingeladen, er hat ein paar Kunststücke vorgeführt, und auf einmal saßen wir mit dieser Frau im Keller.«

      Er schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Vielleicht ist sie ja noch hier und kann …«

      Sigi winkte ab. »Die ist längst über alle Berge.«

      Sein waidwunder Blick – den Karl-Heinz’ Augen nur mangelhaft umsetzten – blieb an seinem Freund hängen. »Gib mir meinen Körper wieder, bitte. Ich kann doch nicht …«

      Er schloss die Augen, und langsam überfiel ihn die volle Konsequenz seines Debakels. Wie Nadelstiche spürte er die Fremdartigkeit dieser Augäpfel und schuppigen langen Haare. Seine Muskeln waren verkrampft, seine Haut trocken und um seinen Brustkorb lag ein Ring, der ihm das Atmen schwer machte. Er wollte auf und davon laufen, doch alles, was ihn ausmachte, steckte in diesem idiotischen Körper, der sich so unsinnlich bewegte wie eine Puppe aus Styropor. Er spürte einen Knoten im Hintern und starrte Karl-Heinz wütend an: »Du … du hast Hämorrhoiden!«

      Der grinste verlegen und zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, ich konnte ja nicht ahnen, dass du eines Tages in meine Haut fahren würdest.«

      Plötzlich überfiel Sigi das Unglück wie ein Sturm: Wie sollte er in diesem Aufzug, mit diesem Gesicht und verspannten Körper zurück zu Joana, zu seiner Staffelei, seinen Bildern und Schulden? Seine brennenden Augen füllten sich mit Tränen … Das ist interessant, dachte ein weit entfernter Teil von ihm. Kann man Traurigkeit malen?

      Karl-Heinz legte den Arm um seine Schultern, fischte aus seiner ehemaligen – nun Sigis – Hose ein frisches Taschentuch und drückte es ihm in die Hand. »Tja, mein Alter«, sagte er und ließ den Blick von Sigis Augen über den Raum schweifen. »Da haben wir uns ganz schön in die Scheiße geritten …«

      Er horchte in seinen neuen Leib hinein und stellte überrascht fest, dass er ihm gefiel. Auf einmal begann er zu verstehen: Dieser Körper war in sich zu Hause. Sein Atem glitt wunderbar leicht durch die Lungen, und sein Blick war … frei, das war das richtige Wort. Vielleicht nicht unbedingt wie ein Adler, aber doch so ungebunden wie ein Spatz, der angeregt durch die Luft flattert und fröhlich pfeifend sein Nest putzt.

      »Machen wir das Beste daraus«, erklärte er tapfer und kratzte sich an einem Mückenstich, der an einem anderen Körper juckte. »Hatte diese … Maria Mulambo nicht etwas gesagt von einer Woche?«

      »Eine Woche?« Sigi starrte ihn wütend an. »Eine Woche lang mit meinem Körper Joana vögeln, so hast du dir das wohl gedacht?«

      Karl-Heinz musterte ihn kühl. »Mach halblang, mein Lieber. Glaubst du, ich habe mir diese Geschichte ausgesucht? … Wenn du willst, können wir gemeinsam bei Joana auftauchen und ihr das Malheur erklären. Und du darfst sieben Tage mit meinem Körper so tun, als wäre alles beim Alten. Ich überlasse ihn dir gern. Allerdings müsste sie dann mit ein paar Unterschieden leben … und du musst meiner Sekretärin und meinen Kunden erklären, warum ich mit deinem Körper in meinem Büro erscheine.«

      »Das darf alles nicht wahr sein!«, stöhnte Sigi und stellte angewidert fest, dass die Hämorrhoiden juckten.

       9. Entscheidung

      Eine halbe Stunde später saßen sie in einer Kneipe und hielten Kriegsrat – vorsichtshalber nicht in ihrem Stammlokal, denn noch fühlte sich Karl-Heinz dem hormonellen Ansturm einer verliebten Bedienung nicht gewachsen. Sigi schlürfte an seinem dritten Milchkaffee und hoffte darauf, dass sich der Restnebel in seinem Gehirn noch lichtete.

      »Hat sie wirklich gesagt eine Woche?« In seiner Stimme schwang ein Funken Hoffnung.

      »Absolut wirklich. Wobei natürlich die Frage ist, ob sie ihr Versprechen hält?

      »Du meinst … ich muss vielleicht mein ganzes Leben in diesem Körper …?«

      Karl-Heinz grinste säuerlich. »So schlecht ist er nun auch wieder nicht.« Er drückte seinen Rücken durch und richtete die Augen in die Ferne. »Betrachten wir die Sache doch einmal nüchtern: wir haben keine Ahnung, wer diese Frau ist, warum sie das mit uns angestellt hat und ob sie ihren Spaß wieder zurücknimmt. Auf jeden Fall können wir nichts tun. Oder willst du zum Neurologen gehen und sagen: Tut mir leid, ich sitze im falschen Körper, holen Sie mich bitte wieder raus!«

      »So weit war ich auch schon. Und weiter?«

      Karl-Heinz nippte an seinem Kaffee und trommelte mit zwei Fingern auf den Tisch. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich plötzlich wie neu geboren. »Ich mache dir einen Vorschlag: Wir können an der Situation zunächst nichts ändern – also machen wir das Beste daraus!«

      »Und das wäre?« Sigis fühlte in sich hinein und stellte außer seiner trockenen Haut und den verkrampften Gliedern noch etwas anderes fest: Eine fast manische Energie; eine Kraft, die das, was sie sich vorgenommen hatte, auch durchsetzen wollte – um nahezu jeden Preis.

      »War was?« Karl-Heinz checkte im Geist schon die Agenda der nächsten Tage. »Also: ich weise dich in meinen Job ein, und du kannst alles, was du in dieser Woche verdienst, behalten. Du erhältst Zugang zu meinen Konten – ich hoffe, du enttäuschst mein Vertrauen nicht – und kannst mit meiner Sekretärin und von mir aus auch mit Sabine machen, was du willst …«

      »Wie großzügig. Und weiter?« Sigi wollte sich an der Schläfe kratzen und stieß stattdessen auf eine schuppige Locke. Er zog den Finger zurück und schwor sich, so bald wie möglich zum Frisör zu gehen.

      »Dafür bekomme ich eine Woche lang deine Bilder, deine Schulden und … na ja, Joana ist in dem Paket wohl mit eingeschlossen … Mach nicht so ein miesepetriges Gesicht, das sieht ja fast so aus wie ich … Hast du vielleicht eine bessere Idee?«

      Karl-Heinz griff nach seinem Ring und erschrak, weil er ihn nicht fand. Sigi sein, dachte er fast schon beschwingt und fühlte, wie das neue Gefühl in seinen Körper strömte, sich darin ausbreitete und zu einem unsinnigen und fast abartigen Glück formte.

      Sein Freund schlürfte nachdenklich einen Schluck Kaffee. Plötzlich musste er an Joana denken, fühlte Schwindel und anschließend einen heftigen Stich im Magen. Einen Moment lang glaubte er, er müsse sich erbrechen. Er kniff die Augen zusammen wie ein Kind, das glaubt, dadurch würde der kläffende Köter vor seiner Nase verschwinden. Unsinnige Verzweiflung brandete in ihm hoch und machte Anstalten, ihn zu überschwemmen. Der Teil von ihm, der noch einigermaßen funktionierte, registrierte, wie sich sein Herz zusammenzog und gegen das aufsteigende Bild rebellierte: Er sah Karl-Heinz mit seinem Körper auf Joana liegen und lustvoll stöhnen.

      Das ist wohl der Preis, dachte er trostlos, atmete tief aus und stellte die Tasse zitternd auf den Tisch.

      Sieh es doch einmal anders herum, wies er sich zurecht. Wenn alles gut geht, braucht Joana von unserem Tausch gar nichts zu merken. Sie würde diese idiotische Geschichte sowieso nicht glauben. Außerdem würde sie sich nie mit dem vertrockneten Körper, in dem ich stecke, einlassen, da bin ich mir sicher …

      Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und sagte heiser: »Hosen runter! Hast du sonst noch irgendwelche Gebrechen?«

      Karl-Heinz lächelte entspannt. »Die Hosen kannst du gleich selbst runterlassen – mein Körper ist der deine!«

      Die beiden starrten sich einen Moment lang böse an. Dann überfiel es sie gemeinsam, und sie schüttelten sich vor Lachen.

      Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, diskrete Details ihres jeweiligen Lebens auszubreiten, die ohne diesen Notfall nie über ihre Lippen gekommen wären. Sie erklärten sich ihre Essgewohnheiten, die Schlafzimmereinrichtung, anfallende Rechnungen und Schulden, die Benutzung ihres Badezimmers und die letzten Arztbesuche. Sigi weihte Karl-Heinz in die Geheimnisse seiner Kunst ein, erläuterte ihm Techniken und Farbaufträge, erklärte, wo er sein Material einkaufte und wer seine neuesten Kunden waren. Karl-Heinz verriet im Gegenzug geheime Tricks,